„Einfach machen“ – dieser Rat ihres Professors Volker Albus begleitet die vielseitige Designerin Marie Luise Stein bis heute. Nach ihrem Abschluss an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe sammelte sie Erfahrungen in verschiedenen Designdisziplinen und setzt seit 2022 als selbstständige Gestalterin eigene Akzente im Bereich Produkt- und Raumdesign. Seit 2023 ist Marie Luise Stein zudem Teil eines interdisziplinären Teams, in dem sie sich auf Retaildesign und die Entwicklung maßgeschneiderter Produkt- und Interiorlösungen spezialisiert hat. In Berlin arbeitet sie darüber hinaus an eigenen Projekten in den Bereichen Produktdesign, Interior Design und kuratorische Praxis, immer mit einem stark konzeptionellen Ansatz.
Gemeinsam mit Nils Holger Moormann entwickelte Marie Luise Stein das Regalsystem LIESL – eine minimalistische und durchdachte Aufbewahrungslösung für modernes Wohnen. In unserem Interview gibt die Designerin Einblicke in ihre Designphilosophie und erzählt von der Entstehung ihres Erstlingswerks, dem Regalsystem LIESL.
smow: Wie ist die Idee zum LIESL-Wandregal entstanden? Gab es einen bestimmten Moment, der dich dazu inspiriert hat?
Marie Luise Stein: Die Grundidee zu LIESL hatte ich schon vor meinem Studium. Während meiner Mappenvorbereitung habe ich mit verschiedenen Materialien experimentiert und kleine Modelle gebaut um Verbindungen und Materialeigenschaften zu erkunden. Dabei entstand das Konzept eines modularen Wandregals, das sich flexibel erweitern und abhängen lässt. Über die Jahre arbeitete ich immer wieder daran, bis der erste 1:1-Prototyp entstand. Von dort aus entwickelte ich das Konzept weiter, bis ich schließlich mit Nils Holger Moormann zusammenarbeitete, um LIESL gemeinsam zu dem zu machen, was es heute ist.
smow: Welche Herausforderungen gab es bei der Entwicklung des Regals, und wie bist du damit umgegangen?
Marie Luise Stein: Die größte Herausforderung lag in der Aufhängung. Das heißt Modularität und individuelle Nutzbarkeit mit einer einfachen, intuitiven Konstruktion zu vereinen – ein Ansatz, der sich auch in der Gestaltung widerspiegeln sollte. Dazu habe ich verschiedene Lösungsansätze getestet — die finale Lösung entstand jedoch erst in dem gemeinsamen Entwicklungsprozess mit dem Team von Nils Holger Moormann. Das Ergebnis ist ein Montagesystem, bei dem lediglich die oberen Stäbe mit Montageköpfen in der Wand verankert werden.
smow: Warum hast du dich für die Materialien Aluminium und Edelstahl entschieden? Welche Überlegungen standen dahinter?
Marie Luise Stein: Bei der Materialwahl lag unser Fokus auf einer reduzierten, langlebigen und ressourcenschonenden Konstruktion. Edelstahl war für die Stäbe naheliegend, da es stabil und korrosionsbeständig ist. Die Tablare aus unbehandeltem Aluminium sind leicht, widerstandsfähig und vollständig recycelbar – ein Aspekt, der sowohl für mich als auch für Nils Holger Moormann eine wichtige Rolle spielt. Zudem vereint diese Kombination Funktionalität mit einer klaren Ästhetik. Uns gefällt LIESL in dieser Materialkombination sehr gut, aber andere Optionen sind noch nicht ausgeschlossen – es ist also gut möglich, dass es in Zukunft weitere Materialvarianten geben wird.
smow: Inwiefern spiegelt das LIESL-Regal deine persönliche Designphilosophie wider? Welche Werte oder Prinzipien sind dir dabei besonders wichtig?
Marie Liuise Stein: Mir ist es wichtig, Produkte zu gestalten, die sich an veränderte Lebensumstände und Raumbedingungen anpassen, um eine langfristige Nutzung zu ermöglichen. Modularität, Konstruktion und nachhaltige Materialien spielen dabei eine zentrale Rolle. LIESL verkörpert genau diese Prinzipien und ermöglicht zudem eine sortenreine Trennung der Komponenten. Auch die Ressourcen-schonende Arbeitsweise, mit regionalen Betrieben zusammenzuarbeiten, wie sie Nils Holger Moormann praktiziert, entspricht meinen eigenen Werten.
smow: Gibt es bestimmte Designer oder Designs, die dich bei der Gestaltung des Regals inspiriert haben?
Marie Luise Stein: Es gab nicht den einen konkreten Entwurf, der mich inspiriert hat, aber verschiedene Designs und Konzepte haben die Gestaltung von LIESL beeinflusst. Klassiker wie das String-Regal oder das Regalsystem 606 von Dieter Rams haben mich durch ihre Flexibilität und Anpassungsfähigkeit inspiriert, ebenso modulare Systeme wie USM Haller und das Systemregal von MOEBE wegen ihrer Verbindungslösungen. Aber auch aus anderen Bereichen, wie dem Ausstellungsdesign, kamen Impulse. Die temporären Architekturen von Raumlabor Berlin zum Beispiel, die sich flexibel an verschiedene Bedürfnisse anpassen, oder Systeme aus dem Bauwesen, wie das MiniTec Aluprofil, wegen ihrer Verbindungstechnik und Erweiterungsmöglichkeit. Spannend finde ich auch Designer*innen, die solche Prinzipien neu interpretieren – etwa das T-Board von Philippe Malouin. Insgesamt interessieren mich wohl eher Entwürfe, die sich mit Raum, Funktion und flexiblen Lösungen auseinandersetzen – ich denke, dass sie nicht nur eine Inspiration für LIESL sind, sondern generell meine Arbeit beeinflussen.
smow: Wie hat deine Zeit an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe dein Designverständnis geprägt? Gibt es etwas, das du besonders daraus mitgenommen hast?
Marie Luise Stein: Da gibt es einige Dinge, die mich geprägt haben. Die Freiheit des Diplom-Studiums hat es mir ermöglicht, interdisziplinäre Seminare zu belegen und meinen eigenen Weg zu finden. Wenn ich mich jedoch entscheiden müsste, wäre es ein Satz von meinem damaligen Professor Volker Albus, der mir bis heute im Kopf geblieben ist: „Machen Sie mal!“ Anfangs hat mich das irritiert, aber letztendlich steckt genau darin eine für mich wichtige Erkenntnis – einfach loszulegen, Dinge auszuprobieren und über die Praxis einen Zugang zu Ideen zu finden.
smow: Du arbeitest an Projekten zur Gestaltung von Innen- und Außenräumen. Wie beeinflusst diese Arbeit deine Produktdesigns?
Marie Luise Stein: Die Arbeit an der Gestaltung von Innen- und Außenräumen hat meine Perspektive auf Produktdesign grundlegend erweitert. Es geht nicht mehr nur um das einzelne Objekt, sondern um dessen Wechselwirkung mit dem gesamten Raum und den Menschen, die ihn nutzen.
smow: Mit welchem Designer oder welcher Designerin würdest du gerne mal einen Kaffee trinken, und warum?
Marie Luise Stein: Ich würde gerne mit Muller Van Severen (Fien Muller und Hannes Van Severen, Anm. d. Red.) einen Kaffee trinken. Besonders interessant finde ich ihre Fähigkeit, skulpturale Formen mit hoher Benutzerfreundlichkeit zu kombinieren. Sie schaffen es, mit einfachen, aber kraftvollen Materialien und Formen eine reduzierte, gleichzeitig lebendige Ästhetik zu erzeugen und dabei Funktionalität und Experiment auf natürliche Weise zu verbinden. Ihre Möbel stehen oft genau auf der Grenze zwischen Kunst und Design. Bei einem Kaffee würde ich gerne erfahren, wie sie diese beiden Bereiche so organisch miteinander vereinen.
smow: Welcher Designer/in ist dein Idol?
Marie Luise Stein: Vielleicht nicht direkt Idol, aber die Arbeiten von Achille Castiglioni haben mich schon immer beeindruckt – vor allem sein Ansatz, Funktionalität mit Leichtigkeit zu verbinden. Zum Beispiel, in dem er Alltagsgegenstände neu interpretiert und dabei mit minimalen Mitteln maximale Wirkung erzielt hat. Sein Blick für das Wesentliche und seine unkonventionelle Herangehensweise sind für mich eine große Inspiration – er zeigt, dass gutes Design nicht nur praktisch, sondern auch emotional und unerwartet sein kann.
smow: Was ist dein Lieblings-Designklassiker?
Marie Luise Stein: Da gibt es einige, aber ein Designklassiker, der mich täglich erfreut und begleitet, ist der Bic Cristal Kugelschreiber von Marcel Bich aus den 1950ern. Er ist für mich ein perfektes Beispiel für minimalistisches, funktionales Design. Was mir besonders daran gefällt, ist die Kombination aus klarer Form und absoluter Praxistauglichkeit. Für mich ist er ein Paradebeispiel dafür, dass gutes Design nicht immer teuer oder extravagant sein muss, sondern auch im Alltäglichen einen bleibenden Eindruck hinterlassen kann.
smow: Welche aktuellen Designtrends findest du besonders spannend? Und wie fließen sie in deine Arbeit ein?
Marie Luise Stein: Ich finde es spannend zu sehen, wie neuartige Materialien im Sinne der nachhaltigen Materialentwicklung und Kreislaufwirtschaft immer mehr in den Fokus rücken – nicht nur als Trend, sondern als notwendige Entwicklung. Besonders Materialinnovationen, die ressourcenschonend sind und neue funktionale Möglichkeiten bieten, interessieren mich. In meiner Arbeit versuche ich darauf zu achten, Materialien bewusst einzusetzen, sie sortenrein trennbar zu gestalten und auf weitere Komponenten zu verzichten.
smow: Welchen Rat würdest du jungen Designern geben, die ihre eigenen Produkte entwickeln möchten?
Marie Luise Stein: Wahrscheinlich den gleichen, den Volker Albus mir gegeben hat: Einfach machen. Gerade durchs Machen – durch Prototypen, Tests und den direkten Austausch mit anderen – entstehen Erkenntnisse. Außerdem hilft es, sich früh mit der Produktion und realen Fertigungsprozessen auseinanderzusetzen. Und vielleicht der wichtigste Punkt: sich trauen, mit anderen zusammenzuarbeiten. Austausch und Kooperation bringen einen oft weiter als der Versuch, alles allein zu lösen.
smow: Ganz herzlichen Dank für das Interview und viel Erfolg weiterhin!