Die Augen fest auf die Strecke vor sich gerichtet, werden die Fahrer der Tour de France bei dem Zeitfahren durch die Straßen Düsseldorfs wohl kaum einen Gedanken an die Gebäude verschwenden, die sie auf ihrem Weg passieren.
Ganz schön schade, wenn man bedenkt, dass Düsseldorf einige Gebäude zu bieten hat, die nicht nur architektonisch und geschichtlich interessant sind, sondern auch durchaus in größeren Kontexten eine bedeutende Rolle spielen. Dieser Bedeutung würden sich die Radrennfahrer der Tour bewusst werden, wenn sie nur den Fuß etwas von der Pedale nehmen würden.
Das Zeitfahren beginnt und endet dieses Jahr an der Düsseldorfer Messe. Mit dem Passieren des städtischen Nordparks werden die Fahrer ihren Rhythmus gefunden haben und ihre Aufmerksamkeit voll und ganz auf ihre Trittfrequenz richten.
Ursprünglich wurde der Nordpark im Rahmen der 1937 stattfindenden NSDAP Propagandaschau „Reichsausstellung Schaffendes Volk“ realisiert und obwohl er seitdem unwiderruflich mit Nazideutschland und all seiner Geschichte verbunden ist, ist der Park heute vor allem ein Ort der Erholung: Angelegte und wilde (angelegte) Parkflächen sowie zahlreiche Themengärten fügen sich zu einem bunten Mix verschiedenster Vegetation zusammen. Auch wenn die Fahrer auf ihrer Tour bestimmt nicht dazu kommen werden sich hier zu erholen, so ist der Park doch ein Ort, den man sich merken sollte, wenn man etwas Entspannung nach dem Rennen sucht.
Flussaufwärts, immer am Rhein entlang, führt die Route die Fahrer durch Düsseldorf-Golzheim und somit vorbei an unzähligen Modeagenturen, die im Norden der Stadt ihr Zuhause gefunden haben. Doch wer jetzt denkt, dass hier alles Schickimicki und unendlich cool ist, der irrt. Im Düsseldorfer Modebezirk geht es darum Geld zu machen. War der Standort lange eines der wichtigsten nationalen Textilzentren, so ist er seit den späten 1940er-Jahren eines der bedeutendsten Modezentren Deutschlands, wenn nicht sogar Europas. Während in anderen Städten Models über den Laufsteg wippen und die Lokalpolitiker mit den TV-Sternchen Cocktails schlürfen, wird hier tatsächlich Mode verkauft.
Und die Gebäude spiegeln das wider: selbstbewusst und mit einer Aura reservierten Prunks.
Eine Beschreibung, die besonders auf das Gebäude des ehemaligen US-Konsulats in der Cecilienallee 5 zutrifft. 1955 wurde es von dem Großkonzern Skidmore, Owings & Merrill im Rahmen dessen umfangreichen Bauprogramms errichtet: Ein Programm, das nicht nur versucht hat die amerikanische Vormachtstellung in den Bereichen Politik und Kultur zu festigen, sondern auch Büroplätze für Diplomaten schaffen wollte. Und obwohl das Düsseldorfer Konsulat mit seiner streng-quadratischen, verglasten Außenfassade und den Schwebeelementen, die seine Leichtigkeit und Transparenz unterstreichen sollen, in starkem Kontrast zu seinen eher klassisch eingefärbten Nachbarn steht, erlaubt seine bescheidene Erhabenheit ein friedliches Miteinander, ja es unterstreicht fast Alphonse Karrs Maxime: plus ça change, plus c’est la même chose (Je mehr sich die Dinge verändern, umso mehr bleiben sie sich gleich). Zudem steht das Gebäude stellvertretend für ein Umdenken bezüglich repräsentativer, diplomatischer Architektur und wie funktionale, moderne Architektur, die in Europa ihren Ursprung hatte, in der Nachkriegszeit mit einem amerikanischen Akzent versehen wurde.
Nachdem sie am ehemaligen US-Konsulat vorbeigerauscht sind, erreichen die Fahrer den Ehrenhof, einen Edelstein in der Düsseldorfer Architektur- und Kulturlandschaft.
1925/26 unter der Leitung des Architekten Wilhelm Kreis erbaut, macht der Hof reichlich und dennoch gut durchdachten Gebrauch von Klinkern. Die Ziegelsteine werden dabei sowohl als Konstruktionsmaterial als auch zur Verzierung verwendet. Sie tragen erheblich dazu bei dem Ehrenhof-Komplex all seine Würde und Klasse zu verleihen, der an die klassische römische Architektur erinnert, ohne die Vormachtstellung, die solch monumentale Gebäude oft mit sich bringen, zu übernehmen. Dennoch gibt es besonders auf der südlichen Seite des Komplexes Abschnitte, die auf die damals aufblühende monumentale faschistische Architektur hinweisen, Architektur zu der auch Wilhelm Kreis seinen Beitrag geleistet hat. Durch zahlreiche Aufträge für die NSDAP sicherte er sich seinen Platz auf der sogenannten „Gottbegnadeten Liste“, die von Goebbels und Hitler zusammengestellt wurde und auf der neben 1041 Architekten, Künstlern und Musikern auch die „12 Unersetzlichen Künstler“ zu finden sind. Sie galten als die führenden Stellvertreter der Nazikultur.
Ursprünglich als Messegelände designet, wurde der Ehrenhof 1990 großflächig renoviert. Dabei entstand auch ein neues Gebäude, das von Oswald Mathias Ungers hinter der Fassade des Kunstpalastes geplant wurde. Heute gibt der Ehrenhof Museen, Konzerten und Veranstaltungen aller Art ein Zuhause. Ganz abgesehen von dem Wunsch, die Fahrer würden sich mehr Zeit nehmen, um die Symmetrie und die Harmonie des Komplexes zu bestaunen, hoffen wir inständig, dass (wenigstens) einer der Mitstreiter der Tour anhält, um sich die Ausstellung „Mythos Tour de France“ im NRW-Forum anzuschauen und dadurch selbst ein Teil des Mythos wird – die ultimative Metaebene wäre erreicht.
Nach einem Bogen um das Konzerthaus Tonhalle geht es für die Fahrer über die Oberkasseler Brücke auf die linke Seite des Rheins und somit nach Düsseldorf-Oberkassel. Aufgrund des ansteigenden Wohlstands der Stadt wurde Oberkassel während der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ins Leben gerufen und bietet seit jeher Raum für hochwertiges Wohnen für die stetig wachsende Schicht der Mittelklasse und der Berufstätigen. Noch heute gehört Oberkassel zu den wohlhabendsten Stadtteilen Düsseldorfs.
Größtenteils entwickelt nach Plänen inspiriert durch und gebilligt von Josef Stübben – einem der führenden und fortschrittlichsten Stadtplaner seiner Zeit – zeichnet sich Oberkassel durch die Anordnung seiner Straßen aus, die sich fast schon poetisch an die Kurven des Rheins anschmiegen. Durch die an den Fluss angrenzende Wiese, die Oberkassel nicht nur von der Industrie des Flusses, sondern auch von Düsseldorf abgrenzt, entsteht so eine ländliche, fast idyllische Ruhe. Und auch die Häuser, von denen viele von den stadtbekanntesten Architekten ihrer Zeit, unter anderem Hermann von Endt, Oskar Rosendahl und Theodor Balzer, designt wurden, tragen ihren Teil dazu bei.
Die Fahrer jedoch werden lediglich den Kaiser-Wilhelm-Ring streifen, eine Gruppierung von Häusern, die zwischen 1899 und 1907 erbaut wurden.
Nach diesem kurzen linksrheinischen Zwischenstopp und dem Einlegen eines hohen Ganges im Kampf gegen den Wind, geht es über die Rheinkniebrücke zurück in die Düsseldorfer Stadtmitte.
Kurz bevor sie die rechte Flussseite erreichen, passieren die Fahrer das sogenannte Mannesmann Haus von Peter Behrens aus dem Jahr 1912 und seinen jüngeren Kollegen, das Mannesmann Hochhaus aus dem Jahr 1958, entworfen vom gebürtigen Düsseldorfer Paul Schneider-Esleben. Während das erste ein Beispiel für ein flexibles, offen gestaltetes Bürogebäude ist, bei dem der Aufbau jedes einzelnen Geschosses je nach Bedarf umgestaltet werden konnte und zu dem die damaligen Jungspunde Walter Gropius, Mies van der Rohe und Le Corbusier ihren Beitrag leisteten, ist das letztere das erste Hochhaus in Deutschland, das nach dem Prinzip der Skelettbauweise gebaut wurde und das zudem stark auf die Ideen von Gropius, van der Rohe und Le Corbusier gründet – auch wenn es von Le Corbusier als „Zellophan-Paket“ bezeichnet wurde. Somit verdeutlichen die zwei Gebäude, die sich scheinbar kontrastieren, die sagenumwobenen „Umbrüche“ in der Architektur, die, öfter als man glauben mag, durch neue Materialien, neue Technologien und vielmehr durch bereits bestehende Realitäten als durch wahrliche Neuanfänge bedingt sind.
Wie sehr wir uns wünschen, die Fahrer würden einen Moment die Augen von der Strecke nehmen!
Es hat außerdem etwas zutiefst Befriedigendes an sich, dass Mannesmann zwei Architekten beauftragt hat, die für ihre Zeit als radikal galten – radikal, nicht nur der Radikalität halber, sondern radikal aus Prinzip. Und wie Mannesmann, nicht immer ganz vorbehaltlos, sie in ihrer Radikalität ermutigte und dadurch, wenn man denn so will, die „Corporate Architecture“ realisierte, die zwar vor allem die jeweilige Firma repräsentieren soll, aber hier insbesondere als ein zusätzliches Element der Firma gesehen wird und nicht nur die Darstellung dieser ist. Die Fahrer könnten das verstehen, wenn sie einen Blick nach rechts werfen würden, sobald sie die Rheinkniebrücke verlassen und die Frank-Gehry-Gebäude erblicken, die sich drehend und windend am Hafen tummeln.
Und ja, rückblickend ist es vielleicht besser die Augen auf der Straße zu lassen.
Nach einem kurzen Abstecher zum K21 Kunstmuseum, geht es weiter Richtung Stadtzentrum und zur Königsallee – das Symbol schlechthin für Düsseldorf als eine Stadt der „beau monde“, oder mit anderen Worten: die modeaffine Schickeria. Das etwas weniger aufdringliche Kultur angesichts solcher Oberflächlichkeit durchaus leiden kann, wird offensichtlich, wenn die Fahrer an der Königsallee 40 vorbeirollen. Hier befindet sich das ehemalige Zuhause des Lichtburg Kinos, das 1910 als eines der ersten deutschen Kinos erbaut wurde und jetzt die Verkaufsfläche für internationale Modelabels ist. Nicht einmal die Fassade oder das Neonzeichen schaffen es Wache zu halten.
Nach einer Linkskurve verlassen die Radler die Königsallee, vorbei am Warenhaus Tietz von Joseph Maria Olbrich und gerade zu auf das Wilhelm-Marx-Haus von 1924, das nicht nur ein weiteres Projekt von Wilhelm Kreis ist, sondern auch der erste deutsche Wolkenkratzer und ein wunderbares Beispiel dafür, wie frühe Wolkenkratzer konstruiert wurden. Ähnlich wie seine Zeitgenossen in Chicago, behält das Wilhelm-Marx-Haus seine dreigliedrige Konstruktion bei. Im Gegensatz zu den Chicagoern, die neue Fensterformate und -anordnungen entwickelten, blieb Wilhelm Kreis den traditionellen Proportionen und Motiven treu.
Auf ihrem Weg durch die Heinrich-Mann-Allee passieren die Fahrer das zurückhaltende Ruhe ausstrahlende, 1956 erbaute Opernhaus von Paul Bonatz, Julius Schulte-Frohlinde und Ernst Huhn und das auffällige K20 Kunstmuseum von den in Kopenhagen ansässigen Architekten Dissing+Weitling, das sich durch seine unerschütterliche schwarze Bornholm-Granitfassade schamlos in den Vordergrund drängt. Dabei umgehen sie die Altstadt mit all ihren Altbier-Bars und Pizzerien, bevor sie links in eine scharfe 90-Grad-Kurve einbiegen, die sie zu der Rückseite der Kunstakademie von Hermann Riffart führt. Die Akademie, 1879 erbaut, ist die Alma Mater von Josef Beuys, Jörg Immendorff, Thomas Ruff, Gerhard Richter und Andreas Gursky.
Mit einem letzten Sprint kurz vor dem Ziel geht es zurück zum Rhein und zur Messe. Und zu einer wohlverdienten, anschließenden Erholung im Nordpark – gesetzt den Fall, die Fahrer haben diesen Artikel gelesen.
Mindestens genauso interessant wie das, was die Fahrer, zumindest theoretisch, sehen könnten, ist das, was sich in der unmittelbaren Umgebung befindet: Gebäude wie zum Beispiel das Dreischeibenhaus von Hentrich + Petschnigg, das 1998 erbaute Stadttor von Petzkina, Overdiek und Partner oder auch das Schauspielhaus von 1970 vom Designer Bernhard Pfau, dessen Grundriss an einen schlafenden Babyelefanten erinnert. Sie alle tragen zu Düsseldorfs architektonischer Vielfalt bei.
Ein besonderes Highlight für uns ist das Stummhaus von Paul Bonatz aus dem Jahr 1924 auf der Breiten Straße; ein Gebäude, das trotz seine Höhe und seines gothischen Gemüts sehr diskret ist und dessen gut durchdachte Proportionen ein Gefühl angenehmer Bodenständigkeit hinterlassen.
Ein wenig abseits vom Kurs befindet sich in der Gladenbacher Straße das ehemalige Atelierhaus, in dem Heinz Mack und Otto Piene das Kunstkollektiv namens ZERO ins Leben gerufen haben. Etwas weiter, in der Mitropestrasse, ist das damalige Kling Klang Studio, in dem nicht nur Kraftwerk an ihrem unverwechselbaren Klang geschliffen haben, sondern auch Bands wie La Düsseldorf und Neu! arbeiteten und Musik aufnahmen. Wenn man wissen möchte, wo Heino seine Lehre zum Bäcker und Konditormeister absolvierte, dann kann man bei der früheren Voss Bäckerei in der Linienstraße vorbeischauen.
Bleiben wir gleich noch etwas bei der Gegenkultur: In der Altstadt findet man zahlreiche Bars, ein wahrer Sündenpfuhl, in dem sich die Kreativen der Stadt tummeln und nach Inspiration suchen, wo sich die Nachkriegszeit in Form von Käsekuchen oder Ratinger Hof zu der Gleichgültigkeit der Hippies gesellt und der jugendlichen Frustration in Form von Punk und Elektro die Hand gibt. Oder zumindest entdeckt man Gassen, in denen die Rebellion vielleicht ihre Stimme fand, aber in denen zeitgemäße Neukonstruktionen und Renovierungen deutlich machen, dass das „Alte“ mehr Theorie als Praxis ist und wo der ehemalige Sündenpfuhl größtenteils zu einem aufpolierten Pfuhl des Kommerz geworden ist, der Familien beherbergt. Frei nach dem Motto: „Rien n’est permanent, sauf le changement.“ – „Nichts ist beständiger als der Wandel.“
Um ein bisschen Orientierungshilfe zu geben, haben wir eine Google Karte veröffentlicht, die eine Auswahl einiger interessanter und wichtiger Gebäude entlang der Tour de France 2017 abbildet. Die Karte zeigt längst nicht alles, was sie zeigen könnte. Es wäre unklug und sehr verwirrend, wenn es so wäre. Nichtsdestotrotz hoffen wir, dass wir damit einen Einblick in Düsseldorfs architektonische Vielfalt geben können. Und wer weiß, für den ein oder anderen dient sie vielleicht als Anregung noch mehr zu entdecken, ob mit oder ohne Fahrrad.
Noch mehr Inspiration?
Hier sind externe Inhalte verlinkt. Wenn Sie die Inhalte jetzt einmalig sehen wollen, klicken Sie hier.
Tagged with: Düsseldorf, Josef Stübben, K21 Kunstmuseum, Kunstakademie Düsseldorf, Mies van der Rohe, NRW-Forum Düsseldorf, Peter Behrens