Auf der Mailänder Möbelmesse 2018 geht es (zumindest unter den eher designorientierten Herstellern) im allgemeinen um Konsolidierung, das heißt vor allem um neue Materialien, neue Farben, leichte Änderungen an bestehenden Objekten. Die eine oder andere Möbelfamilie präsentiert zudem stolz ihre neuesten Mitglieder. Kein Wunder, denn eine Mailänder Spezialität ist traditionell das Neue um des Neuen willen zu präsentieren - der Irrglaube man müsse jedes Jahr etwas Neues auf den Markt bringen. Das muss man nicht!
Man präsentiert etwas Neues, wenn man etwas Neues zu sagen hat, etwas beizutragen hat, das eine neue Bedeutung hat. Ein paar Projekte waren zu finden, die auch etwas Neues zu sagen haben, die etwas Neues, Sinnvolles beisteuern - wenn auch vielleicht gerade mal eine Handvoll. Sicherlich hätten wir ein weiteres Projekt hinzufügen können, um das Quintett vollständig zu machen. Einen Mangel an Kandidaten, aus denen wir hätten wählen können gab es nicht. Aber so wie wir nicht erwarten, dass die Hersteller etwas Neues, sondern um der Qualität willen veröffentlichen, so veröffentlichen wir auch nichts nur damit die Fünf vollständig sind...
Wie immer haben wir nicht alles gesehen, haben ohne Frage Sachen verpasst, die wir nicht hätten verpassen sollen - und bitten hierfür vorab um Entschuldigung. In diesem Sinne aber unsere "Mailänder Möbelmesse 2018: High Four!!"
Wir waren alle mal gezwungen, auf unserem Koffer Platz zunehmen, aber nur ein Konstantin Grcic ist auf die Idee gekommen aus dieser Erfahrung einen Stuhl zu machen. Okay, das stimmt so nicht ganz - wir haben im Laufe der Jahre einige Studentenprojekte gesehen, die Koffer, Haufen von Koffern, als Basis für Sessel bzw. Sofas verwendet haben. Konstantin Grcics klarer Moment liegt im Erkennen der Potentiale des Materials. Aufgrund der Unwägbarkeiten der modernen Luftfahrt müssen moderne Koffer gleichzeitig stark und leicht sein: Eigenschaften, die auch für moderne Stühle wichtig sind. Der Schritt vom Einem zum Anderen ist konzeptionell sehr einfach, der Weg ist in der Praxis aber noch nicht beschritten. Konstantin Grcics Schritt in die richtige Richtung hat uns sehr gut gefallen. Durch die Kombination einer Sitzschale aus dünnen, vakuumgeformten Kunststoffplatten, die normalerweise zur Herstellung von Koffern mit einem filigranen Metallrohrboden verwendet werden, ist "Cup" nicht nur ein außergewöhnlich leichter und dennoch stabiler Stuhl, sondern auch ein sehr schön proportionierter Gegenstand mit einer sehr durchdachten Sitz- und Rückenlehne, die ein hohes Maß an Sitzkomfort ermöglicht. Die seitlichen Bördelungen wiederum bilden natürliche, praktische und höchst zufriedenstellende Armlehnen. Darüber hinaus ermöglicht das Konstruktionssystem den (wie wir sicher sind) einfachen Austausch der Sitzschale bzw. des Sockels, falls dies erforderlich sein sollte. Der Schalensitz ist nicht neu, in Mailand findet man zahlreiche Beispiele aus den 50er und 60er Jahren, einer Zeit, in der Entwicklungen im Bereich Technik und Materialien solche Formen möglich machten. Mit "Cup" setzt Konstantin Grcic diese Tradition fort und realisiert damit eine sehr schöne zeitgenössische Interpretation des Genres, für die uns zahlreiche Anwendungsorte einfallen. Grundsätzlich ist "Cup" aber erstmal ein sehr schönes Stück Design zum Anschauen und eine Bestätigung, dass "Designer" kein Beruf ist, sondern eine Art zu denken und sich für das zu interessieren, was einen umgibt.
Im Laufe der Jahre sind uns unzählige Möbelstücke mit interessanten und verblüffenden Namen begegnet; "Fugu" von Jasper Morrison für den japanischen Hersteller Maruni ist jedoch der erste, der nach einem giftigen Kugelfisch benannt wurde. Die Abstrusität hört Gott sei Dank mit dem Namen auf. Alles andere ist klar, wenn auch nicht immer sofort verständlich. "Fugu" hat ähnlich wie die Verarbeitung seines Namensgebers sehr viel mit durch Erfahrungen gewonnenem Wissen zu tun. "Fugu" ist ein schön reduziertes Objekt. Die Reduktion bezieht sich jedoch nicht auf die Masse, denn "Fugu" ist ein solides, schweres Objekt. Stößt man sich den Zeh daran, kann man eine Woche lang nicht arbeiten. Vielmehr handelt es sich um eine Reduktion der Konstruktion, des Konzeptes und des Materials. Angesichts seines Volumens ist "Fugu" ein sehr zurückhaltendes, ruhiges und ziemlich unscheinbares Objekt - dank sorgfältig geformter Sitzfläche, das heißt ausgeklügelter Wölbung, Neigung und Länge jedoch ein sehr Komfortables. Der relativ niedrige Stuhl "Fugu" ist mit oder ohne Armlehnen erhältlich. Für uns sind die Armlehnen allerdings eine unnötige Zierde, wenn man so will, ein Punkt, an dem ein wenig mehr Reduktion angebracht gewesen wäre.
"Noli" ist im Prinzip nur eine halbe Portion von einem Stuhl, und selbst das gerade mal so. Doch trotz seiner visuellen Leichtigkeit ermöglicht der Stuhl ein sehr stabiles, komfortables und befriedigendes Sitzerlebnis. Und das hat auch eine Menge mit der schwungvollen, Klismos-ähnlichen Rückenlehne zu tun, die den Nutzer nicht nur voll unterstützt, sondern ihm auch die Möglichkeit gibt die Arme zu bewegen. Der eigentliche Beitrag von Ludovica und Roberto Palomba bei diesem Stuhl ist die Ergänzung der griechischen Rückenlehne. Wenn wir richtig informiert sind, ist es nicht das erste Mal, dass die Römer griechische Ideen aufgreifen, um wie hier ein zeitgenössisches Objekt zu kreieren, das dann wiederum in sehr edler Möbeltradition verwurzelt ist. Eine wunderbar proportionierte, ausgewogene und einfache Konstruktion... Die Vertrautheit seiner Form und die Flüchtigkeit des "Noli" Stuhls bedeuten, wie wir annehmen, dass er auch für die engsten Räume in Frage kommt.
"Monk" ist nicht nur ein faszinierender Kollege, sondern auch ein schöner Beweis dafür, dass die Beurteilung eines Stuhls nicht nur von seiner Form und seinem Komfort abhängt, sondern von der Summe seiner Bestandteile, einschließlich der Frage, wie kompetent er seine beabsichtigte Funktion erfüllt. Bei den meisten Stühlen ist das kein Thema, die Funktion ist es, darauf zu sitzen, nur gelingt es zugegebenermaßen nicht allen Designern, diese Funktion zu gewährleisten. "Monk" ist jedoch nicht wie die meisten Stühle, unter dem Sitz verbirgt sich eine Aufbewahrungsbox. Und die bedeutet nicht, dass "Monk" ein Kasten ist auf dem man sitzen kann, sondern ein Objekt mit individuellem Charakter wird. Ein Objekt zu dem man eine durchaus persönlichere Beziehung haben kann, und das man in einen Raum stellen kann, ohne sich verpflichtet fühlen zu müssen darauf zu sitzen. Folglich ist "Monk" trotz seines im Wesentlichen kubischen, soliden, leicht bedrohlichen Aussehens ein einnehmendes, kluges und zugängliches Objekt, das uns genau genommen einige wichtige Lektionen über das Wesentliche des Möbeldesigns beibringen kann. Und sollte man sich darauf setzen, ist "Monk" auch noch bequem.