„Welchen Fehler braucht ein System?“ fragt die Kunsthochschule Burg Giebichenstein Halle in ihrer Jahresausstellung 2018.
Und mit dieser Frage sollte gleichsam die Bedeutung von Versuch und Irrtum, die Bedeutung der Poesie, der Unvollkommenheiten, des Unkorrekten, des Unbeabsichtigten, des Zufälligen und des Geplanten – letztlich aber Erfolglosen hervorgehoben werden. Schließlich benötigt jedes sonst gut organisierte, professionelle und zielgerichtete System einen „Belästigungsfaktor“, eine Quelle der Unvollkommenheit, des Chaos‘, des Widerstands, des Experimentierens – eine Verirrung, um es frisch, aufregend, relevant und vital zu halten.
Die Tradition verlangt, dass wir jeden Post über die Kunsthochschule Burg Giebichenstein Halle mit der Aussage beginnen, dass sie vier Jahre älter ist/war als ihr weitaus berühmterer Nachbar, das Bauhaus, und so immer – zu Unrecht – im Schatten von Walter Gropius‘ Schule stand. Wer mehr über die Geschichte der Burg Halle erfahren will, den verweisen wir auf unseren Campustour-Post 2017, aber auch auf unseren Beitrag zur Ausstellung „Moderne in der Werkstatt – 100 Jahre Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle“ im Kunstmuseum Moritzburg. Halle hat im Gegensatz zu Weimar nämlich sein hundertjähriges Bestehen bereits gefeiert.
Die Jahresausstellung 2018 der Burg bot den gewohnten Mix aus Semester- und Abschlussarbeiten aus den Studiengängen, wobei der Schwerpunkt auf der Gestaltung lag. Unter den Semesterprojekten, forderte „Metamorphosen“ beispielsweise die Studenten heraus, Max Bills Ulmer Hocker zu überdenken; „kunst.stoffe“ ließ die Studenten ein Objekt entwickelten, das aus recyceltem Spritzguss-Kunststoff hergestellt werden sollte; während der Grundkurs „Gropius meets Madonna“ die Studenten aufforderte, ein Objekt- oder Raumkonzept zu entwickeln, das auf einer Fusion zweier gegensätzlicher künstlerischer/kreativer Charaktere basiert und so zu Paarungen wie Alvar Aalto/Jean Michel Basquiat, Richard Sapper/Rachel Whiteread oder mischer’traxler/Helene Fischer führte – letztere Paarung brachte uns ganz besonders zum Lachen. Leider können wir uns aber nicht erinnern, wessen verdrehter Verstand sich das ausgedacht hat.
Von den Abschlussprojekten hat uns um ehrlich zu sein keines besonders angesprochen, was in Ordnung ist. Schließlich verlieren sie deshalb nicht ihre Daseinsberechtigung – man stelle sich vor, wie frustrierend und unmöglich in dem Fall die Welt wäre!
Die Teilnehmer des Grundkurses „Material.Form.Objekt“ wurden im Rahmen des Projekts „Die absurde Maschine“ dazu aufgefordert eine Maschine zu bauen, die einen an ein Frühstück erinnernden Prozess durchführt. Das Ergebnis war eine absurde Mischung aus Heath Robinson-ähnlichen Draht- und Schrottkonstrukten, die so unterschiedliche Aufgaben wie das Schälen einer Banane, das Schneiden von Erdbeeren oder, und ein besonderer Favorit von uns, mit den gemeinsamen Bemühungen von nur vier Personen das Falten eines Crêpes ermöglicht. Man stelle sich das vor!
Erfreulich und unterhaltsam, wenn auch absurd. Ganz im Gegensatz zu einigen der völlig absurden, unpraktischen, unlogischen und überflüssigen digitalen Projekte, die wir bisher auf unserer #campustour erlebt haben, und die Ausdruck eines unerschütterlichen Glaubens an die Vorherrschaft der Technologie sind. Nach dem Prinzip, dass wir Maschinen alles für uns tun lassen müssen, wenn die Gesellschaft überleben soll.
Eine der Präsentationen bei Sectie-C während der Dutch Design Week 2017, an der man nicht vorbeikam, war die der Plattform „Precious Plastic“. Sie wurde 2013 von Dave Hakkens, Absolvent der Design Academy Eindhoven, gegründet und zielt darauf ab, das Recycling von Kunststoffabfällen durch die Entwicklung von Open-Source-Maschinen zu fördern. Das Recycling und die Wiederverwendung von Kunststoffen soll einfacher und logischer sein als ihre Entsorgung. Basierend auf einem globalen Netzwerk von Unterstützern, die neue Werkzeuge, Prozesse, Ideen usw. einbringen, ermöglicht „Precious Plastic“ kosteneffizientes, technologisches und lokales Recycling von Kunststoffabfällen. „Precious Plastic“ hilft also bei der Entsorgung unserer Kunststoffabfälle, auch wenn es keine Antwort auf unsere Abhängigkeit von Kunststoffen liefert. 2017 übernahm „Precious Plastic“ auf dem Gelände von Sectie-C eine große Halle und füllte sie mit Maschinen, Objekten, die von der dortigen Gemeinschaft geschaffen wurden, und riesigen Mengen an Kunststoffabfällen. Wir wissen nicht, ob sich die MAKE-Plattform der Burg Giebichenstein in diesem Moment entschied, dem globalen Netzwerk beizutreten, aber seit Februar 2018 gibt es an der Burg eine Kunststoffrecyclingfabrik, die auf den Precious-Plastic-Maschinen basiert. Das ist nicht nur wichtig, um eine kommende Generation von Designern zu ermutigen, aktiver über die Abfälle nachzudenken, die sie in ihrer täglichen Arbeit produzieren, sondern auch weil Designschulen eine Führungsrolle übernehmen und nicht nur Plattformen für die Entwicklung von Ideen, sondern auch für deren Umsetzung und Kommunikation mit anderen sein sollten.
Unter Leitung der Gastprofessoren Amelie Hinrichsen und Till Bovermann sollten die Studierenden im Rahmen der Semesterklasse „Interspecies – Kommunikatiosnversuche“ darüber nachdenken, wie purer Klang genutzt werden kann, um der menschlichen Spezies zu ermöglichen mit nichtmenschlichen Arten zu kommunizieren, offenbar um uns zu entschuldigen und eine Übersetzungsmaschine dafür zu entwickeln. Unter den abwechslungsreichen und zum Teil wirklich nachdenklichen Ergebnissen entwickelte Yan Ni mit „Ich möchte dich verstehen“ eine Methodik zur Kommunikation mit Pflanzen; „Endangered Buddies“ von Natalie Treutner besteht aus einer Familie von Kuscheltieren, um Kinder über gefährdete Arten zu informieren; während Mathis Hosemann mit „Blind Faith“ ein Computerprogramm entwickelte, das jede Minute nach einem Algorithmus eine neue Religion erzeugt und so freudige Schriften wie „Geld ist außergewöhnlich“ produzierte.
Im Rahmen der Veranstaltung „Hast du ein Problem, oder was?“ des zweiten Studienjahres wurden die Studierenden gebeten, ein Problem in Erfahrung zu bringen, das einen ihrer Freunde oder eines ihrer Familienmitglieder beschäftigt und dieses durch ein Möbelstück zu lösen.
Wir wissen nicht, welches Problem Paula Schrott lösen wollte, aber „sowieso“ gefällt uns. Durch die Kombination von Schuhfach mit Hängeschrank, Spiegel und niedriger Bank bietet „sowieso“ alles, was man für den heimischen Eingangsbereich benötigt in einem angenehm unkomplizierten Objekt. Besonders angenehm ist, dass der Spiegel gleitet, d.h. die Schienen und Regale in voller Länge genutzt werden können. Und warum ist die Spiegelkomponente so tief? Weil sie auch eine kleine Aufbewahrungsbox für Handschuhe, Schals, Juteeinkaufstaschen, Hundeleinen, etc. enthält.
Unser Hauptproblem bei „sowieso“ ist, dass das Objekt etwas zu dominant wirkt und nicht über den Grad an Subtilität verfügt, den ein solches Objekt benötigt, um gut in einen Wohnraum zu passen. Ja, wir wissen, dass es sich um ein Semesterprojekt im zweiten Jahr handelt, das nicht dazu bestimmt ist, morgen in den Verkauf zu gehen: Aber trotzdem haben wir das Gefühl, dass es optisch reduziert werden müsste. Als Vorschlag ist „sowieso“ allerdings sehr interessant und wir hoffen, dass Paula Schrott eine Gelegenheit zur Weiterentwicklung erhält.
Alle Details zur Kunsthochschule Burg Giebichenstein Halle finden Sie unter www.burg-halle.de.
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