Als im letzten Jahr die Ausstellung “Rêveries Urbaines” der Brüder Ronan & Erwan Bouroullec im Vitra Design Museum eröffnet wurde, haben wir angedeutet, dass sich die ersten Projekte, die die Brüder im Rahmen ihrer Untersuchung von städtischen Räumen präsentierten, bereits im fortgeschritten Planungsstadium befinden.
Mit „Oui“ präsentiert die Kunsthal Aarhus das erste realisierte Projekt.
Wurde die Kunsthal Aarhus 1917 von den KA Friends, einer Assoziation kunstinteressierter Bürger, als eine permanente Ausstellungsfläche ins Leben gerufen, die „inspirieren und grundlegendes Wissen über die schönen Künste fördern soll“, so ist sie mittlerweile zu einer 1000 Quadratmeter großen Galerie geworden; eine Galerie, die durch ihr stetig wechselndes Programm von Ausstellungen und Installationen von internationalen, zeitgenössischen Künstlern eine wahre Inspirationsquelle darstellt.
Anlässlich des 100. Geburtstags der Kunsthal und im Rahmen eines breitgefächerten Programms, das darauf abzielt zeitgenössische Kunst außerhalb der Galerien der Kunsthal zu präsentieren, haben der Kunstdirektor des Instituts Jacob Fabricius und der Verwaltungsleiter Iben Mosbæk Hofstede große Pläne: Neben einer 600 Quadratmeter großen Installation von 6 Künstlern beim Roskilde Musikfestival und der Skulptur „A Real Danish Family“ von Gillian Wearing, eine Arbeit, die im Oktober in der Nationalgalerie Dänemarks, dem Statens Museum for Kunst in Kopenhagen, enthüllt wird und die hinterfragen will, was Familie im modernden Dänemark bedeutet, wurde beschlossen, die Gärten rund um die Halle zu öffnen oder vielmehr für ihre Gestaltung freizugeben.
Doch bei der Umgestaltung der Gärten zu offenen Räumen soll es nicht bleiben: Ein zentraler Bestandteil des Projekts ist „Oui“ von Ronan & Erwan Bouroullec. Diese Installation ist gleichermaßen eine Intervention und zeigt das Design der Brüder nicht nur in ungewohntem Kontext, sondern auch in ungewohnter Größe.
In vielerlei Hinsicht hat „Oui“ seinen Ursprung im Jahr 2006 im Centre national édition art image, oder kurz CNEAI, auf der Île des Impressionnistes im Westen von Paris. Dort kuratierte Jacob Fabricius die Ausstellung “Old News”, in dessen Rahmen das Hausbootprojekt “La Maison Flottante” von Ronan und Erwan Bouroullec ins Leben gerufen wurde. Auf eben jenem verbrachte Fabricius einige Zeit und lernte dadurch nicht nur die Brüder, sondern auch deren Arbeit kennen.
Als Jacob Fabricius 2015 als freischaffender Kurator zum CNEAI zurückkehrt, verbringt er ganze acht Monate auf dem „La Maison Flottante“. Er ist einer von wenigen, die von sich behaupten können, nicht nur ein Bouroullec Objekt zu besitzen, sondern auch auf einem von ihnen gelebt zu haben. Eine Erfahrung, die Fabricius sehr persönliche Einsichten in die Arbeit der Brüder verschafft. „Ich weiß immer noch ganz genau, wie ich zum ersten Mal auf einem ihrer Stühle saß und überwältigt von seiner Eleganz und seinem Komfort war“, schwelgt er in Erinnerungen. „Seitdem habe ich ihre Arbeit verfolgt. Ganz abgesehen von der Eleganz und der klaren Ästhetik ihrer Designs weiß ich es sehr zu schätzen, dass ihre Arbeit klassisch, aber durch ihren Umgang mit diversen Textilien und Formen gleichzeitig modern wirkt.“
Diese Paarung aus zeitgemäßer Eleganz und klarer Ästhetik, die sich auch in der Originalpräsentation der „Rêveries Urbaines“ in Rennes, die 2016 eröffnet wurde, widerspiegelt, gab schlussendlich den Impuls diese auch in den Garten der Kunsthalle zu bringen. „Ich hatte bereits einige Ideen, von denen ich dachte, dass eine Umsetzung im Garten möglich wäre. Die Modelle, die die Bouroullecs in Rennes präsentiert haben, waren gewissermaßen die Grundlage meiner Ideenfindung“, erklärt Fabricius die Entstehungsgeschichte von „Oui“. „Ursprünglich war mein Vorschlag eine Installation, die nicht dauerhaft sein sollte, eine Struktur, die einem Zelt ähnelt. Die Bouroullecs erwiderten diese Idee mit einem komplett gegensätzlichen Entwurf, aus dem dann ein Dialog entstand. Genau das ist für mich das Großartige, wenn man mit anderen Künstlern zusammenarbeitet: Dass Diskussionen zu einem Entwicklungsprozess führen. Im Verlauf dieser Diskussionen änderte sich das Konzept mehrere Male, bevor es letztendlich eine sehr einfache und trotzdem sehr poetische Gestik wurde, ein Kreis.“
Realisiert durch eine Zusammenarbeit zwischen der Kunsthal Aarhus und dem dänischen Textilienhersteller Kvadrat, vereint „Oui“ im Prinzip drei Konzepte: zwei Kreise um Bäume, einer davon um ein Feuer, der andere unter einer Lampe, während beide feste Orientierungspunkte in dem sonst so offen gehaltenen Garten darstellen. Gewissermaßen die Île des Postimpressionnistes in der sonst so undefinierten Offenheit des Gartens.
Der Schweizer Soziologe Lucius Burckhardt beschwerte sich einst, dass in, wie er es ausdrückt, “malerischen” Gärten – landschaftlich malerische und auch durchaus romantische Gärten – “Bäume stets durch Gebüsche untermauert werden“¹, was nicht mehr als ein kläglicher Versuch sei, scheinbar natürliche Waldränder darzustellen. Das Resultat, laut Burckhardt, ist dass dem Besucher ein schattiges Plätzchen verwehrt wird, vor allem im Sommer, wenn die Schatten der Bäume eine willkommene Zuflucht vor der Sonne sind.
Und obwohl wir uns zugegebenermaßen nicht zu 100% sicher sind, ob Lucius Burckhardt ein Fan von „Oui“ wäre, so bietet das Projekt doch eine elegante Gelegenheit unter den Bäumen Platz zu nehmen. Nicht zuletzt auch aufgrund des zusätzlichen Platzes und den neu erschaffenen Möglichkeiten.
Ganz egal wie alt der Baum war, unter dem Lucius Burkhardt seine Sommerabende verbracht hat, wenn er Gesellschaft von mehr als vier Gleichgesinnten bekommen hätte, wäre es dort ganz schön voll geworden. Indem man den Baum durch einen Ring erweitert, vergrößert man nicht nur die Anzahl an schattigen Plätzen, sondern ermöglicht auch zahlreiche neue Arten zu sitzen und miteinander zu interagieren. So kann man nicht nur auf dem Ring Platz nehmen, den Blick auf oder von dem Baum weg gerichtet – wortwörtlich und philosophisch –, sondern auch auf dem Boden, wobei der Ring als Rückenlehne dient. Oder man lässt den Ring links liegen und lehnt sich, ganz altmodisch, gegen den Baum und betrachtet jene auf, unter oder neben dem Ring. So ist der Ring vielmehr als nur ein Platz zur Erholung und Schutz vor der Sonne, er ist ein Treffpunkt, ein Ort der Interaktion.
Eine Funktionalität und ein Geist des Zusammenseins, der vielleicht noch mehr durch die Feuerstelle verkörpert wird.
Damals, als jedes Dorf noch einen zentralen Ofen hatte, um darin Brot zu backen, war dieser Ofen auch ein Treffpunkt, ein Platz, der zum Austausch und zum Kommunizieren einlud. Wenn wir uns heute in unseren erleuchteten Zeiten um ein Feuer gesellen, dann eher in kleinen, privaten Gruppen um das Lagerfeuer oder die Feuerschale im eigenen Garten. Mit dem Bouroullec Feuerplatz will die Kunsthalle Aarhus das gemeinschaftliche Zusammensitzen bei einem gemütlichen Feuer wieder etablieren. Dazu steuern sie sogar das Feuerholz bei. Lediglich das eigene Snobrød, ein schönes Stück Steak und eine Prise Humor muss man selbst mitbringen.
Jedermann darf die Feuerstelle nutzen; außerdem plant die Kunsthal zu jeder Ausstellungseröffnung ein Feuer in ihr zu entfachen, egal ob es schneit oder die Sonne scheint: Der Platz soll jederzeit einen ganz natürlichen Treffpunkt bilden, fernab von der eigentlichen Ausstellung und fernab von der Interaktion, die innerhalb der Galerie stattfindet.
Bei weitem nicht so opulent wie die Version, die im Rahmen der „Rêveries Urbaines“ präsentiert wurde, verzichtet der Aarhus Feuerplatz auf die große Platte, die auf dem „Rêveries Urbanaires“-Kamin thronte. Was uns zu einer Feststellung zurückführt, die wir bereits in Weil am Rhein machen konnten: Mit „Rêveries Urbaines“ gelingt es den Bouroullecs eine Grundgrammatik für städtische Möblierung zu schaffen, eine Möblierung, die es schafft sich an ihre jeweilige Umgebung anzupassen, oder mit anderen Worten: vier Objekte, die eigentlich keine direkte Verbindung zu der Kunsthal an sich haben und trotzdem als Objekte perfekt dort untergebracht sind.
Eine wichtige Eigenschaft von „Oui“ ist die Beleuchtung. So hat einer der Ringe ein integriertes Licht, währen die anderen beiden Baumringe von Lichtern in der Kastanie über ihnen komplementiert werden.
Traurigerweise können wir uns nicht weiter zu der Illuminierung äußern, denn obwohl wir über Nacht in Aarhus waren, haben uns Gewitter und fürchterlicher Regen den Weg zur Kunsthal versperrt. Und während sich die Natur dafür dankbar zeigt, so ist es doch kein Wetter, um sich den Beleuchtungselementen genauer zu widmen. Aber mal angenommen es würden bessere Wetterbedingungen herrschen: Die Bouroullec Brüder haben viel Erfahrung in der Arbeit mit Licht und wenn ein erfahrener Kurator wie Jacob Fabricius die Lichter als „wunderschön, fast schon magisch, als wenn ein UFO gelandet wäre“, beschreibt, dann vertrauen wir dieser Meinung, wortwörtlich, blind. Im Sommer werden wir wieder in Aarhus sein und dann wird es hoffentlich trocken sein. Oder zumindest trockener.
Was das Licht jedoch zum Highlight macht – und hiermit entschuldigen wir uns für das erneute Wortspiel – ist, dass die Ringe künstlich sind; etwas, dass auch mit der Wahl von feuerverzinktem Stahl und der Grobheit der Konstruktion unterstrichen wird.
Es wäre ein leichtes gewesen sie aus Holz zu fertigen, wobei keine Fugen sichtbar und der Übergang vom Baum zum Ring eindeutig gewesen wäre. Oder, um noch einmal auf Lucius Burkhardt zu sprechen zu kommen, ein „scheinbar natürlicher“ Übergang vom Ring zum Baum zum Garten hätte entstehen können. Die Entscheidung für feuerverzinkten Stahl ist jedoch wesentlich zufriedenstellender, erinnert es uns doch daran, dass wir uns in einer künstlichen Situation befinden, einem landschaftlich gestalteten Platz mitten in der Stadt und nicht in einem wilden, natürlichen Wald. Welche Symbolik dahintersteckt, überlassen wir dabei der Interpretation unserer lieben Leser.
Gleichermaßen befriedigend ist es, dass die Ringe weder Steckdosen noch USB-Anschlüsse haben, immerhin wäre die Anbringung dieser ebenso leicht gewesen wie Holz zu verwenden. Doch auch das hätte dem Bouroullec’schen Ansatz so ganz und gar nicht entsprochen.
„Oui“ von Ronan und Erwan Bouroullec bei der Kunsthalle Aarhus
Als wir das erste Mal von “Oui” gehört haben, hatten wir die Befürchtung, dass die Objekte in dem Garten eingeschlossen wären und somit nur dann zugänglich, wenn das Museum geöffnet ist. Diese Befürchtungen hätten wir uns sparen können. Der Garten ist nicht nur schön, man hat vor allem auch jederzeit freien Zutritt. Somit stehen die Objekte 24/7 zur Verfügung: Für die Besucher des Museums, die sich dort zusammenfinden und erholen können oder die Möglichkeit haben über die eben besuchte Ausstellung nachzudenken, aber auch für jeden, der sich in Aarhus aufhält, egal ob am Tag oder in der Nacht.
Wie wir bereits angemerkt haben behauptet niemand, dass Projekte wie „Oui“ Ronan und Erwan Bouroullec zu den führenden Landschaftsarchitekten machen. Das sind sie nicht. Vielmehr sehen wir solche Projekte als eine Art Versuch, die Bourollec’schen Ideen bezüglich diverser Funktionalitäten, Materialien und Konstruktionen in öffentliche Räume zu übertragen und diese Ideen in einem neuen Kontext zu betrachten, um zu sehen, was diese Erfahrung in uns bewegt, gesetzt den Fall, sie bewegt irgendetwas. Genauer betrachtet, sehen wir das Aarhus-Projekt als eine Erweiterung des Fokus der Bouroullec Brüder auf Verbindungen und Verbinder in diversen Diskursen.
Wenn sich jemand aus unserer Leserschaft in oder um Aarhus befinden sollte, dann sollte man sich Folgendes notieren: „Oui“ und die Ausstellungen in der Kunsthal Aarhus befinden sich in der J.M. Mørks Gade 13, 8000 Aarhus C.
Alle Details unter: http://kunsthal.dk/
1. Lucius Burckhardt, Gärtnern – Kunst und Notwendigkeit, Bassler Magazine der Basler Zeitung, Nr 21 1977. Reproduced in Lucius Burkhardt, Warum ist Landschaft schön? Die Spaziergangswissenschaft, Martin Schmitz Verlag, Berlin, 2015
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