Aus verschiedenen Gründen, die vor allem mit der Größe des Landes und den politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen des 19. und 20. Jahrhunderts zusammenhängen, beherbergt Deutschland eine unverschämt hohe Anzahl an Architektur- und Designschulen, sicherlich zu viele, um sie alle in einem Post aufzuführen. Um unsere und eure Nerven zu schonen, beginnen wir die deutsche Etappe unserer #campustour im Jahr 2019 mit Berlin und Brandenburg.
Der jährliche Rundgang der Kunsthochschule Berlin Weißensee (KHB) ist traditionell eine Mischung aus Semester- und Abschlussprojekten, und so war es erfreulicherweise auch im Jahr 2019. Traditionen müssen nicht immer gut sein, können es aber.
Neben Semesterprojekten der unteren Semester, die sich beispielsweise mit Grundlagen geometrischer Formen befassen, bis hin zu spezifischen Projekten der höheren Semester, wie z.B. „Hidden Helpers“ über die Entwicklung autonomer Hilfsmittel oder „High Tech x High Touch“, das interaktive Konzepte im Zusammenhang mit der Kaffeezubereitung erforscht, waren für uns zwei besondere Highlights die „Circular City-Projekte“ des „Greenlab“ der KHB und ein Projekt mit dem wunderbaren Namen „Crowdfood – Krautfunding“.
„Greenlab“ wurde 2010 als interdisziplinäre Plattform zur Erforschung und Entwicklung nachhaltiger Prozesse und Produkte gegründet. 2019 forderte „Greenlab“ die Studierenden auf, Materialströme in Berlin zu untersuchen und Möglichkeiten zu prüfen, wie aktuelle lineare Ströme zirkulärer gestaltet werden können. Dabei wurden Untersuchungen in Zusammenarbeit mit einer Reihe von Partnerinstitutionen wie dem Institut für Biotechnologie der TU Berlin, dem Leibniz-Institut für Süßwasserökologie und Binnenfischerei oder der Abteilung für Bioverfahrenstechnik der Beuth Universität Berlin durchgeführt. Diese sehr interessanten Untersuchungen brachten Überlegungen zu unterschiedlichen Themen hervor: Dazu gehörten beispielsweise die Verwendung von Moosen zur Kühlung dicht bebauter städtischer Umgebungen; ein neues Material aus Textilindustrieabfällen und Pilzmycel; aus Abwasser gewonnenes Toilettenpapier und die Verwendung mikrobieller Pigmente zum Färben, Drucken usw. Übrigens nur eines von mehreren Projekten zu mikrobiellen Pigmenten, die uns während der #campustour 2019 begegnet sind.
„Crowdfood – Krautfunding“ war nicht nur das Projekt mit dem besten Namen, sondern erforschte mögliche Hightech-Ansätze, um das Catering in der KHB den Gegebenheiten des Campuslebens anzupassen: Dass Designstudenten ihre Talente ganz konkret an der Gestaltung ihrer direkten Umgebung unter Beweis stellen, ist eine sehr logische Sache. Neben einer vorhersehbaren Anzahl von Apps für Dinge, die sich im Gespräch mit Kommilitonen auf dem Korridor leichter lösen lassen, präsentierte „Crowdfood – Krautfunding“ auch die Ergebnisse einer Studierendenumfrage zur Qualität der aktuellen Cafeteria und Gastronomieversorgung. Diese ergab unter anderem, dass nur 7 % mit dem Kaffee zufrieden sind. Wie repräsentativ diese Umfrage tatsächlich war, wissen wir nicht, trotzdem rücken die 7 % die „High Tech x High Touch-Projekte“ in ein neues Licht: Denn welchen Wert hat die Technologie, wenn das Ergebnis einen bitteren Geschmack hinterlässt?
Zu den Abschlussprojekten, die uns aufgefallen sind, gehören vor allem Ralph Zähringers Master-Projekt „FOAM“, das sich mit Herstellung und Ästhetik von Keramikschaum beschäftigt; Enzo Zak Luxs „Interactive Colour Laboratory“; Alissa Wolters „Moodable“ – eine klappbare Hängeleuchte, bei der Beleuchtungsfeld, Helligkeit und Temperatur des Lichtes verändert werden können; und Dario Jérome Dammés Projekt „Focus“ – hier lag der Fokus im Wesentlichen auf fleischlosem Grillen, dazu gehörte ein angenehm geformtes Gerät, das eindeutig von einer Tajine inspiriert ist.
Weitere Informationen zur Kunsthochschule Berlin Weißensee gibt es auf www.kh-berlin.de, alle Abschlussprojekte sind auf www.kh-berlin.de/projekte.html zu finden. Informationen zum „Greenlab“ gibt es hier: http://greenlab.kunsthochschule-berlin.de/
Wie wir bereits bemerkt haben, ist uns die Aufteilung des jährlichen UdK Rundgangs sehr vertraut: Es sind zwar nicht immer genau die gleichen Klassen in den gleichen Räumen, aber wenn man jedes Jahr den gleichen Weg durch die Zentrale der Designabteilung an der Straße des 17. Juni geht, bekommt man alles zu sehen.
Im Jahr 2019 führte uns dieser Weg unter anderem zu „Superply“, bei dem Studierende mit dem firmeneigenen Sperrholz „Grada“ experimentierten: Unter Einbeziehung der spezifischen Eigenschaften von „Grada“ entwickelten die Studierenden der UdK sowohl eine Reihe interessanter, greifbarer Produkte, einschließlich Stühle und Tischböcke, als auch abstraktere Materialstudien, die mögliche, interessante Richtungen aufzeigten. Beim Projekt „Thinkers Paradise“ wurden die Studierenden aufgefordert, ein 1 qm großes Stück Stahlblech in einen „Ort der konzentrierten Reflexion und Kontemplation“ mit Sitz und Tisch zu verwandeln. Sehr angetan waren wir in diesem Zusammenhang von „Freiluft“ von Oskar Bigalke und Neïl Benhidjeb und „Kodomo“ von Esmée Willemsen.
Weiter entlang der Gänge zeigte das Projekt „Inspired by Bauhaus“ Keramikobjekte, die nicht nur vom Bauhaus, sondern auch von der Berliner Königlichen Porzellanmanufaktur, KPM, inspiriert waren. Im zweiten Semester untersuchte wiederum das „Basislabor“ Möglichkeiten zur Verbesserung der Einrichtungen in der Designabteilung; während die Studierenden bei „Standard“ über Standards und Normen nachdachten und versuchten, Projekte zu realisieren, die, wie es in der Kursbeschreibung hieß, „weit vom Standard entfernt sein könnten“. Wir würden allerdings behaupten, dass viele absoluter Standard waren, beziehungsweise die Art von Ergebnis darstellten, die man von einem solchen Kurs erwarten würde. Das ist wie immer keine Beschwerde – in solchen Klassen ist der Prozess wichtig und nicht das Ergebnis. Besonders aufgefallen ist uns allerdings Kamea Devons Flatpack-Spielplatz „Playground“: Ein vermutlich modularer, für Flüchtlingseinrichtungen konzipierter Spielplatz, der aber auch für den kurzfristigen Einsatz in Regionen, in denen die normalen Abläufe aufgrund verschiedener Vorkommnisse gestört sind, geeignet zu sein scheint.
Obwohl wir uns flüssig durch den UdK Rundgang 2019 bewegten, verbrachten wir überproportional viel Zeit mit den Ergebnissen der Klasse „Alchemistics“ von und mit Annika Unger, Anja Lapatsch und Prof. Axel Kufus. Ähnlich wie bei den alchemistischen Versuchen des Mittelalters, bei denen Basismetalle in Gold verwandelt werden sollten, waren die Studierenden hier aufgefordert, natürlich vorkommende und/oder aus Abfall generierte Materialien als Alternative zu zeitgenössischen Kunststoffen vorzuschlagen. Diese Überlegungen haben sich als wesentlich erfolgreicher erwiesen, als die des 15. Jahrhunderts und zu so unterschiedlichen Ergebnissen geführt wie „RDW“, eine Mischung aus Reisschalen und Dextrin von Tim Schöder, „Si E904“ von Valentin Bufler, der hier Sisalfasern mit Schellack kombinierte, oder „Sang Durci“ von Paulina Heinz, eine Variation der Verbindung aus Sägemehl und tierischen Nebenprodukten, genauer gesagt eine 2:1-Mischung aus Schweineblut und Sägemehl. Das Projekt demonstriert eine sehr logische und praktische Verwendung von Blut, das ansonsten (vermutlich) nicht nur verschwendet werden, sondern auch noch Ressourcen für die Entsorgung in Anspruch nehmen würde. Natürlich handelt es sich um eine Verbindung, die nicht nur für alle Veganer und Vegetarier, sondern vermutlich auch für Juden und Muslime problematisch sein wird. Dann war da noch Daniel Tratter, der ein Thema bearbeitet hat, das uns besonders am Herzen liegt: Kaugummi – eines unserer wichtigsten Utensilien. Offenbar werden weltweit jährlich rund 560.000 Tonnen Kaugummi verbraucht, von denen rund 560.000 Tonnen als amorphe Flecken auf Gehwegen enden. Doch wie Daniel Tratter herausstellt, können die Komponenten des Kaugummis, vor allem die auf Erdölbasis, geborgen, recycelt und, wie Tratter deutlich macht, als Material verwendet werden. Neben dem zeitgenössischen Kaugummi hat sich Daniel Tratter auch mit einem vom neolithischen Alpenjäger Ötzi geklauten Proto-Gummi beschäftigt, das im Wesentlichen aus Propolis, einer Mischung aus Bienenspeichel, Bienenwachs und verschiedenen Pflanzenstoffen besteht, und damit einerseits ein nach wie vor natürlich erhältliches Produkt und darüberhinaus eine in vielerlei Hinsicht nachhaltigere und gesündere Form des Kaugummis ist.
In der Nähe des Hauptgebäudes der Designabteilung der UdK, dem Designtransferzentrum der UdK, präsentierte Niklas Böll Bachelor-Abschlussprojekte zum Thema Produktdesign, darunter „Holz und Wasser“ von Niklas Böll; Das Konstruktionsspielzeug „Wurm Werkstatt“ von Katharina Bellinger, das über eine Vielfalt an Konstruktionsmöglichkeiten und ein intuitives Verbindungssystem verfügt und Marie Scheurers Projekt mit dem herrlichen Titel „piPE“, das vor allem den Komfort öffentlicher Toiletten für Frauen neu definiert, indem es eine berührungslose Nutzung ermöglicht.
Weitere Informationen zur Universität der Künste Berlin sind auf https://design.udk-berlin.de/ zu finden, Informationen zu allen Bachelor-Abschlussprojekten gibt es auf https://design.udk-berlin.de/produktdesign-ba/absolventen/
Es ist ein paar Jahre her, dass wir es das letzte Mal an die FH Potsdam (FHP) zur Werkschau geschafft haben. Das Areal hat sich in dieser Zeit zumindest enorm weiterentwickelt. Es ist nicht so, dass die Fachhochschule früher allein in unbekannter Wildnis stand, als urban konnte das Umfeld jedoch nie bezeichnet werden. Leider wurde hier im Zuge der zwangsläufigen, schnellen Expansion nicht mit Stadtplanung und Innenarchitektur experimentiert. Stattdessen wurden, wie in ganz Potsdam, einfach so schnell wie möglich Wohnblöcke gebaut. Und dennoch wird damit die Nachfrage derer, die vor dem überhitzten Berliner Wohnungsmarkt fliehen, nur knapp abgedeckt. Eine Massenbewegung, die wohl tendenziell dazu führt, dass in Potsdam immer mehr Häuser gebaut werden. Letztendlich wäre aber eine stärkere Vernetzung zwischen Berlin und Brandenburg erforderlich…
Im Mittelpunkt der Werkschau 2019 der FHP standen, wie der Name schon sagt, die Ergebnisse der zahlreichen Klassen aus allen Studiengängen, von Einführungskursen wie „Deconstructing Bauhaus“, in denen die Studierenden das Bauhaus anhand eines 3D-Objektes reflektierten, oder der „Life Drawing“ Klasse – die FH Potsdam ist eine der wenigen Designschulen, die Aktzeichnen noch in ihren Lehrplan aufnehmen – , bis hin zu spezifischeren Klassen wie dem Produktdesignkurs „Mobility Lap“, der nach innovativen, zukunftsorientierten Lösungen für den städtischen Verkehr suchte. Was dabei herausgekommen ist, wissen wir nicht, weil der Raum verschlossen war. Ohne Hinweis auf irgendeinen Grund. Für uns ist das völlig unverständlich, obgleich abgeschlossene Türen und nicht existierende Projekte ein fester Bestandteil von Ausstellungen aller Designschulen zu sein scheinen. Im Laufe der Jahre haben wir Tausende erlebt. Aber besser schnell zu den nächsten geöffneten Räumen.
….wo wir Projekte gefunden haben wie die der Industriedesignklasse „Tables“, die geschickt zeigte, dass Tischdesign ein Zweig des Möbeldesigns mit viel Potenzial ist. Oder die Kommunikations-/Produktdesignklasse „Stranger Things – Prototyping Inconvenience“, hier waren die Studierenden angehalten, „Funktionalitäten und Interaktionen zu entwerfen, die frech und herausfordernd sind und nicht angenehm und bequem“. Die Klasse „Wasser Kochen“ mit und von Julia Läufer und Johannes Cremer forderte die Studierenden auf, einen Wasserkocher „between function and representation“ zu entwerfen, was zu einer erfreulichen Sammlung von Kesseln führte, die zwischen konzeptuellen und technischen Erwägungen angesiedelt sind.
Genauso erfreulich war die Klasse „Die Sache mit dem Plastik“ von und mit Christian Rühlmann und Prof. Holger Jahn. Der Kurs mit dem wunderbar zweideutigen Namen führte zu einer Reihe interessanter Projekte: Darunter Xiaotong Xiongs Nachbildung eines Joghurtbechers und eine Kunststoffurne von Alma de Andrade Sanderink. Kunststoffe halten für immer, jedenfalls für eine sehr lange Zeit, und somit gibt es kein besseres Material, um die Überreste eines geliebten Menschen darin aufzubewahren. Hier steckt natürlich auch, man spürt es, eine Parodie, eine implizite Kritik mit drin. Und die mögen wir sehr.
Weitere Informationen gibt es auf www.fh-potsdam.de.
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