Mit Much More Than One Good. Chair Design & Gesellschaft in Dänemark, präsentiert die Dänische Botschaft in Berlin eine Ausstellung über die Entwicklung des Designs in Dänemark seit 1945 und so im übertragenen Sinne auch eine Untersuchung der dänischen Gesellschaft und ihrer Entwicklung seit 1945.
Wie regelmäßige Leser wissen werden, haben wir ein schwieriges Verhältnis zu der Formulierung „Danish Design“ – oder besser gesagt glauben wir nicht an diesen Begriff. Natürlich glauben wir an Design aus Dänemark, Dänisches Design ist für uns aber keine fixe, greifbare Größe, über die sich sprechen ließe. Vielmehr ist Design aus Dänemark als kulturelle, soziale, politische und ökonomische Aktivität so unterschiedlich und subjektiv wie beispielsweise amerikanische Musik. Country, Rock ’n‘ Roll, Hip Hop – alles amerikanisch, alles Musik, alles unabhängig, wenn auch miteinander verbunden. Dänisches Design lässt sich nicht definieren, als Phänomen lässt es sich allerdings erklären, kontextualisieren und beleuchten und das ist genau das, was sich Much More Than One Good Chair vorgenommen hat.
Angestoßen von der Dänischen Botschaft und kuratiert von dem Designer und Autoren Thomas Dickson, folgt Much More Than One Good Chair der Entwicklung des Designs in Dänemark seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und legt dabei den Fokus auf drei Zeiträume: 1945-1968, 1969-1990 und 1990 bis heute. Der Ausstellungstitel spielt auf sympatische Weise auf die Tatsache an, dass der Stuhl das Synonym für Design aus Dänemark ist: Im Verlauf der Ausstellung machen die Organisatoren deutlich, dass Design aus Dänemark sehr viel mehr ist als nur ein Stuhl und dass es wichtig ist, den größeren Kontext des Designs aus Dänemark zu beleuchten, um den wahren Charakter Dänischen Designs zu verstehen.
Einer der schönsten Aspekte von More Than Just One Good Chair ist das, was nicht präsentiert wird. So gibt es beispielsweise keinen Egg Chair, keinen Panton Chair, keinen Wishbone Chair und so keinen der üblichen, stereotypen Vertreter dänischen Stuhldesigns / „Dänischen Designs“. Stattdessen werden etwas anspruchsvollere Arbeiten präsentiert, deren Wert und Relevanz nicht einfach mithilfe der abgegriffenen Klischees zusammengefasst werden können, die den Händlern immer so leicht auf der Zunge liegen. Der Chieftain von Finn Juhl beispielsweise: eines jener wunderbar dekadenten Beispiele für die formale Reduktion, die wohl nur das Auge eines Bildhauers einem Stuhldesign verleihen kann; dann die FDB (Danish Cooperative Society) – Möbel von Borge Mogensen und Poul Volther, die die Methoden der Möbelproduktion und den Gebrauch von Möbeln im Dänemark der Nachkriegszeit neu definierten, ohne sich zu weit von den akzeptierten und kulturellen Standards wegzubewegen. Oder Phantom von Verner Panton, eine seiner letzten Arbeiten und eine Arbeit, die in vielerlei Hinsicht sehr viel langlebiger und zeitgenössischer ist als der Panton Chair, ohne dessen revolutionären Charakter und Relevanz für die Geschichte des Möbeldesigns schmälern zu wollen.
Abgesehen von Stühlen präsentiert die Ausstellung auch Leuchtendesigns, Designs aus dem medizinischen Bereich, Industriedesigns, Textildesigns, Fahraddesigns (schließlich handelt es sich um eine dänische Ausstellung) und vor allem Haushaltsgegenstände. In diesem Kontext sei auf ein besonders interessantes Objekt hingewiesen: ein Eiskübel aus Teakholz von 1960, designt von Jens Quistgaard, ein Designer, der Thomas Dickson zufolge sein ganzes Leben in Dänemark verbracht hat, dort aber mehr oder weniger unbekannt war, obwohl seine Arbeiten in erster Linie und mit großem Erfolg in Amerika von der Firma Dansk Designs verkauft und vertrieben wurden. Und so erinnert uns dieses berauschende, fast schon klassische Revival des Eiskübels an die wichtige Rolle, die Amerika nach dem Zweiten Weltkrieg bei der Etablierung und Verbreitung Dänischen Designs spielte – daran, dass Dänisches Design als Konzept zu großen Teilen außerhalb der Grenzen Dänemarks entwickelt wurde. Mit all den Konsequenzen, die das auf die dänische Identität haben mag.
Wenn auch nicht die umfangreichste oder tiefgründigste Ausstellung, die man jemals besucht haben wird, sind die klug zusammengestellten Produkte und die gut geschriebenen Informationstafeln doch ausgesprochen hilfreich und erklären eloquent, wie sich Design und Gesellschaft in Dänemark während der letzten sieben Jahrzehnte entwickelt haben und wie dies wiederum auf den Begriff Danish Design nicht zutrifft.
Von den Möbeln und Einbauten der direkten Nachkriegsjahre, die aus Mangel und Notwendigkeit heraus entstanden sind, geht die Ausstellung über zu späteren Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, in denen neue Materialien und neue Technologien neue Genres und Typologien von Objekten nicht nur möglich machten, sondern auch eine für die dänische Gesellschaft passende, anwendbare und wünschenswerte Gestaltung ermöglichten. Am Ende der Ausstellung werden zeitgenössische Produkte präsentiert, die demonstrieren, wie sich Design in Dänemark im Zuge des immer größer werdenden Rahmens des Begriffs verändert hat. Dazu gehören Designprojekte wie beispielsweise Hands on Woven, eine Kollektion von Textilien, die nicht nur von blinden Handwerkern gewoben wurde, sondern auch mit Mustern ausgestattet ist, die blinde Handwerker designt haben, und zwar mithilfe eines Systems, das wiederum von Rosa Tolnov Clausen, einer Absolventin der Kolding School of Design, entwickelt wurde.
Das Ende der Ausstellung verdeutlicht vielleicht am besten den zunehmenden Unterschied zwischen „Danish design“ und „Danish Design“: Am Ende der Ausstellung kann man wieder auf den Anfang schauen und wird so wieder an die für das dänische Design synonymen Stühle erinnert. Und doch, denken wir an die interessantesten, relevantesten und ökonomisch wichtigsten zeitgenössischen Stühle von dänischen Herstellern, spielen nicht-dänische Designer eine wichtige Rolle.
Was nicht bedeutet, dass es keine talentierten, interessanten zeitgenössischen Designer aus Dänemark gibt – es gibt sehr viele. Aber man muss sagen, dass die Globalisierung ein sozialer wie ökonomischer Prozess ist, und so wie die dänische Gesellschaft immer vernetzter wird, so hat sich auch die dänische Industrie zunehmend über die künstlichen geografischen Begrenzungen hinaus entwickelt – auf ihrer Suche nach Designern, die auf die besonderen aktuellen Herausforderungen am besten reagieren können. Und genauso wie bei den zurecht gefeierten Lösungen von Henningsen, Jacobsen, Morgensen etc., werden die langlebigsten und erfolgreichsten logischerweise die ehrlichsten und besten sein – nicht die dänischsten. Die Qualität ist also unabhängig von der jeweiligen Geburtsurkunde des Designers.
Ausstellungen in Botschaften drehen sich ehrlich gesagt nie um grundlegende Forschung und bieten nicht die objektive Distanz, die für jede echte akademische Recherche notwendig ist. Eher geht es darum, das jeweilige Heimatland zu repräsentieren und mit ausländischen Menschen in Kontakt zu treten. Das ist sehr verständlich, hat seine Gültigkeit und ist kein Anlass zur Beschwerde. Auch Much More Than One Good Chair gelingt genau das, und gleichzeitig ist die Ausstellung interessant, zugänglich, relevant und informativ. Und das liegt wohl daran, dass man zu vermeiden wusste, in die Falle stereotyper Klischees zu tappen und stattdessen darauf Wert gelegt hat, eine Botschaft zu vermitteln.
Wenn wir gerade in diesem Kontext etwas zu bemängeln haben, dann, dass alle Informationstafeln ausschließlich auf Deutsch sind. Ja, die Ausstellung findet in Berlin statt, aber wir haben deutlich den Eindruck, dass jede Ausstellung versuchen sollte, so weit wie möglich in die Öffentlichkeit zu gehen. „More Than Just One Good Chair“ ist für die Vielzahl an nicht Deutsch sprechenden Menschen, die Berlin ihr Zuhause nennen und die Touristen (auch die Dänen), die jedes Jahr kommen, genauso relevant wie für alle deutschsprachigen Menschen.
Wenn wir noch etwas zu bemängeln hätten, dann, dass sich die Auswahl der präsentierten Objekte nicht mit den Abbildungen im dazugehörigen Informationsblatt deckt. Insbesondere sind einfach nicht alle ausgestellten Objekte in der Broschüre gelistet. Und da es keine anderen Angaben gibt, gehen einige Ausstellungsstücke verloren. Das ist insbesondere schade, weil gerade eine Stärke der Ausstellung More Than Just One Good Chair darin besteht, dass sie durch die kompetente, gut abgewogene und kohärente Art und Weise der Präsentation zu den Ausstellungen gehört, die einen stimulieren und ermutigen, mit der eigenen Reflexion und Forschung weiterzumachen. Aber wenn man natürlich nicht weiß, was man gesehen hat…
Design aus Dänemark war einer der interessantesten und wichtigsten Bereiche im Europäischen Design seit dem Krieg und wird es vermutlich auch in Zukunft sein. Wir nehmen also an, dass Designer, die in Dänemark geboren sind und ausgebildet wurden, weiterhin eine wichtige Stimme haben werden. Unsere Angst ist eher, dass ähnlich wie das Bauhaus zu bedeutungsloser Einfachheit verwässert wurde, die kommerzielle Modeerscheinung im Bereich des Dänischen Designs das Risiko birgt, viele Arbeiten dänischer Designer zu negieren. Wie bei der Rettung des Bauhauses haben wir auch bei der Rettung des dänischen Designs vor dem Dänischen Design die Pflicht, uns besser zu bilden und zu informieren.
Solltet ihr in Berlin sein und Deutsch sprechen, ist das Felleshus ein guter Ort, um damit zu beginnen.
Much More Than One Good Chair. Design & Gesellschaft in Dänemark läuft bis Freitag, den 7. Juli. im Felleshus/Nordische Botschaften Kulturzentrum, Rauchstraße 1, 10787 Berlin.
Alle Details, darunter Informationen zum Begleitprogramm gibt es auf www.nordischebotschaften.org.
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