Inside Out – Einsichten der Möbelkunst @ Kunstgewerbemuseum Berlin

Es kommt nur selten vor, dass der Fokus einer Ausstellung nicht auf dem zentralsten, größten und am aufwendigsten inszenierten Objekt einer Ausstellung liegt, sondern stattdessen auf der Art und Weise wie der Besucher durch die Ausstellung geführt wird.

Man kann das ignorieren – sollte es aber nicht.

Dieser seltene Fall trifft jedoch auf die neue Ausstellung „Inside Out – Einsichten der Möbelkunst“ des Kunstgewerbemuseums Berlin zu.

Inside Out. Understanding the art of furniture making at the Kunstgewerbemuseum Berlin

„Inside Out – Einsichten der Möbelkunst“ im Kunstgewerbemuseum Berlin

Es ist zwar in Wissenschaft und Technologie Usus etwas auseinanderzunehmen um es zu verstehen, im Kontext von Möbeln allerdings wird normalerweise erwartet, dass man ein Objekt in seinem konstruierten Zustand versteht – häufig ohne es zu berühren, geschweige denn es entsprechend seiner Funktion auszuprobieren.

Im Gegensatz dazu basiert „Inside Out“ auf einem zerlegten Sekretär, der von dem Berliner Tischler Joseph Schneevogl (ca. 1835) gefertigt wurde. Das Objekt wurde dekonstruiert und liegt so in seinen physischen Bestandteilen vor. Diese Dekonstruktion verleiht den Bestandteilen eine Unabhängigkeit vom Ganzen und führt die Ausstellung zu weiteren Erkundungen und Diskursen und damit immer weiter weg vom Sekretär.

Bei der Eröffnung von „Inside Out“ erklärte Dr. Achim Stiegel, dass die Möbelherstellung ihren Platz in der Gesellschaft verloren hat. Wir würden gar nicht in Betracht ziehen, mit einem Dr. Stiegel nicht übereinzustimmen, aber behaupten, dass es trotz allem immer noch viele Designer und Hersteller gibt, die den Möbelbau sehr ernst nehmen: Die Absicht sollte sein allen anderen nicht nur zu erklären, warum die Kunst des Möbelbaus relevant ist, sondern ihnen auch die wahre Freude, die man an wohlüberlegten und realisierten Objekten haben kann zu vermitteln. Und genau diese Intention bildet den eigentlichen Mittelpunkt von „Inside Out“.

Chest of drawers by students at Berufsschule für Holzschnitzerei und Schreinerei in Berchtesgadener,games table by André Kotik, and desk by Christian Mathis

Kommode von Studierenden der Berufsschule für Holzschnitzerei und Schreinerei in Berchtesgaden, Spieltisch von André Kotik und Sekretär von Christian Mathis

Darüber hinaus ermöglicht die Dekonstruktion des Sekretärs die Erforschung des Objektes und des Kontextes, in dem es geschaffen wurde. Der mahagonifurnierte Sekretär entstand im frühen 19. Jahrhundert, einer Zeit, in der das Aufkommen von Furnier das Möbeldesign entscheidend beeinflusste. Diese Periode wurde zuvor 2017 im Kontext der Ausstellung Plywood“ im V&A Museum London diskutiert. Zudem gibt der Sekretär Aufschluss über die Geschichte der Tropenholzernte der Kolonialzeit und die auch aktuell damit verbundenen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Fragen.

Abgesehen von den historischen Aspekten geht „Inside Out“ auch auf die aktuellen Entwicklungen in der Furniertechnik ein. So zum Beispiel auf den aktuellen Stand des Tischlereihandwerks und vor allem auf das in Dresden entwickelte und heute von Danzer vertriebene sogenannte 3D-Furnier, das die Herstellung sehr viel komplexerer Furnierobjekte als bisher ermöglicht. Das Material taucht in „Inside Out“ in Form der Kurven, Vertiefungen und Rundungen von Thomas Pedersens Stingray-Stuhl für Fredericia auf, aber auch in Form einer Hermann-Miller-Version der Eames-S-Schale aus geformtem Santos-Palisander aus dem Jahr 2010 – was 1950 bei der Realisierung der Fiberglass-Version nicht möglich gewesen wäre. Traditionellere Aspekte der zeitgenössischen Furniertechnik und Tischlerkunst sind in einer Serie von Meisterstücken Berliner Handwerker und in den Objekten von Studierenden der Berufsschule für Holzschnitzerei und Schreinerei in Berchtesgaden zu finden.

Auch wenn es sich keineswegs um eine chronologische Ausstellung handelt, ist die Verbindung von Historischem und Zeitgenössischem ein Grundthema der Ausstellung – der Vergleich des Sekretärs von 1835 mit zeitgenössischen Möbeln wirft viele Fragen auf. Wie viel von damals ist im zeitgenössischen Möbeldesign/-bau erhalten? Wie viel haben wir im Bereich Möbeldesign/Konstruktion verloren, welche Gründe finden sich ggf. dafür? Vor allem die Analyse des Schneevogl-Sekretärs von 1835 mit seinen Geheimfächern, komplizierten Mechanismen und gut durchdachten erweiterten Funktionalitäten neigt dazu die Position zu stützen, dass wir in Zeiten leben, in denen sich die Menschen zunehmend weniger für die Kunst der Möbelherstellung interessieren bzw. in der wir als Gesellschaft aufgehört haben eine gute, sogar interessante Möbelherstellung einzufordern. Bei der Besichtigung des Sekretärs erinnerten wir uns an die Objekte von F.G. Hoffmann, die 2014 in der Ausstellung „Vornehmste Tischlereiarbeiten aus Leipzig“ im Grassi Museum zu Leipzig präsentiert wurden: Werke, denen, obwohl ein Jahrhundert älter als Schneevogl, die gleiche Abenteuerlust, die gleiche Freude an der eigenen Existenz, eine fast theatralische Auffassung von Möbeln, von Möbeln als Lebensbegleiter, eigen war.

Inside Out. Understanding the art of furniture making at the Kunstgewerbemuseum Berlin

„Inside Out – Einsichten der Möbelkunst“ im Kunstgewerbemuseum Berlin

Innerhalb der Ausstellung finden zudem auch Streifzüge in die Botanik des Mahagoniholzes, umfangreichere Varianten der Furniertechnik und die Berliner Möbelproduktion im 19. Jahrhundert Platz. Eine ganze Menge Ausstellung auf relativ kleinem Raum, und mit einer relativ kleinen Anzahl von Objekten; und deshalb eine Ausstellung, die mit einer kühnen Kürze auskommt. Manchmal gelangt man ungläubig an das Ende eines Abschnitts und wünscht sich verzweifelt mehr Informationen, andere Perspektiven, erweiterte Ansichten. Aber sie kommen nicht.

Das bedeutet aber vor allem, dass sich die Ausstellung eben nicht in einem Bereich verzettelt und stattdessen in Bewegung bleibt und so eine unterhaltsame und informative Einführung in ihr Thema ermöglicht. Jeder Abschnitt könnte/sollte eine eigene Ausstellung sein, und so könnte man fast behaupten, dass es sich um einen Prolog handelt. So gibt es am Ende mehr als genug Spielraum, Impulse und Inspiration für weitere Untersuchungen auf eigene Faust.

Stingray by Thomas Pedersen for Fredericia at Inside Out. Understanding the art of furniture making, the Kunstgewerbemuseum Berlin

Stingray von Thomas Pedersen für Fredericia, gesehen in der Ausstellung „Inside Out – Einsichten der Möbelkunst“

Hervorzuheben sind auch die prägnant ausgeführten zweisprachigen deutsch-englischen Texte und eine Broschüre, die den Besucher zu weiteren Exemplaren von Furniermöbeln an anderer Stelle in der ständigen Sammlungsausstellung des Museums führt, sei es aus Mittelalter, Barock oder Jugendstil.

„Inside Out – Einsichten der Möbelkunst“ läuft bis Sonntag, den 24. Februar im Kunstgewerbemuseum Berlin, Matthäikirchplatz, 10785 Berlin.

Alle Details zu „Inside Out“ und dem Kunstgewerbemuseum Berlin finden Sie unter www.smb.museum/kunstgewerbemuseum.

A table by Joseph Schneevogl with an impression of Tegernsee, as seen at Inside Out. Understanding the art of furniture making, the Kunstgewerbemuseum Berlin

Tisch mit Bild des Tegernsees von Joseph Schneevogl, gesehen in der Ausstellung „Inside Out – Einsichten der Möbelkunst“ im Kunstgewerbemuseum Berlin

Eames S shell for Herman Miller in fibreglass and Santos-Pallisander at Inside Out. Understanding the art of furniture making, the Kunstgewerbemuseum Berlin

Eames-S-Schale aus Fiberglass und Santos-Pallisander für Herman Miller, gesehen in der Ausstellung „Inside Out – Einsichten der Möbelkunst“ im Kunstgewerbemuseum Berlin

Tagged with: , , , , , ,