Treue Leser wissen, dass wir uns häufig über die Monotonie und Homogenität auf Möbelmessen beklagen. Dieselbe Beobachtung machte aber auch jemand anderes. In seinem 2015 erschienenen Buch „Swedish Design: An Ethnography“ beschreibt der Anthropologe Keith M. Murphy einen Besuch der Stockholm Furniture Fair sinngemäß mit den Worten: „Das Problem war, dass sich Vieles so sehr ähnelte und ich habe mich in der Ausstellung nur schwer zurechtgefunden.“ Später fügt er hinzu: „Es werden nicht verschiedene Arten von Objekten gezeigt, sondern viele Objekte derselben Art.“1 2006 wie 2019. Interessanterweise bemerkt er weiterhin, man könne sich dem Eindruck nicht entziehen, Schweden stehe unter einer Tyrannei einfacher Formen und kräftiger Farben. Heutzutage sind es wahrscheinlich eher Pastelltöne, aber naja …
Das passiert nicht nur in Stockholm, sondern überall, wo sich die Möbelindustrie versammelt. Natürlich gibt es dafür diverse Gründe, die hier den Rahmen sprengen würden. Die Konsequenz ist jedenfalls, dass es auf jeder Möbelmesse zwar viele ansprechende Objekte gibt, sich diese aber wiederholen, stets die gleiche Sprache sprechen und so schnell langweilig werden. Trotzdem gibt es auch Produkte, die etwas Interessantes zu sagen haben und das auch noch intelligent, eloquent und ansprechend. Möglicherweise haben wir einige Schätze verpasst oder nicht verstanden, aber hier kommen unsere High 5 der Stockholm Furniture Fair.
Im Rahmen der Renovierung und Modernisierung des Schwedischen Nationalmuseums in Stockholm wurden etwa 20 Designstudios aufgefordert, neue Möbel und Armaturen für das neue Interieur zu entwerfen. Ein faszinierendes Konzept: Jedes Nationalmuseum trägt durch die Objekte, die es sammelt und ausstellt, natürlich einen wichtigen Teil zum Verständnis der nationalen und besonders der kulturellen Identität bei. Das Mobiliar ist mindestens ebenso bedeutend, denn es gehört nicht nur zur Sammlung, sondern wurde vom Museum selbst mitgestaltet und für angemessen befunden, Schweden 2018 zu repräsentieren. Auf dieses Thema kommen wir vielleicht nochmal zurück.
Wir hatten den Eindruck, dass die meisten der etwa 80 neuen Objekte des Nationalmuseums auf der Stockholm Furniture Fair 2019 als neue Produkte gelauncht wurden. Die Messe wird/wurde jedenfalls mit NM Objekten überflutet, von denen uns der Café Table NM von Afteroom besonders gut gefallen hat.
Der Café Table NM ist ein simpel gehaltener höhenverstellbarer Tisch, der sowohl für Cafés als auch für Bistros geeignet ist. Die Höhe wird verstellt, indem er aus dem Betonsockel herausgeschraubt, in das andere Loch gesetzt und festgeschraubt wird. Der Tisch ist sicher und stabil und die direkte Ästhetik verdeutlicht die Funktionalität, die den Bedarf nach verschiedenen Tischen für unterschiedliche Anlässe überflüssig macht. Da soll nochmal jemand behaupten, ein Betonklotz könne nicht intelligent und Teil der Zukunft sein. Der Café Table NM ist der Beweis, dass dies doch möglich ist. Obwohl der Tisch eher für den Objektbereich konzipiert wurde, können wir ihn uns auch gut im Wohnbereich vorstellen, idealerweise auf dem Balkon oder der Terrasse. Die Tischplatte aus Metall und Leder müsste dann neu konzipiert werden, aber das wäre ja kein Problem. Vor dem Hintergrund der Überlegungen, dass das Nationalmuseum das Verständnis von nationaler kultureller Identität bewahren soll, ist auch interessant, dass der Café Table NM von zwei in Schweden lebenden Designern mit taiwanesischen Wurzeln entworfen wurde.
Wir sind der Meinung, dass es auf den gegenwärtigen Möbelmessen zu wenig Couch- und Beistelltische mit integriertem Regal gibt. Forest zeigt uns, dass es nicht unbedingt ein Regal unter der Tischplatte sein muss, es kann auch ein Ordnungssystem sein, das für die Dinge, die man in der Nähe haben möchte, Platz bietet. Und dieses System muss weder kompliziert noch starr sein.
Maria Sterner entwarf das Objekt im dritten Studienjahr an der Malmstens Linköping Universität im Rahmen eines Projekts mit dem schwedischen Hersteller Blå Station. Forest besteht aus beweglichen Holzstäben, von denen vier die gläserne Tischplatte halten. Die restlichen dienen als Stütze oder schaffen Platz für alles, was unter der Tischplatte liegt. So entsteht freier, variabler Platz innerhalb des Objekts, was auch noch platzsparend ist. Das System ist so logisch, dass wir nichts hinzuzufügen haben. Wir hoffen, dass Maria Sterner die Möglichkeit bekommt, sich weiterzuentwickeln.
Niemand – und wir als Allerletztes – würde behaupten, dass ein Schraubhocker aus Holz etwas Neues wäre. Ist er nicht. Aber Mia Cullins Zweisitzer-Variante für NC Nordic Care hat etwas sehr Angenehmes an sich.
Wie der Name des Unternehmens verrät, ist NC u. a. auf Möbel für Pflegeeinrichtungen und Seniorenheime spezialisiert. Im Alter ist man eingeschränkter und kann sich nicht mehr genau so hinsetzen wie früher und selbst wenn man es doch kann, kann man vielleicht nicht mehr so gut aufstehen. Höhenverstellbare Sitzmöglichkeiten sind daher in Pflege- und Senioreneinrichtungen sinnvoll, besonders Bänke, deren Sitzplätze sich unabhängig voneinander verstellen lassen. So können Menschen mit unterschiedlichen körperlichen Voraussetzungen nebeneinandersitzen. Dies ist nicht nur in Pflege- und Senioreneinrichtungen denkbar, sondern an jeglichen (halb-)öffentlichen Orten, z. B. in Büros, Museen, Bibliotheken oder an Bushaltestellen. Wir werden nämlich nicht nur alle einzeln älter, sondern gemeinsam. Wenn wir es richtig verstanden haben, war Mia Cullins ursprüngliche Idee, dass Kinder und Erwachsene auf gleicher Höhe sitzen können sollten, was nicht nur sehr demokratisch ist, sondern vor allem in Bildungseinrichtungen und anderen Einrichtungen für Kinder, Cafés und tatsächlich auch zu Hause sinnvoll ist.
Das Objekt ist leicht zugänglich, intelligent gestaltet, selbst bei maximal eingestellter Höhe sehr stabil und ermöglicht ein wenig Bewegung beim Sitzen. Beim Anblick von Orkester dachten wir, dass es so etwas doch schon geben muss, so offensichtlich, so selbsterklärend und intuitiv, wie es ist. Bisher haben wir aber nichts dergleichen gefunden, was zeigt, dass die naheliegendsten Lösungen oft die schwierigsten sind. Sie brauchen auch länger, um auf den Markt zu kommen – Mia Cullin entwarf Orkester bereits 2014.
Wir haben den Johanson Hocker My Ring von Färg & Blanche schon in der Ausstellung „The Baker’s House“ gesehen, bevor wir ihn auf der Messe entdeckten und haben über ihn somit länger nachgedacht, als über andere Ausstellungsobjekte. Dennoch stach er hervor.
In vielerlei Hinsicht ist dies die Fortsetzung der Frankie Collection der beiden Designer, in der sich ein Rahmen aus Metalldraht um die Polsterung windet und dabei sowohl als dekoratives als auch als funktionales Element fungiert. Bei My Ring unterbricht der Metallring nicht nur das Objekt, teilt es optisch in Sockel und Sitzfläche und verhindert so, dass es aussieht wie ein monotoner Klumpen, sondern erweitert auch seine Funktionalität. Eigentlich ist der kleine Ring am großen Ring dafür verantwortlich, denn dank diesem kann man den Hocker hochheben. Das leichte Sitzmöbel bietet nicht nur Komfort und Stabilität, sondern lässt sich auch angenehm tragen, wenn man in der anderen Hand einen Laptop, Kaffee oder einen zappelnden Wombat transportieren muss, man weiß ja nie. Der angenehm simple Hocker My Ring eignet sich für den Wohnbereich genauso wie für moderne Büros, Geschäfte oder öffentliche Orte; allerdings gefällt uns der Name nicht so gut.
Wir würden nicht behaupten, ein wandelndes Lexikon mit Wissen über Windsor-Stühle zu sein, aber wir haben durchaus schon einige gesehen und über noch mehr gelesen. Etwas wie Capellagarden Trä ist uns allerdings bisher nicht begegnet. Es handelt sich um eines dieser Werke, das so aussieht, als basiere es auf einem traditionellen Volkskunstobjekt. Etwas, das aus bestimmten Gründen in einem geografisch begrenzten Gebiet Schwedens entstanden ist und verschwand, als sich ändernde Gegebenheiten es überflüssig machten.
Wir haben nicht persönlich mit Lea Lacroix geprochen, aber laut ihrer Kollegen gibt/gab es keinen Vorgänger in der Volkskunst, was das Objekt noch attraktiver macht. Es wurde aber darüber gesprochen, dass man es zur Meditation nutzen könnte, was Sinn ergibt: eine niedrige, breite Plattform, auf der man seine favorisierte Meditationsposition einnehmen kann. Und plötzlich wird aus einer skandinavischen Formensprache eine asiatische, wie konnte das passieren? Was hat sich verändert? Der kulturelle Kontext, in dem wir es betrachtet haben. In diesem Wandel liegt für uns die Kompetenz des Objekts, die Selbstsicherheit des Möbels, das sich selbst versteht und nichts anderes sein möchte.
Meditation ist nicht unbedingt etwas für uns, aber mit ein paar Kissen, vielleicht einer Decke und einem leckeren Getränk wird aus Capellagarden Trä eine Leseecke oder einfach ein gemütlicher Rückzugsort und schon ist alles wieder skandinavisch!
Das Objekt wurde im zweiten Jahr an der Capellagarden Hochschule entwickelt und wir wissen nicht genau, ob es Capellagarden Trä heißt, aber das stand auf der Karte, die wir mitgenommen haben. Das schwedische Wort „Trä“ bedeutet „Holz“, wir sind uns also nicht ganz sicher. Da wir es auch nicht ausprobieren konnten, können wir nichts zum Sitz- und Liegekomfort sagen, aber wir zweifeln auch nicht daran. In Bezug auf Form, Proportionen, Größe und Nutzungsmöglichkeiten ist es ein charmantes und durch und durch ansprechendes Objekt.
1. Keith M. Murphy, Swedish Design: An Ethnography, Cornell University Press, Ithaca, New York, 2015
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