smow: Der Pirelli-Turm in Mailand ist zweifelsohne Pontis bekanntestes architektonisches Werk und nimmt daher in der Monographie einen prominenten Platz ein, ebenso wie die viel weniger bekannte Villa Planchart in Caracas, Venezuela. Welche Rolle spielt die Villa Planchart für Pontis Werk, und inwiefern kann die Villa Planchart uns helfen, Pontis Ansätze besser zu verstehen?
Salvatore Licitra: Den Text anlässlich der Veröffentlichung des Beitrags zur Villa Planchart in der Zeitschrift Domus beginnt Ponti mit dem Titel "eine florentinische Villa". Der für Ponti so typische Spaß bei diesem Debüt liegt gerade im räumlichen und zeitlichen Abstand. Die Villa greift den klassischen Kanon auf und transformiert ihn, sie ist aber auch eine ideale Gelegenheit für Ponti, alles zu entwerfen, was ihm für dieses Werk notwendig erscheint. Nicht nur die Ideen verknüpfen Vergangenheit und Zukunft, sondern auch der Marmor, das Mobiliar, die Keramik, die Werke der befreundeten Künstler. Beim Studium der Villa stoßen wir auf ein Repertoire von Materialien, Farben, Proportionen, Entwurfsverfahren, Kriterien und Gegensätze, die uns wirklich die Fülle von Pontis Palette verdeutlichen, und die sowohl in früheren als auch in späteren Werken auftauchen.
smow: Wenn der Pirelli-Turm Gio Pontis berühmtestes architektonisches Werk ist, dann ist der Stuhl Superleggera sein berühmtestes Möbeldesign. Hatte Ponti selbst einen ganz persönlichen Favoriten unter seinen vielen Architektur- und Designprojekten?
Salvatore Licitra: Als Ponti in den 1970er Jahren schon ein älterer Mann war, hat er gesagt: "Ich bin bekannt für den Pirelli-Turm und den Superleggera-Stuhl, aber es muss bezeugt werden, dass es zwei andere Werke von mir gibt, die ebenso wichtig sind: die Kathedrale von Taranto und der "Stuhl mit kleinem Sitz"”. Beide Werke stammen aus den 1970er Jahren und bei beiden Werken spielen der Raum und die Leere, eine entscheidende Rolle. Die Kathedrale hat anstelle einer traditionellen Kuppel eine Art perforiertes Segel, Leere und Fülle fallen hier gewissermaßen zusammen, und der Stuhl wirkt mit seiner subtilen Struktur, die die Oberflächen von Sitz und Rückenlehne trägt, wie eine Zeichnung, auf der man sitzen kann.