Together! Die neue Architektur der Gemeinschaft @ Grassi Museum für Angewandte Kunst Leipzig

Genau wie immer populärer werdende Coworking-Konzepte Arbeit und Arbeitsplätze verändern, verändert das beliebter werdende Zusammenwohnen das Verständnis von Wohnraum. Die Ausstellung „Together! Die neue Architektur der Gemeinschaft“ im Grassi Museum für Angewandte Kunst Leipzig rückt das gegenwärtige gemeinschaftliche Wohnen in den Fokus. 

Poolhaus Vienna, as seen at Together. The new architecture of the collective the Grassi Museum für Angewandte Kunst Leipzig

Poolhaus Wien, gesehen in der Ausstellung „Together! Die neue Architektur der Gemeinschaft“, Grassi Museum für Angewandte Kunst Leipzig

Die ursprünglich im Vitra Design Museum in Weil am Rhein eröffnete Ausstellung „Together! Die neue Architektur der Gemeinschaft“ startet, wie es für jede kompetente Analyse der gegenwärtigen Gesellschaft üblich sein sollte/muss, mit einem Rückblick auf vergangene Projekte zum Thema gemeinschaftliches Wohnen, seien das Kommunen, besetzte Gebäude, dezentralisierte Gemeinschaften, karitative Projekte oder Architekturentwürfe. Darunter befinden sich u. a. die Projekte Phalanstère von Charles Fourier aus dem Jahr 1820 oder Hull House Chicago aus dem Jahr 1889, Entwürfe aus der Zeit der Moderne und des Funktionalismus wie Le Corbusiers Gebäude Unité d’Habitation in Marseille, das u. a. einen Kindergarten auf dem Dach beherbergt oder das von Sven Markelius und Alva Myrdal entworfene Kollektivhuset in Stockholm, das über Gemeinschaftsküchen verfügt. Auch modernere Projekte sind vertreten, darunter z. B. Byker Wall in Newcastle, Co-op City in New York, Oscar Niemeyers Edifício Copan in São Paulo und Torre David in Caracas, eines der neueren Beispiele für den Konflikt zwischen den Bedürfnissen der Menschen und den Entwürfen der Architekten und dafür, dass gemeinschaftliches Wohnen seine ganz eigene natürliche Dynamik entwickeln kann. 

Vor diesem historischen Hintergrund ist der Hauptteil von „Together!“ in zwei Ausstellungen gegliedert. Der erste Teil beinhaltet maßstabsgetreue Modelle von 21 internationalen gegenwärtigen Projekten zum Thema gemeinschaftliches Wohnen, die sich gegenseitig ergänzen um den Eindruck eines integrierten Stadtbildes zu erwecken und die, obgleich sie ineinander zu verschmelzen scheinen, doch eine Basis für Vergleiche bieten. In der Ausstellung ist außerdem ein Modell einer Gemeinschaftswohnung im Maßstab 1:1 zu besichtigen, das mithilfe einer von Daniel Burchard erstellten Fotoserie verschiedener gemeinschaftlicher Wohnprojekte und mit deutsch-englischen Zitaten vieler Bewohner Aspekte des gemeinschaftlichen Wohnens erklärt. Der künstliche Aufbau erweckt ein wenig den Eindruck, man befinde sich bei IKEA, mit dem Unterschied, dass einem hier niemand etwas verkaufen möchte. Vielmehr sollen die Besucher dazu ermutigt werden über die Vor- und Nachteile des Zusammenwohnens nachzudenken und so das eigene Verständnis und den eigenen Standpunkt zu dem Thema gegenwärtiges gemeinschaftliches Wohnen weiterzuentwickeln bzw. zu festigen. Die eigene Meinung kann am Ende der Ausstellung per Videobotschaft mit anderen Besuchern geteilt werden. Der letzte Teil der Ausstellung „Together!“ widmet sich fünf der 21 Projekte im Detail und erklärt anhand von Filmen, Dokumenten, Fotos und Skizzen die praktischen Aspekte des Arrangements. Im Anschluss wird der Besucher zu einem Kicker-Spiel eingeladen, was natürlich Sinn ergibt. 

Utopia Now. Historic commual housing projects, as seen at Together. The new architecture of the collective the Grassi Museum für Angewandte Kunst Leipzig

Utopia Now. Historische Projekte des Zusammenwohnens, gesehen in der Ausstellung „Together! Die neue Architektur der Gemeinschaft“, Grassi Museum für Angewandte Kunst Leipzig

Während das kompakte, in sich geschlossene Ausstellungsdesign in Kombination mit den kurzen bilingualen Texten, die glücklicherweise ohne Architektur-Jargon auskommen, einen leichten Zugang zur Thematik ermöglicht, fordert „Together!“ dennoch einige Mitarbeit der Besucher. Nicht allzu viel, keine Panik, die Materie ist nicht kompliziert und die Ausstellung erklärt und erörtert auch mehr, als dass sie theoretisiert und seziert. Trotzdem ist es keine Veranstaltung, durch die man schnell hindurchhuscht und sich über die schöne Umgebung freut, man sollte etwas Zeit und Konzentration mitbringen. Wenn Sie dies beherzigen, werden Sie eine leicht verständliche und logisch aufgebaute Ausstellung erleben, die zwar für das gemeinschaftliche Wohnen eintritt, Ihnen aber die Entscheidung überlässt, ob diese Wohnform sich in Zukunft durchsetzen wird. 

Warum Sie das tun sollten? Wir können gar nicht glauben, dass Sie das fragen! Weil die Zukunft des öffentlichen Raums uns alle angeht und wir diesbezügliche Entscheidungen nicht Architekten, Designern und Kaliforniern allein überlassen sollten, sondern uns mit ihnen beschäftigen müssen, seien es Fragen zur zukünftigen Mobilität, Arbeit, Shopping, Bildung oder zum Wohnen.

Ist das Konzept des gemeinschaftlichen Wohnens eine zukunftsorientierte Lösung? Im historischen Rückblick werden einige weniger positive Entwicklungen hervorgehoben, die im Zusammenhang mit solchen Gemeinschaftsprojekten auftreten können. Obwohl vieles von dem, was heute praktiziert wird, auch früher praktiziert wurde, fand es nie die Akzeptanz in der Öffentlichkeit, die es heute bekommt. Eine Tatsache, die unsere sich stets weiterentwickelnde Gesellschaft widerspiegelt.

Einerseits ist der demografische Wandel allgegenwärtig, sei es die alternde Bevölkerung, immer mehr allein lebende Menschen oder eine immer mobilere, unstetere Bevölkerung, was dazu führt, dass das Thema Wohnen dringend überdacht werden muss, denn die alten Konzepte geben nicht immer die Antworten, die wir brauchen. Andererseits wird städtischer Raum immer mehr zum Luxusgut, weshalb diesbezügliche Entscheidungen immer vorsichtiger getroffen werden müssen. Ein dritter Aspekt ist, dass sich das Verständnis von privatem Raum und Besitz verändert und somit auch unser Verhältnis zu allem, was uns umgibt. 

Während die Lebensplanung älterer Generationen Heirat, Kinder, Karriere, Auto, Haus, Rente und Tod beinhaltete, spielen heute soziale und gesundheitliche Themen eine größere Rolle als rein Materielles. Das gilt nicht für alle, aber doch für viele. Diese Umstände werden sich exponentiell in die momentane Richtung weiterentwickeln und es wird sich größtenteils um eine technologische Entwicklung handeln. 

Wird gemeinschaftliches Wohnen dadurch unvermeidbar? Kann/könnte/würde man den Begriff „Zuhause“ im Sinne von Ort, Rückzugsort, als gemeinsames Wohnprojekt verstehen? Oder wird hierbei der oben genannte dritte Aspekt im Vergleich zu den beiden anderen zu stark betont?

„Together!“ bietet dem Besucher die Informationen und vor allem den Raum, um selbst Position zu beziehen. Und nein, das ist nicht paradox. Der physische Raum innerhalb der Ausstellung ist für alle zugänglich, der Raum, den die Ausstellung in den Köpfen der Besucher einnimmt, ist jedoch sehr privat. 

The deeper investigation of five communal housing projects, as seen at Together. The new architecture of the collective the Grassi Museum für Angewandte Kunst Leipzig

Umfangreiche Präsentation von fünf gemeinschaftlichen Wohnprojekten, gesehen in der Ausstellung „Together!“ Die neue Architektur der Gemeinschaft“, Grassi Museum für Angewandte Kunst Leipzig

Um der Ausstellung einen Leipzig-Bezug zu verleihen erweiterte das Grassi Museum die Ausstellung des Vitra Design Museums um zehn Beispiele lokaler gemeinschaftlicher Wohnprojekte. Eine gute und logische Entscheidung, denn Leipzig hat diesbezüglich eine lange Historie: Zwei solcher Projekte, die Stiftung Meyer’sche Häuser aus dem Jahr 1900 und die Alternative Wohngenossenschaft Connewitz eG aus dem Jahr 1995, werden in dem geschichtlichen Abschnitt am Anfang thematisiert. Letzteres Beispiel erinnert daran, dass gemeinschaftliche, halb-offizielle, verbissen unabhängige, plenumslastige, architekturfreie Hausprojekte unmittelbar nach der Wiedervereinigung das Stadtbild mitdefinierten und dies mehr oder weniger bis heute tun, obgleich die einst trotzig-autonomen Projekte heute geregelter, offizieller und formal hypothekarisch belastet sind; ähnlich wie die Beispiele in der Ausstellung „Together!“. 

Dieser Teil der Ausstellung zeigt auch, dass man in Leipzig niemals weit entfernt von alten oder neuen Hausprojekten ist und verdeutlicht das Gefühl der Eigenverantwortung der Nachwendezeit, das ebenfalls starken Einfluss auf die kulturelle und soziale Entwicklung der Stadt nahm. Dazu gehört auch die unvermeidbare, von Investoren vorangetriebene Gentrifizierung, die nicht müde wird, dieses Gefühl zu ersticken.

Der Leipzig-Fokus wird in einer zweiten Ausstellung am Ende von „Together!“ sehr ordentlich weitergeführt. „Grassi Future“ beinhaltet zehn Master-Projekte von Architekturstudierenden der TU Dortmund, die sich mit Vorschlägen für eine theoretische zukünftige Erweiterung des Grassi Museums befassen. Dr. Olaf Thormann, der Direktor des Grassi Museums, unterstrich mit Nachdruck, dass die ausgestellten Arbeiten theoretische Entwürfe im Rahmen eines Studienprojekts darstellten und es keinerlei Erweiterungspläne gäbe. Trotzdem müssen sich Museen heutzutage auch physisch vergrößern und die Ausstellung der Arbeiten von Studierenden der TU Dortmund könnte ein Versuch des Grassi Museums sein, sich langsam und vorsichtig an diese Debatte heranzutasten. Nicht zuletzt deshalb, weil „Grassi Future“ guerillaartig am Ende einer Ausstellung auftaucht, in der es (im Wesentlichen) um die Zukunft der Stadtplanung geht. Das ist typisch Leipzig – und etwas, das wir sehr befürworten. Das Grassi Gebäude kann nicht uneingeschränkt erweitert werden. Der größte offene Bereich ist ein angrenzender Friedhof, wo nicht gebaut werden wird, und somit muss die Entscheidung, wo und wie das Museum wachsen könnte, vorsichtig und nach reiflicher Diskussion getroffen werden. Alle Entwürfe der TU Dortmund konzentrieren sich auf das mit Gras bewachsene Dreieck an der Vorderseite des Museums, aber ist das die einzige Möglichkeit? Und wenn ja, wie viel Platz soll genutzt werden? Soll die Grassi-Architektur beibehalten oder in einem anderen Stil gebaut werden? Eine Erweiterung würde den Johannisplatz, die Sicht vom Augustusplatz und den Charakter der Umgebung verändern und betrifft somit alle Bewohner der Stadt. Wir wohnen zwar nicht alle zusammen, aber wir leben gemeinsam in dieser Stadt und sind demnach auch gemeinsam für den öffentlichen Raum verantwortlich.

„Together! Die neue Architektur der Gemeinschaft“ & „Grassi Future“ laufen bis Sonntag, den 17. März im Grassi Museum für Angewandte Kunst Leipzig, Johannisplatz 5-11, 04103 Leipzig.

Alle Details und Informationen zum Begleit- und Kinoprogramm gibt es auf www.grassimuseum.de.

 

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