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Werkbundarchiv – Museum der Dinge Berlin präsentiert Object Lessons. Material begreifen in 8 Lektionen

Die Erforschung von Materialien hat zur Entwicklung unserer heutigen Gesellschaft beigetragen und ist heute relevanter denn je. Folglich ist auch die Vermittlung von Materialwissen relevanter denn je.  

„Jeden Tag nennen wir zahllose Dinge beim Namen, ohne jemals nach ihrem Wesen, ihren tiefer liegenden Eigenschaften zu fragen. Tatsächlich sind wir also nur mit den Namen und nicht mit den Dingen selbst vertraut.“

John Aikens Worte stehen auf der Titelseite des Buches „Lessons on Objects“ von 1930, einem der ersten Versuche besagte Informationen über die Dinge des täglichen Lebens, über ihr Wesen und ihre Eigenschaften zusammenzutragen und so die Öffentlichkeit in Sachen Material weiterzubilden.

Wie sich die Vermittlung von Materialwissen seit dem frühen 19.Jahrhundert herausgebildet und entwickelt hat und welche Relevanz dem heute zukommt wird in der Ausstellung Object Lessons. Material begreifen in 8 Lektionen des Werkbundarchivs – Museum der Dinge in Berlin präsentiert.

Object Lessons. Material begreifen in 8 Chapters at the Werkbundarchiv – Museum der Dinge Berlin

Object Lessons. Material begreifen in 8 Lektionen

Die Ausstellung beginnt mit oben genanntem Buch „Lessons on Object“ der Pestalozzi-Pädagogin Elizabeth Mayo beziehungsweise mit einer transportablen Ausstellungsbox, die sie in Verbindung mit dem Buch benutzte und die Proben einer großen Bandbreite von überwiegend natürlich vorkommenden Objekten und Materialien beinhaltete. „Object Lessons“ geht daran anknüpfend lebhaft dazu über, deutlich zumachen wie sich Funktion und Relevanz des Materialwissens und dessen Vermittlung im Kontext der industriellen und kapitalistischen Ausdehnung verändert haben und welche Rolle ihnen im frühen 20.Jahrhundert in den ersten Museen für Angewandte Kunst zukam. Damals ging es vor allem um die Kenntnis neuerer, exotischer Materialien. Mit dem Werkbundkoffer gelangt die Ausstellung schließlich zum Werkbund selbst. Dabei handelt es sich um eine Lehrvorrichtung, die der Werkbund entwickelt hat, und die während der 1950er und 1960er Jahre an Schulen verliehen wurde, um Schülern dabei zu helfen die Verbindung zwischen Form, Funktion und Material anhand beisipielhafter – vom Werkbund als gut designt befundener – Objekte zu verstehen. Dieser Werkbundkoffer funktionierte also ähnlich wie Elizabeth Mayos Ausstellungsbox, legte den Fokus allerdings auf zeitgenössisches Design anstatt auf grundlegendes Materialwissen. Die historischen Objekte aus dem originalen Werkbundkoffer werden in der Ausstellung durch Objekte ergänzt, die wie wir annehmen heutzutage in einem solchen Koffer zu finden wären.

Object Lessons endet beim zeitgenössischen Materialwissen, wie es das Schweizer Materialarchiv repräsentiert – wenn man so will ein Update von Elizabeth Mayos Ausstellungsbox um die zeitgenössische digitale Technologie. Das 2009 gegründete Schweizer Material Archiv vereint die Sammlungen von acht Schweizer Institutionen aus den Bereichen Kunst, Design und Architektur, in einer durchsuchbaren Online-Datenbank.

Nein, man kann diese Materialien nicht anfassen, aber genau wie bei Lessons on Objects kann man auch hier etwas über die Materialien über ihr Wesen und ihre Eigenschaften lernen.

Die Zeiten mögen sich ändern, die Grundlagen der Vermittlung von Materialwissen bleiben wohl die gleichen.

Teil der Lehrsammlung Plastik der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, gesehen bei Object Lessons. Object Lessons. Material begreifen in 8 Lektionen im Werkbundarchiv Museum der Dinge Berlin

 

Vermittlung von Materialwissen als Kulturphänomen

Neben einer Reise durch die institutionellen, wissenschaftlichen und kommerziellen Methoden der Vermittlung von Materialwissen, macht Object Lessons auch zwei sehr erfreuliche Abstecher in eher informelle, kulturelle Richtungen.

Das betrifft zum einen die Vermittlung von Materialwissen in der Literatur: Beispiele sind hier der Graf von Monte Cristo von Alexander Dumas, Jules Vernes 20.000 Legionen unter dem Meer, oder das enzyklopädische Materialwissen von Sherlock Holmes in Conan Doyles Novelle. Die Präsentation zu diesem Thema ist kurz, unterstreicht aber nicht nur wunderbar wie wichtig es im Alltag ist Materialien, Objekte und Produktionsprozesse zu verstehen, sondern macht auch deutlich, dass derlei Kenntnisse Grundkenntnisse zur Allgemeinbildung gehören..

Ein weiterer Bereich, den die Ausstellung beleuchtet ist der Transfer von Materialwissen von Generation zu Generation. Als Beispiel dienen der Ausstellungen Informationen zu Haushaltsmaterialien wie sie von Müttern an ihre Töchter weitergegeben wurden und werden. Natürlich betrifft das auch die traditionellen Verhältnisse von Meister und Geselle, Professor und Student oder eben auch Mutter und Tochter.

Object Lessons. Material begreifen in 8 Lektionen im Werkbundarchiv – Museum der Dinge Berlin

Entwicklung durch Materialwissen.

Die Entwicklung der Menschheit ist eng verknüpft mit der Kenntnis von Materialien, ihren Eigenschaften und ihrem Potential: Steinzeitalter, Eisenzeitalter und Bronzezeitalter sind nur die naheliegendsten Belege dafür. Hinzu kommen auch Bereiche, die bei der Entwicklung unserer heutigen globalisierten Welt eine wichtige Rolle gespielt haben, beispielsweise Medizin, Transportwesen oder Kriegsführung – Bereiche, die vom zunehmenden Wissen um Materialien, deren Wesen und Eigenschaften fundamental abhängig sind.

Nur so war die Entwicklung unseres industriellen Zeitalters möglich: durch bessere Kenntnis von Materialien und die damit verbunden neuen Einsatzgebiete und Möglichkeiten der Bearbeitung einerseits und durch die Entwicklung völlig neuer Materialien andererseits – Kunststoffe sind hier das wohl wichtigste Beispiel.

Trotz der zentralen Rolle, welche Materialien gespielt haben und nach wie vor spielen, behalten Aikens Worte ihre Gültigkeit. Nicht zuletzt weil wir heute im Vergleich zu damals sehr viel mehr Materialien haben. Ehrlich gesagt sind die meisten von uns mit einem Großteil der Materialien nur dem Namen nach vertraut – die Begriffe an sich mögen noch geläufig sein, von den Materialien selbst hat man jedoch nicht wirklich eine Ahnung.

Präsentation des Schweizer Material Archivs, gesehen bei Object Lessons. Material begreifen in 8 Lektionen im Werkbundarchiv Museum der Dinge Berlin

Ermächtigung durch Materialwissen

Ein zweiter wichtiger Vergleich zwischen heute und damals bietet sich an, wenn man bedenkt, was „Lessons on Objects“ genau beschreibt. Als Buch war Lessons on Objects gedacht für Kinder zwischen 6 und 8, die die Pestalozzi-Schule von Elizabeth Mayo und ihrem Bruder Charles besuchten, und umfasste Beschreibungen von Objekten wie dem Ei, der Kerze oder der Schiefer – einfache Dinge aus unserem täglichen Leben also.

Genau jene Alltagsgegenstände also, zu denen wir in unserer heutigen Zeit bei all den verarbeiteten, veredelten, temporären Materialien und Instantprodukten zunehmend den Kontakt verlieren. Das betrifft nicht nur das Verhältnis zu natürlichen Materialien, sondern vor allem zu Produkten, Kleidung etc. … Sieht es gut aus? Ist es billig? Ist es modisch? Ist es standesgemäß? Ist die Farbe schön? Heute sind solche Fragen viel zu wichtig, als dass man sich in die Produktionsprozesse vertiefen und dem Wesen und  den Eigenschaften eines Materials auf den Grund gehen würde.

Und dennoch: fragt man woher Objekte kommen, aus was sie bestehen und wie sie verarbeitet sind, verbessert sich nicht nur unser Verhältnis zu den Dingen und deren Wert, es wird uns auch möglich informierte Entscheidungen bezüglich eines Objektes zu treffen, vor allem wenn es um Nachhaltigkeit, Langlebigkeit und Notwendigkeit geht. Das macht uns wiederum zu verantwortungsvolleren Konsumenten bzw. Nicht-Konsumenten.

 

All das allerdings erfordert Materialwissen.

Eine Sammlung des 18.Jahrhunders mit farbigen Erden aus dem Erzgebirge, gesehen bei Object Lesson. Material begreifen in 8 Lektionen im Werkbundarchiv Museum der Dinge Berlin.

 

Weisheit durch Materialwissen

Object Lessons stellt unter Beweis, dass weniger manchmal mehr ist – in diesem konkreten Fall, dass Dank des enger gefasster Rahmens, der Ausstellungsbesuch zu einer lohnenderen Erfahrung wird. Der präzise Fokus der Ausstellung führt dazu, dass man trotz der hohen Anzahl an Objekten und relativ viel Text  nie überfordert ist. Die Ausstellung verliert so weder ihre Richtung noch die Aufmerksamkeit der Besucher, was bei breiter angelegten Ausstellungen häufig der Fall ist.

Das Gefühl am Ende nichts gelernt zu haben bleibt bei Object Lessons jedenfalls aus.

Die eigentliche Einsicht, zu der einem Elizabeth Mayos Lessons on Objects führt ist: wenn man Materialien verstehen lernt, versteht man auch die Welt um einen herum besser. Heute sind wir viel zu nachlässig mit Materialien geworden, investieren viel zu wenig um sie zu verstehen – seien es natürlich vorkommende, synthetische Materialien, oder sei es digitales und nicht materielles soziales Material.

Als Ausstellung geht es Object Lessons nicht um Materialien an sich, es geht darum Materialien kennenzulernen, um die Art und Weisen wie man Materialwissen vermittelt und was es uns bringen kann. Wir werden daran erinnert wie sich vergangene Generationen um die Vermittlung dieses Wissens bemüht haben. Warum sollten gerade wir das nicht mehr tun? Beziehungsweise, warum sollten wir es definitiv tun?

In vielerlei Hinsicht ist das die wichtigste und erste Lektion für uns.

Object Lessons. Material begreifen in 8 Lektionen läuft im Werkbundarchiv – Museum der Dinge Berlin, Oranienstraße 25, 10999 Berlin until Monday January 16th

Alle Details sind unter www.museumderdinge.de zu finden

Materialwissen in der Literatur, gesehen bei Object Lessons. Material begreifen in 8 Lektionen im Werkbundarchiv Museum der Dinge Berlin