Etwas enttäuschend ist es schon, dass die Behörden der süddeutschen Stadt Schwäbisch Gmünd dem derzeitigen Einhorn-Wahnsinn nachgegeben haben und eins von ihnen in das Stadtwappen platziert haben. Ob man sich darauf verlassen kann, dass die Studierenden der Hochschule für Gestaltung in Schwäbisch Gmünd diesem (hoffentlich) kurzweiligen Trend widerstehen? Der Rundgang in diesem Jahr sollte die Antwort geben…
Das alte Sprichwort, dass jedes Ende gleichzeitig ein neuer Anfang ist, wird von der Hochschule für Gestaltung, kurz HfG, in Schwäbisch Gmünd bestens verkörpert, denn obwohl man die Ursprünge der Institution bis ins Jahr 1776 zurück nachvollziehen kann, so verdankt sie ihren derzeitigen Status doch dem Untergang der Hochschule für Gestaltung Ulm im Jahr 1968 – der Institution, die in den Nachkriegsjahren als Wiederbelebung des Bauhaus galt und die das Konzept der „guten Form“, welches das Design Deutschlands in den 1950er und -60er Jahren prägte, so sehr propagierte. Nach der Schließung der Hochschule in Ulm zog es nicht nur große Teile des Lehrpersonals in das 60 Kilometer entfernte Schwäbisch Gmünd, sondern auch viele der Unterrichtsmethoden, allen voran der Fokus auf fundamentale Form- und Gestaltungsprinzipien. Zu diesem Zweck widmen sich die ersten drei Semester an der HfG Schwäbisch Gmünd einem „Grundlagen in Design“-Kurs, bevor sich die Studenten dann in den Fächern Interaktions- , Kommunikations- oder Produktgestaltung oder auch „Internet der Dinge – Gestaltung vernetzter Systeme“ spezialisieren können. Wobei das letztere die offenkundige Frage danach stellt, wie Gropius, Breuer, Geugelot und wie sie nicht alle heißen sich diesem Thema genähert hätten.
Wie die Angestellten und Studierenden, die Masterstudierenden des Studiengangs Strategische Gestaltung mit einbezogen, der HfG Schwäbisch Gmünd das Thema angehen, konnte bei dem diesjährigem Sommerrundgang betrachtet werden.
Quer über den Campus verteilt präsentierte der Rundgang der HfG Schwäbisch Gmünd einen bunten Mix von Semester- und Abschlussprojekten. Darunter ein Haufen von Apps und digitaler Technologie. Zwar gab es nicht ausschließlich Projekte, die nur mittels eines mobilen Kommunikationsgeräts funktionierten, aber man musste nie lange suchen, um eins von ihnen zu finden. So stößt man in unseren Notizen tatsächlich auf die Bemerkung „bis auf ein paar Ausnahmen sind alle Masterprojekte digital“ – was natürlich eine Übertreibung ist und wahrscheinlich mehr unserem Hunger als den tatsächlichen Fakten geschuldet ist. Was nicht heißen soll, dass es nicht trotzdem sehr, sehr viele digital-basierte Projekte gab. Selbst unter den Bachelorstudenten lautet die Botschaft des HfG: Die Integration digitaler Technologien in jeden einzelnen Lebensbereich ist unausweichlich. Eigentlich sollte uns diese Prophezeiung nicht überraschen – immerhin sind wir an einer Einrichtung zu Besuch die ein Studiengang „Internet der Dinge – Gestaltung vernetzter Systeme“ anbietet. Tut sie aber irgendwie doch.
Nicht, dass diese Einstellung der Hochschule in Schwäbisch Gmünd vorbehalten wäre: Während unserer #campustour sind wir ihr oft begegnet und haben erwartet, dass wir sie auch diesmal wieder antreffen würden; aber der Bachelorstudiengang „Internet der Dinge“ hat wirklich all unsere Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Oder zumindest ziemlich viel unserer Aufmerksamkeit. Dabei gibt es für uns ein paar Eckpunkte, die den zunehmenden Einfluss digitaler Technologien betreffen. Auch hier beziehen wir uns nicht ausschließlich auf die Projekte der HfG, sondern vielmehr auf generelle Feststellungen. Zunächst wäre da der, so erscheint es uns zumindest, unerschütterliche Glaube unter jenen, die eine digitale, vernetzte Zukunft unterstützen, dass Technologie stets gut ist und es vollkommen Sinn ergibt jeden Teil unseres Lebens zu digitalisieren und zu verknüpfen. Für sie steht die Verwendung von autonomen, digitalen Technologien in sämtlichen Szenarien an erster Stelle. Das ist zwar (noch) nicht der Status Quo, aber der sollte es auch nie werden. Ein Großteil dieser Technologien ist, entschuldigt bitte, total blödsinnig, sinnlos und reine Zeit- und Geldverschwendung. Nicht selten steht die analoge Option der digitalen in nichts nach. Wenn sie nicht sogar besser ist. Was wir damit sagen wollen: Ja, geht zu eurem Heizkessel und macht ihn selbst an oder aus und schafft euch keinen „intelligent personal assistant“ an, der die Aufgabe für euch übernehmen soll.
Und dann wäre da noch die digitale Ungleichheit, die unabdinglich entstehen wird: Eine neue Klassenstruktur basierend auf dem Zugang zu digitalen Netzwerken und Technologien, denn nicht jeder wird den gleichen Zugang haben, und erst recht nicht den gleichen uneingeschränkten, freien und unlimitierten Zugang. Es wird die geben, die diesen Zugang haben und die, die ihn nicht haben. So einfach ist das. Ungleichheit ist allumfassend, Ungleichheit ist das Dach für das Haus, in dem all unsere Sorgen wohnen. Neue Technologien haben durchaus das Potential dieses Dach neu zu decken, also neue Formen der Ungleichheit und der sozialen Spaltung zu schaffen; neue Leiden und eine neue herrschende Elite hervorzubringen, unter deren Regime Kriminelle und Korrupte große Teile der Bevölkerung für ihren eigenen Profit ausnutzen werden. Ist es das was wir wollen? Oder wollen wir die Welt nicht zu einem fairen, sicheren Platz für alle machen?
Digitale Technologien nehmen ohne Frage eine wichtige Rolle in der Gestaltung unserer Zukunft ein, aber nur wenn sie sinnvoll und bedacht eingesetzt werden – nicht einfach nur weil es möglich ist sie einzusetzen. Was uns wieder zu der allseits beliebten Frage zurückführt: Wer führt die digitale Entwicklung an und wohin soll diese Entwicklung gehen? Wer leitet eigentlich die Diskussion darüber, in welche Richtung wir in der Gesellschaft gehen wollen? Und wollen wir diesen Diskussionsleiter? Wie bereits gesagt, stellen wir diese Fragen nicht nur in Bezug auf die Ausstellung an der HfG Schwäbisch Gmünd oder auf irgendein anderes Objekt – auch wenn es vielleicht eins gab, das uns aufgewühlt, frustriert und ohne Hoffnung für zukünftige Gesellschaften zurückließ. Der 2017er Rundgang war vor allem ein sehr nahrhafter Boden für weitere Gedanken rund um das Thema. Legen wir also los…
Im Rahmen eines Produktdesign-Kurses wurde „Taite“ von Tom Postlethwaite kreiert: Eine zusammenklappbare Bank für zwei, die sich eines sehr einfach Konstruktionsprinzips bedient. Tatsächlich wandelt „Taite“ ein flaches Objekt in eine, zumindest theoretisch, stabile Bank um. Die Kraft wirkt dabei auf die Faltungen, die das Objekt ohne zusätzliche Mechanismen aussteifen. Durch die Möglichkeit, die Bank flach zusammenzufalten und durch ihr geringes Gewicht scheint „Taite“ die perfekte Lösung für allerlei Lokalitäten zu sein, die mehr Sitzflächen bräuchten, aber wenig Stauraum dafür haben.
So sehr wir Colin Gerests „Solarsessel“ auch mögen, sind wir doch ein bisschen verwirrt, was seine mögliche Anwendung angeht. Im Prinzip ist „Solarsessel“ ein Gartenstuhl, der tagsüber Sonnenlicht auffängt und in Solarenergie umwandel, sodass – und hier ist der Grund für unsere Verwirrung – der Stuhl abends die gespeicherte Energie in Form von Wärme abgeben kann, die es älteren Benutzern ermöglicht länger im Garten zu verweilen. Warum nur älteren Benutzern? Wir sagen: Vergesst die Alten und denkt an den Rest von uns. Ein Ventilator? Ein Licht für die abendliche Lektüre? Ein kühles Getränk aus dem integrierten Getränkehalter? Wenn man schon einen Gartenstuhl mit integrierter Solarenergie hat, dann könnte man doch so viel mehr damit machen als einen warmen Platz für das abendliche Nickerchen von Älteren bereitzustellen. Sie können darin schlafen, aber wir haben ein mobiles Gerät, das dringend aufgeladen werden muss…
Weil wir es nicht mögen im Bett zu essen – oder zu puzzeln oder überhaupt eine aufrechte Position einzunehmen -, wäre „Nachtisch 2.0“ von Salih Göktekin bei uns komplett fehl am Platz. Dennoch kennen wir viele, die genau diese Dinge gerne machen und für die ein Nachttisch, dessen Oberfläche gleichzeitig auch ein abnehmbares Tablett ist, die Erfüllung all ihrer Träume wäre. Form- und Materialwahl sprechen uns nicht besonders an, aber es ist auch lediglich ein Modell eines Projekts; wir sind uns sicher, dass es in all seiner Pracht strahlen wird, wenn es fertig entwickelt ist.
Uns ist sehr wohl bekannt, dass diverse Stühle auch als „Diener“ genutzt werden, was im Prinzip die Frage aufwirft: „Du wirst deinen Pullover ausziehen und über den Stuhl werfen, also warum machst du es nicht ordentlich?“. Aus dieser Frage heraus entstand „Charles“. Was wir besonders an dem Projekt mögen – von seinen gebogenen Stahlrohren an der Rückenlehne, die zur Aufhängung von Pullovern, Hosen, Gürteln, Jutebeuteln etc. dienen, mal ganz abgesehen – ist die verlängerte Rückenlehne. Wir sind uns ziemlich sicher, dass diese nur aus der Notwendigkeit für die Aufhängungen entstanden ist, nichtsdestotrotz ist die Lehne für uns das bestimmende Merkmal des Stuhls. Es mag daran liegen, dass wir älter werden, aber Sommer werden immer nasser, Stuhllehnen immer kürzer und „Charles“ bietet mit seinem Design etwas, dass uns an die alten Lehnstühle denken lässt. Eine Reminiszenz an die Vergangenheit in einer Welt, die sich kontinuierlich verändert. Beinahe königlich, mit Sicherheit petite noblesse, wenn gleich auch sehr elegant, reduziert und zeitgenössisch präsentiert sich der Stuhl.
Obwohl wir nur äußerst selten ein gutes Wort für Holzobjekte übrig haben, die von einem Möbelstück in ein anderes umgewandelt werden können (aus der einfachen Annahme heraus, dass Nutzer eh nie Gebrauch von beiden Verwendungen machen), so bildet „Vom Stuhl zur Bank“ von Sara Fileppi & Fabio Maximilian Wolf doch eine erfreuliche Ausnahme. In Rahmen des Kurses „Steckverbindungen“ des ersten Semesters entstand das Projekt als ein Sitz mit Rückenlehne, der von einem Einsitzer zu einer Bank umfunktioniert werden kann, die Platz für bis zu drei Personen bietet. In unseren Augen scheint das eine besonders attraktive Möglichkeit für Büroräume zu sein, in denen Versammlungsräume für Besprechungen mit unterschiedlich vielen Personen Platz bieten müssen, die jedoch nicht permanent mit Stühlen und/oder Bänken vollgestellt sein sollen. Oder auch öffentliche Plätze, an denen längere Aufenthalte die Norm sind, die Anzahl der Wartenden aber nicht von vorn herein festgelegt werden kann. Man denke bloß einmal an Krankenhäuser, Flughäfen, etc., etc., etc… Fragen bezüglich Material sollten besser nicht gestellt werden – hier gibt es noch einige ungeklärte Stabilitäts- und Statikprobleme -, aber trotzdem ist das Projekt zunächst äußert zufriedenstellend und wir hoffen, dass Sara und Fabio die Möglichkeit bekommen, weiter daran zu arbeiten.
Hände hoch wer weiß, wie man einen Feuerlöscher benutzt. Jetzt, Hand oben lassen, wenn man es wirklich weiß und sich nicht nur denkt, dass es „so schwierig nicht sein kann“. Es sollte nun zu sehen sein, wie wenig Leute tatsächlich einen Feuerlöscher bedienen können. Diese Feststellung ist nicht sehr beruhigend. „re.ex“ von Daniel Benedix, Maurizio Blöscher & Manfred Löprich ist ein Versuch, diese Situation zu ändern. Im „Ergonomie-Kurs“ entstand die Idee für einen Feuerlöscher für den Hausgebrauch, der logischer- und raffinierterweise auf Objekten basiert, die in jedem Familienhaushalt zu finden sind: Ältere Leser wird es an Soda-, jüngere vermutlich an Schlagsahnespender erinnern. Dadurch wird es zu einem Objekt, das die meisten ohne viel Training oder groß zu überlegen benutzen können. Was essentiell ist, wenn die Küche in Flammen steht und wofür das gut designetes Produkt letztendlich auch da sein sollte. Die Form ist ansprechend, das Material sinnvoll, die Funktionsweise erscheint logisch, es ist auch ohne eine App einsatzfähig und uns will wirklich nicht einfallen welches Kriterium „re.ex“ nicht erfüllt…
Trotz seines scheinbar unmissverständlichen Namens ist die Bachelorarbeit von Clemens Schneider keine Möbelserie. Aber das könnte sie sein, denn was Clemens entwickelt hat ist eine gedruckte 3D-Kunststoffsteckverbindung, die die Konstruktion von Kartonmöbeln ermöglicht. Und ja, man könnte Kartonmöbel auch ohne die Hilfe einer per 3D-Drucker hergestellten Verbindung bauchen. Man könnte. Aber uns fehlen die technischen Geschicke dafür. Nichtsdestotrotz, mit diesem Design würden vielleicht sogar wir es schaffen. Clemens‘ Projekt ist nicht das erste seiner Art. Dennoch ist es das erste, das sich intensiv mit der Nutzung von Kartonmöbeln und all den Vorteilen, wie beispielsweise schneller Auf-und Abbau, der besonders in Notfallsituationen von Nutzen sein kann, auseinandersetzt. Die notwendigen Kartons können flach verpackt zu einem niedrigen Preis verschifft werden, die Verknüpfungen ihrerseits vor Ort ausgedruckt, sodass, bei Bedarf, schnell und leicht Möbel gebaut werden können. Das ist, in unserer Augen, ein Weg, den die schnell und schier unendlich wachsende Technologie einschlagen kann und sollte: die Kreation einfacher Objekte, die es dem Nutzer ermöglichen, maximal flexibel unter minimalem technischen Aufwand zu sein.
All Details bezüglich der Hochschule für Gestaltung Schwäbisch Gmünd können unter www.hfg-gmuend.de gefunden werden. Eine Auswahl der Abschlussprojekte gibt es unter: www.hfg-gmuend.de/Abschlussarbeiten.html
Tagged with: #campustour, HfG Schwäbisch Gmünd, Schwäbisch Gmünd