Systeme bringen Ordnung ins Chaos, ermöglichen das Verständnis von Beziehungen und Standardisierung. Und sie bedürfen eines sorgfältig durchdachten, gut gestalteten und konstruierten Verbindungselements. 1939 entwickelte der deutsche Architekt Konrad Wachsmann ein Verbindungselement aus Metall, das später zum zentralen Bestandteil des von Wachsmann in Zusammenarbeit mit Walter Gropius entwickelten General Panel Fertigbausystems wurde. Im Jahr 2018 hat sich das Bauhaus-Labor mit eben diesem Metallverbindungselement, dem sogenannten Universalknoten, mit Konrad Wachsmann und mit standardisierten, vorgefertigten Bausystemen auseinandergesetzt. Die Ergebnisse dieser Überlegungen wurden in einem eintägigen Symposium diskutiert und sind in der Ausstellung „Die Kunst des Fügens. Entwurf einer universellen Verbindung“ in der Stiftung Bauhaus Dessau zu sehen.
„Bauhaus Lab 2018. Die Kunst des Fügens. Entwurf einer universellen Verbindung“
Das 2013 eingeweihte Bauhaus Lab versteht sich als „Plattform des kollaborativen Lernens, Forschens und Gestaltens“, auf deren Basis junge Designer, Architekten, Künstler und Kuratoren ein dreimonatiges Forschungsprojekt durchführen können. Oder besser gesagt: Jeder der ausgewählten Designer, Architekten, Künstler und Kuratoren führt ein eigenes dreimonatiges Forschungsprojekt im Rahmen einer gemeinsamen Untersuchung eines bestimmten Themas durch und bündelt dabei seine individuellen Erfahrungen und Perspektiven, um zu einer vielseitigeren und differenzierteren Sicht auf das Thema beizutragen. Für seine sechste Ausgabe und im Kontext des diesjährigen Bauhaus-Themas „Norm“ nahm das Bauhaus Lab den Universalknoten von Konrad Wachsmann zum Ausgangspunkt und nutzte ihn sozusagen als metaphorischen Knotenpunkt, mit dessen Hilfe die Forschungen der acht Teilnehmer des Bauhaus Lab 2018 mit Wachsmanns Werk, dem General Panel System, und in größerem Zusammenhang mit vorgefertigten, standardisierten Bausystemen verbunden werden konnten.
In diesem Post gehen wir immer wieder auf Konrad Wachsmann und seinen Einfluss ein, da wir befürchten, dass nicht all unsere Leser vertraut mit Wachsmanns Werk sind. 2016 haben wir die teilweise recht kuriose Wachsmann Biographie in unserem Designkalender-Post angeschnitten: Geboren 1901 in Frankfurt (Oder) übernahm Konrad Wachsmann eine Stelle bei Christoph & Unmack in Niesky, Deutschland, damals einer der weltweit größten Fertighauslieferanten, bevor die Nazis 1941 seine Emigration in die USA unausweichlich machten. Dort begann er im Büro von Walter Gropius zu arbeiten, mit dem er 1942 die Firma General Panel gründete, ein Unternehmen, das die Lieferung und Montage von Wachsmanns & Gropius‘ Fertigbausystem ünernahm. Das System drehte sich im Kern um ein simpel aussehendes Verbindungselement, das praktisch die gesamte Verwendung von Nägeln, Schrauben, Haken und ähnlichen Befestigungen überflüssig machte, letztlich aber ein erfolgloses Projekt war. In vielerlei Hinsicht mehr Architekturtheoretiker denn Bauherr, war Konrad Wachsmann im Laufe der Jahrzehnte zwischen 1950 und 1980 an zahlreichen Instituten wie dem IIT Chicago, der USC Los Angeles und der HfG Ulm in Lehre und Forschung tätig und veröffentlichte zahlreiche Texte zu den Themen Architektur und Bauwesen.
Bauhaus Lab 2018. Symposium & Ausstellung
Die Ausstellung ist in drei Abschnitte unterteilt: „The Architecture of Systems“, „The contested legacy of prefabrication“ und „The topicality of the „Turning Point of Building““. Letzterer bezieht sich auf Wachsmanns Buch „Wendepunkt des Bauens“. Das Bauhaus-Laborsymposium 2018 bot umfassende, einführende Überlegungen zu den drei Themen von vier geladenen Experten – Christian Sumi, Douglas Murphy, Suzanne Strum und Georg Vrachliotis -, bevor dann die Laborteilnehmer Ergebnisse und Diskussionen aus ihrer eigenen Forschung präsentierten, wobei der Schwerpunkt ganz auf Wachsmann lag.
Diese Forschungen fasst die Ausstellung zu einer ordentlichen, von Konrad Wachsmanns Werk geleiteten Erzählung zusammen, die aber wiederum regelmäßig zu breiteren Diskursen ausholt, die mit dieser Arbeit verbunden und von ihr inspiriert sind.
Die Ausstellung beginnt logischerweise mit einer Version des Wachsmann Universalknotens und geht dann sehr schnell in der Zeit zurück, um die Ursprünge des Fertigbaus im Allgemeinen und speziell die des ehemaligen Arbeitgebers von Wachsmann, Christoph & Unmack, zu erforschen. Dem schließen sich auch die Überlegungen des Labormitarbeiters Adam Przywara über die militärischen Ursprünge des Fertigbaus und die (damit verbundene) Rolle der Fertigbauten bei der Verwirklichung und Unterstützung des Kolonialismus an. Eine Position, die während des Symposiums von dem Londoner Architekten und Autor Douglas Murphy im Kontext der Zusammenhänge zwischen Vorfertigung und Kapitalismus sehr gelobt wurde. Douglas Murphy hielt fest, dass die Vorfertigung in ihren Anfängen im Wesentlichen ein Nebenprodukt des kapitalistischen Systems war und weniger von architektonischen Anliegen motiviert wurde. Es ging vielmehr um die optimale Nutzung der verfügbaren Fabrikkapazitäten, die Sicherung von Arbeitsplätzen und die Förderung innovativer Materialien.*
Die Ausstellung „Die Kunst des Fügens“ erklärt, dass das General Panel Systems für militärische Gebäude, einschließlich Wohnraum von militärischem Personal gedacht war, bevor Privathäuser mehr in den Fokus gerieten, was in der Nachkriegszeit in Amerika ein wichtiges Thema war. Aber nicht nur dort – wie bereits erwähnt, besuchte Walter Gropius 1947 Deutschland mit dem Ziel, Aufträge für das General Panel System im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau während der Nachkriegszeit zu erhalten, und meinte, dass „ein neuer Baustil gefunden werden muss, der dem Zeitgeist entspricht“.2
Mit dem Versprechen einen effizienteren, kostengünstigeren und schnelleren Bauprozess zu ermöglichen, der wie die Stuhlproduktion von Michael Thonet den Bedarf an Fachhandwerkern eindämmen würde und von jedem mit entsprechender Ausbildung durchgeführt werden könnte, erschien der standardisierte Fertigteilebau als dieser neue Baustil; und als Jobgenerator.
Doch trotz der vielen offensichtlichen Vorteile des Systems und der besten Kontakte von Wachsmann und Gropius scheiterte die General Panel Corporation.
Man fragt sich warum.
Die Frage erhält ihre Berechtigung durch die Tatsache, dass der amerikanische Hausbau, wie im Symposium oft erwähnt, traditionell ein im Wesentlichen auf Holz basierendes Fertigteilsystem war, das heißt niemand versuchte etwas besonders Neues oder Radikales. Allerdings hätte laut Laborteilnehmerin Rhiannon Haycock ein möglicher Grund für das Scheitern der General Panel Corporation darin liegen können, dass ihre Häuser zu modern, zu streng, zu progressiv waren. Zudem könnte es sein, dass Wachsmann und Gropius einen gewissen Widerstand gegen ihre Entwürfe durch die Aufnahme von Möbeln wie denen von Charles & Ray Eames in ihr Werbematerial förderten. Denn entgegen der weit verbreiteten Annahme wurden diese Möbel nicht überall bewundert. Wie wir in unserem Beitrag zu Edward J. Wormley festgestellt haben, passten sich in den unmittelbaren Nachkriegsjahren große Teile der amerikanischen Öffentlichkeit „langsamer an die sich ändernden Bedingungen an als viele der Architekten und Designer jener Zeit“. Im Gegensatz dazu produzierten Konkurrenzfirmen wie Levitt & Sons Häuser in klassischer, akzeptierter und lesbarer US-Manier. So wie Wormleys Möbel boten auch Levitts Häuser Sicherheit und Vertrautheit. Oder, wie eine Ausstellungstafel erklärt, bot Levitt statt einer avantgardistischen Vision den amerikanischen Traum an, und das mit größerem Erfolg. In diesem Zusammenhang fällt uns der unbestreitbar amerikanische Akzent des von Wachsmann für Albert Einstein errichteten Fertigholzhauses in Caputh bei Berlin ein. Was, wenn er diese Typologie der Vorkriegszeit beibehalten hätte? Wollte Gropius die avantgardistischere Ästhetik? Waren die beiden zu dogmatisch?
Diese Gedanken wurden unterbrochen, als im Symposium eine interessante Diskussion über die Unterschiede zwischen Hütten/Kabinen und Häusern entstand. Einerseits vertrat man die Ansicht, dass die Vorbauten entgegen aller Versprechungen in der Praxis oft nicht ausreichten, nicht zuletzt deshalb, weil sie unflexibel, selten anpassbar und optisch monoton waren. Wie die Laborteilnehmerin Elizabeth Andrzejewski betonte, war der Wachsmann-Steckverbinder zwar so konzipiert, dass er zerlegbare Strukturen ermöglichte; eine Idee die Wachsmann auch immer wieder unterstrich. General Panel verkaufte allerdings Wohnhäuser, deren Strukturen die meisten Menschen nicht dekonstruieren bzw. nicht selber planen wollten. Die Systeme der Wettbewerber waren nicht problemlos demontierbar, verstanden sich aber auch nicht als solche. Und sie waren erfolgreicher.
Modularität, die Fähigkeit Dimensionen, Form, Layout und damit Funktion, Zweck und Art eines Gebäudes zu verändern, ist jedoch das eigentliche Anliegen solcher Systeme. Aspekte, die das Maxi/Midi/Mini/Möbelbausystem von Wachsmanns Kollege Fritz Haller so interessant machen.
Jedes Ende ist jedoch ein Neuanfang: Mit dem Untergang der General Panel Corporation begann Konrad Wachsmanns Lehr- und Forschungskarriere. Zunächst nahm er ein Angebot von Serge Chermayeff für eine Stelle am IIT Chicago an, wechselte dann an die USC Los Angeles, wo er die Building Research Division gründete. Von dort aus entwickelte Wachsmann einen Großteil der Arbeit, für die er am bekanntesten ist, entwickelte seine Überlegungen zu Verbindungen, Systemen, Netzwerken, Räumen und Konstruktionen weiter.
Mit sinnvoll eingesetzten Archivfotos, Dokumenten und Diagrammen und unterstützt durch Bücher, Zeitschriften, Modelle und einen Kurzfilm ist „Die Kunst des Fügens“ eine zugängliche Ausstellung, die kurz und bündig erklärt, wie das Systemdenken und der Universalknoten von Wachsmann die Konstruktionen, die Verwaltung und die Produktion von General Panels bestimmt haben, aber auch, warum Wachsmann und sein Universalknoten nach wie vor Relevanz haben. Wie kann Wachsmanns Konnektor als metaphorischer Knotenpunkt fungieren, um nicht nur die historischen Forschungen des Bauhaus-Labors zu verbinden, sondern auch Brücken in die Zukunft zu bauen?
Die Frage wie, warum und was wir konstruieren, ist heute so akut, relevant und umstritten wie damals, als Gropius und Wachsmann glaubten, dass ihr General Panel Haus die Antwort sei. Die Diskussion darüber ist heute allerdings durch die Erfahrungen der Vergangenheit bereichert und schließt neue Erkenntnisse nicht nur über Form, Funktion und Ästhetik, sondern auch über Materialien, Prozesse und Einsatzmöglichkeiten mit ein.
Einer der Gründe, warum Plattenbauten oft nicht den Erwartungen entsprechen ist wohl der, dass die Standardisierung Individualität ausschließt. Zeitgemäße Materialien und Prozesse in Verbindung mit intelligent konzipierter Modularität ermöglichen diese Individualität. In vielerlei Hinsicht könnte man argumentieren, dass die digitale Produktion und zeitgenössische Materialien die Standardisierung obsolet gemacht haben, dass wir uns in einer poststandardisierten Gesellschaft befinden. Während in den vergangenen Jahrzehnten Kostensenkungen durch Massenproduktion erreicht wurden, ist das Einzelstück heute oft so kostengünstig wie die Serie. „Alles“, was man braucht, ist ein geeignetes System für den Prozess.
Modularität ist wiederum der Schlüssel, der uns dorthin zurückbringt, wo wir vor wenigen Absätzen angefangen haben; Wachsmanns Konstruktionsprinzip, dessen Wert und Relevanz heute nicht nur besser verstanden wird, sondern das Dank moderner Verfahren und Materialien wahrscheinlich besser umsetzbar wäre. Vielleicht wurde damals das volle Potential der General Panel Corporation nicht verstanden.
„Die Kunst des Fügens“ erklärt nicht nur, wie Konrad Wachsmann sein standardisiertes Systemdenken vom Gebäude auf die gebaute Umgebung, Fabriken, Bildung usw. ausdehnte, sondern auch wie er versuchte, organisierte Räume zu schaffen, seien sie gebaut oder theoretisch. Ähnlich wie Professor Georg Vrachliotis vom Karlsruher Institut für Technologie, KIT, im Zusammenhang mit Fritz Haller feststellte, wollte er nicht nur Klassifizierungen von Konstruktionen schaffen, die vom konventionellen Verständnis befreit waren, er bewegte sich wie Haller im Laufe seiner Karriere von Bauknoten über Verkehrsknotenpunkte zu Kommunikationsknotenpunkten.
„Die Kunst des Fügens: Entwurf einer universellen Verbindung“ läuft bis Freitag, den 30. November in der Stiftung Bauhaus Dessau, Gropiusallee 38, 06846 Dessau-Roßlau.
Alle Details gibt es auf www.bauhaus-dessau.de.
* Alle Referenzen zum Symposium sind sinngemäße Wiedergaben, keine direkten Zitate. Wir bitten eventuelle Fehler zu entschuldigen.
1. US Patent 2,355,192 „Prefabricated Building“, Konrad L. Wachsmann and Walter Gropius, 8. August 1944
2. “Neue deutsche Baukunst? Gespräch mit Prof. Gropius”, Neue Zeit, Berlin, 12.08.1947