Museum für Kommunikation Berlin präsentiert: Göttlich Golden Genial. Weltformel Goldener Schnitt?

(a+b)÷a = a÷b ≡ Harmonie? Oder: Die heutige Relevanz des Goldenen Schnitts
Göttlich Golden Genial. Weltformel Goldener Schnitt? im Museum für Kommunikation Berlin

Göttlich Golden Genial. Weltformel Goldener Schnitt? im Museum für Kommunikation Berlin

Neben den von Kirche und Judikative erlassenen Gesetze ist unser Leben auch von natürlichen Gesetzen bestimmt: Denen von Mathematik, Chemie, Biologie und natürlich Murphy.

Doch gibt es auch ein Gesetz bezüglich Harmonie? Ein Gesetz, das die perfekten Proportionen und dementsprechend die Idealform eines jeden Objekts definiert?

Befürworter des Goldenen Schnitts würden dies mit Ja beantworten.

Mit der Ausstellung „Göttlich Golden Genial. Weltformel Goldener Schnitt?“ versucht das Museum für Kommunikation Berlin dieser Frage nachzugehen.

Göttlich Golden Genial. Weltformel Goldener Schnitt?

Obwohl der Goldene Schnitt seinen Ursprung bereits im antiken Griechenland hat, ist er erst seit der Renaissance Gegenstand von Studien. War es schließlich während der Renaissance so, dass sowohl das Interesse an Natur, Wissenschaft und Philosophie als auch die Möglichkeiten, diese zu erforschen, anstiegen. Dies wiederum führte zu steigendem Interesse an der Frage, ob es eine natürliche, vereinende Proportionalität gibt: Die ideale Proportion.

Diese Frage tauchte vermutlich deswegen wieder auf, weil das antike Griechenland in der Renaissance stets als primärer Referenzpunkt diente. Und wie die alten Griechen war auch das Europa der Renaissance interessiert an Fragen natürlicher Ordnung und Systeme. In vielerlei Hinsicht gab es ein gemeinsames Streben nach dem Finden des Ursprungs unserer Existenz, eines Fundaments das größer ist als unsere Sterblichkeit.

Im Verlauf des 16. Jahrhunderts kamen Forscher der Renaissance zu dem Schluss, dass es ein solch perfektes Verhältnis wie den Goldenen Schnitt oder die dazu in Beziehung stehende Fibonacci-Folge in Natur und natürlichen Systemen geben musste. Wenn man so will, ist der Goldene Schnitt ein dem gesamten Leben zugrunde liegendes Prinzip, welches von hoher Bedeutung und Universalität ist.

Das Fragezeichen am Ende des Ausstellungstitels zeigt aber auch, dass der Goldene Schnitt trotz der Langlebigkeit und Universalität der Theorie immer wieder infrage gestellt wurde. „Göttlich Golden Genial. Weltformel Goldener Schnitt?“ geht die Relevanz der Idee des Goldenen Schnitts an.

The Chamber of Wonders, as seen at Divine Golden Ingenious The Golden Ratio as a Theory of Everything? at the Museum for Communication Berlin

Das Kabinett der Wunder, gesehen bei Göttlich Golden Genial. Weltformel Goldener Schnitt? im Museum für Kommunikation Berlin

Der Goldene Schnitt: Von Geometrie bis Ästhetik

„Göttlich Golden Genial“ beginnt mit einer Präsentation des sogenannten „Kabinetts der Wunder“, einer Repräsentation des Goldenen Schnitts, oder zumindest des angeblichen Goldenen Schnitts, mit einer breiten Auswahl an Gegenständen, wie einer Sonnenblume, eines Dodekaeders und eines Hasen, bevor die Ausstellung schnell dazu übergeht, die Geschichte des Goldenen Schnitts, seine Verbreitung und seine Vielfalt zu erklären. Für alles, was er ist. Nicht nur eine notwendige Feinheit in einer musealen Erkundung des Themas, sondern eine notwendige Notwendigkeit. Denn selbst wenn viele von uns ihn kennen oder ihn selbstbewusst zitieren, haben die wenigsten von uns eine tatsächliche Definition von selbigem in petto.

In seiner simpelsten Form beträgt der Goldene Schnitt 1,618…

In der Praxis bedeutet das laut einer der vielen Ausstellungsinformationstafeln: „Eine Linie ist in den goldenen Schnitt geteilt, wenn das Verhältnis des kürzeren zum längeren Abschnitt dasselbe ist wie das Verhältnis des längeren Abschnitts zur gesamten Linie.“

Und was das bedeutet das konkret?

The Golden Ratio Line (Image User:Stannered via Wikimedia Commons)

Der Goldene Schnitt (Bild: Stannered via Wikimedia Commons)

Mit anderen Worten: Wenn etwas, sei es ein Gebäude, ein Gemälde, eine Vase oder sonst irgendetwas, den Goldenen Schnitt aufweist, dann sagt man ihm perfekte Proportionen nach und betrachtet es als harmonisch. So erkennen wir es als klar strukturiert, zugänglich und potenziell attraktiv an.

Es ist eine Verbindung zwischen der Unveränderlichkeit der Geometrie und der Nichtgreifbarkeit der Seele, und dementsprechend ein Phänomen, das Künstler, Architekten, Handwerker, Musiker und Designer schon lange in ihrer Arbeit festzuhalten suchen. Einige Beispiele hiervon sind Teil der sogenannten Werkschau der Ausstellung.

Product design according to the Golden Ratio, as seen at Divine Golden Ingenious The Golden Ratio as a Theory of Everything? at the Museum for Communication Berlin

Produktdesign nach dem Goldenen Schnitt, gesehen bei Göttlich Golden Genial. Weltformel Goldener Schnitt? im Museum für Kommunikation Berlin

Anwendung des Goldenen Schnitts

Die Geschichte des Goldenen Schnitts ist eine Geschichte der Objekte, bei denen der Goldene Schnitt festgestellt wurde, ohne dass dieser nachgewiesen in der Kreation des jeweiligen Objekts betrachtet wurde. Für das Museum für Kommunikation Berlin war es deshalb wichtig, um eine authentische und belastbare Ausstellung zu konzipieren, dass nur Objekte mit einer direkten Verbindung zum Goldenen Schnitt genutzt werden. Dies war gar nicht so einfach, wie Ausstellungskuratorin Katharina Schillinger erklärt: „Objekte sind nicht zwangsläufig abgestempelt mit der Tatsache, dass sie dem Goldenen Schnitt entsprechend kreiert wurden. Vielmehr ist das etwas, das Teil der ursprünglichen Idee war oder eine Rolle in der Entwicklung des Gegenstands spielte. Das ist beim finalen Objekt aber nicht immer sofort erkennbar, und das machte die Suche nach geeigneten Beispielobjekten zu einer Herausforderung.“

Eines der bekannteren und auch mit am besten dokumentierte Beispiel der praktischen Anwendung des Goldenen Schnitts ist das vom Schweizer Architekten Le Corbusier entwickelte Modulor-System, ein Proportionssystem, welches die Zusammenhänge zwischen menschlichen Körperproportionen und dem Goldenen Schnitt untersucht und auf die Architektur zu übertragen versucht. Dementsprechend beschäftigt sich ein großer Teil der Werkschau mit Le Corbusier und seiner Arbeit. Doch damit nicht genug. Neben weiteren Gebäuden, die sich am Goldenen Schnitt orientieren, so etwa das Alte Rathaus in Leipzig, welches eines der Beispiele schlechthin für am Goldenen Schnitt orientierten Renaissancegebäuden ist, untersucht „Göttlich Golden Genial“ auch viele weitere Felder. Es wird beispielsweise aufgezeigt, wie der Goldene Schnitt in den Bereichen Musik, Fotografie, Mode, Typografie und Produktdesign angewendet wird und werden kann. In diesem Zusammenhang sind unter anderem Arbeiten von Thomas Schmitz, Janne Kyttanen und Mark Braun ausgestellt.

So präsentiert die Werkschau eine Ansammlung verschiedenster Werke, die dabei helfen, den Goldenen Schnitt im Zusammenhang mit menschlicher Kreativität zu verstehen – und das auf eine wohl greifbarere Art und Weise als es die Renaissancegemälde im vorhergehenden Raum tun. Auch die heutige Relevanz des Goldenen Schnitts wird hier immer wieder deutlich.

The presentation of Patterns & Standards, as seen at Divine Golden Ingenious The Golden Ratio as a Theory of Everything? at the Museum for Communication Berlin

Die Präsentation von Muster & Standards, gesehen bei Göttlich Golden Genial. Weltformel Goldener Schnitt? im Museum für Kommunikation Berlin

Muster, Standards und Ordnung

Wenn man jedoch gerade begonnen hat, die Relevanz des Goldenen Schnitts als einen Fakt zu akzeptieren, wird man vom Kurator in einen Bereich geführt, der sich mit anderen Mustern und Standards auseinandersetzt, und schon kommen wieder erste Zweifel auf.

Von der Tatami-Matte als eine bedeutende Grundlage japanischer Architektur über Papiergrößenstandards bis hin zu Europaletten und Schiffscontainern, auf die der globale Handel angewiesen ist: Unsere moderne Welt ist eine von Standards geprägte Welt. Geprägt jedoch von Standards, die sich aus einer Kombination von Anwendbarkeit, Funktionalität und Form ergeben und immer auch die Basis eines größeren Systems bilden, anstatt nur dogmatisch an einem relativ abstrakten, geometrischen Verhältnis festzuhalten.

Auch sieht man weitere Objekte, die einen Anspruch auf Harmonie oder sogar Schönheit haben. Oder die zumindest nicht zwangsläufig weniger harmonisch oder hübsch anzusehen sind als sie es wohl gewesen wären, wäre der Goldene Schnitt bei ihnen angewandt worden.

Und dann sind da noch die Probleme, die die Kuratoren gehabt haben müssen, als sie sich auf die Suche nach geeigneten Objekten für die Werkschau begeben haben. Hieraus kann man durchaus schließen, dass der Goldene Schnitt für die meisten Kreativen keine allzu große Rolle spielt. Und trotzdem ist unsere Welt voller Objekte, die unserem ästhetischen Verständnis entsprechen.

Ist der Goldene Schnitt heute also tatsächlich relevant? Oder ist er nur ein Überbleibsel aus Renaissancezeiten, das wir irgendwie noch nicht ganz loslassen können, obwohl unsere heutige Gesellschaft, unser technologischer Fortschritt und unser Glauben sich heute maßgeblich von damals unterscheiden? Obwohl es offensichtlich eine Evolution in unserer Einstellung zu Ästhetik gegeben hat und trotz der fundamentalen Veränderung der Welt um uns herum und unserem Verhältnis zu dieser Welt? Katharina Schillinger selbst erklärt, dass der Goldene Schnitt oftmals völlig unpraktisch ist, wenn es um die Realisierung von Objektideen geht, und dass eine der größten Schwachstellen des Goldenen Schnitts ist, dass es oft ein Hindernis darstellt, exakt nach ihm zu arbeiten.

Ist also nicht langsam der Zeitpunkt gekommen, an dem wir den Goldenen Schnitt als nicht mehr als ein interessantes Naturphänomen betrachten, eine nette Spielerei, der man den „goldenen“ Status vielleicht langsam aberkennen sollte?

Anscheinend nicht.

Denn neben den Beispielen, die sich darum drehen, wie und warum der Goldene Schnitt (immer noch) als Grundlage menschlicher Schönheit angesehen wird, zeigt „Göttlich Golden Genial“ auch zahlreiche Beispiele dazu, wie Verfechter des Goldenen Schnitts diesen immer wieder in Objekten entdecken, die allgemein als ästhetisch ansprechend angesehen werden. Ja, das beinhaltet selbst Katzenbilder.

Und so geht die Faszination offensichtlich weiter.

Eine Faszination, die wohl dem  primitiven Wunsch gleicht, Ordnung in unserem physikalischen und unserem metaphysischen Universum zu finden. Ein Wunsch, der in der Renaissance wohl dazu motivierte, den Goldenen Schnitt zu finden.

Aber auch eine Faszination, die ihn relevant macht?

Das befriedigende an „Göttlich Golden Genial“ ist, dass die Ausstellung dem Besucher die Freiheit und den Raum gibt, das Für und Wider selbst abzuwägen und selbst rauszufinden, wie man zum Goldenen Schnitt steht und ihn und seine heutige Relevanz interpretiert.

Le Corbusier and his Modulor, as seen at Divine Golden Ingenious The Golden Ratio as a Theory of Everything? at the Museum for Communication Berlin

Le Corbusier und sein Modulor, gesehen bei Göttlich Golden Genial. Weltformel Goldener Schnitt? im Museum für Kommunikation Berlin

Der Goldene Schnitt als Kommunikator

Was man an der Ausstellung bemängeln kann, ist ihr stark eurozentrischer Aufbau. Obschon der Goldene Schnitt zweifelsohne relevant in der Entwicklung der europäischen Kultur war, existieren er, oder zumindest ähnliche Ansätze, auch in anderen Regionen und Kulturen. Eine Untersuchung dieser hätte möglicherweise dabei geholfen, die Thematik in einen größeren Zusammenhang zu bringen und hätte so den Besuchern helfen können, besser zu verstehen, wie die Idee eines perfekten Verhältnisses aufgekommen ist und warum uns diese bis heute in so einem Maße fasziniert.

Und wenn wir noch etwas an der Ausstellung aussetzen würden, wäre es wohl die Art und Weise, in der die Ausstellung von der Renaissance ins 20. Jahrhundert springt; quasi buchstäblich von Michelangelo zu Le Corbusier, ohne irgendeine nennenswerte Referenz zur Rolle des Goldenen Schnitts in der Zeit dazwischen. Mit den ausgestellten Stücken im Hinterkopf denken wir hierbei besonders an den Goldenen Schnitt im Zusammenhang mit dem Historismus des 19. Jahrhunderts sowie der darauffolgenden „Art Déco“-Bewegung.

Es ist jedoch nicht so, dass diese Mängel von der Ausstellung ablenken würden. Mit rund 250 Objekten und zahlreichen angebotenen Mitmachaktivitäten, darunter die Möglichkeit die Theorien von Perfektion, Goldenem Schnitt und Schönheit zu testen oder seine eigene Fibonacci-Spirale zu kreieren, um so die Suche nach dem Goldenen Schnitt über das Museum hinaus auszuweiten. „Göttlich Golden Genial“ führt gut in das so komplexe Thema ein und macht es dem Besucher zugänglich. Unter anderem durch das sehr wohlüberlegte Ausstellungsdesign schafft es die Ausstellung, ein Thema lebhaft und sympathisch, ja gar interessant, zu präsentieren, das im Prinzip nichts anderes als langweilige Geometrie ist.

Im Grunde bleibt jetzt nur noch eine Frage offen. Beim Goldenen Schnitt geht es um Geometrie, Ästhetik, Biologie, Architektur, Arithmetik, Kunst, Chemie, Philosophie. Wieso also hat sich gerade das Museum für Kommunikation dazu entschlossen, dem Thema eine Ausstellung zu widmen?

„Als eine Institution haben wir ein breitgefächertes Verständnis des Begriffs ‚Kommunikation'“, antwortet Katharina Schillinger, „und ein Aspekt, der uns zunächst besonders interessiert hat, war die Frage, inwieweit der Goldene Schnitt in den Bereichen Kommunikation und Werbung genutzt wird. Jedoch haben wir realisiert, dass viel mehr Objekte mit uns kommunizieren, dass wir sie zu schätzen wissen, sie harmonisch und schön finden. Mit unserer Ausstellung wollten wir den Besuchern also die Chance geben, zu erkunden, woran das liegen könnte.“

Wir können euch nicht garantieren, dass ihr eine Antwort finden werdet, aber man wird den Goldenen Schnitt verstehen und erfahren, warum er so oft als Antwort angesehen wird.

„Göttlich Golden Genial. Weltformel Goldener Schnitt?“ ist eine zweisprachige, deutsch-englische Ausstellung, die bis Sonntag, den 26. Februar 2017, im Museum für Kommunikation Berlin, Leipziger Straße 16, 10117 Berlin zu sehen sein wird.

Weitere Details und Informationen zum Begleitprogramm unter www.mfk-berlin.de

The tatami mat as the basis of Japanese architecture, as seen at Divine Golden Ingenious The Golden Ratio as a Theory of Everything? at the Museum for Communication Berlin

Die Tamati Matte als Basis japanischer Architektur, gesehen bei Göttlich Golden Genial. Weltformel Goldener Schnitt? im Museum für Kommunikation Berlin

The DIN based crockery service"City" by Pierre Renfer for Langenthal, as seen at Divine Golden Ingenious The Golden Ratio as a Theory of Everything? at the Museum for Communication Berlin

Das DIN basierte Service „City“ von Pierre Renfer für Langenthal, gesehen bei Göttlich Golden Genial. Weltformel Goldener Schnitt? im Museum für Kommunikation Berlin. Leihgeber: Züricher Hochschule der Künste, Museum für Gestaltung Zürich, Designsammlung

DIN as the basis for furniture, as seen at Divine Golden Ingenious The Golden Ratio as a Theory of Everything? at the Museum for Communication Berlin

DIN als Basis für Mobel, gesehen bei Göttlich Golden Genial. Weltformel Goldener Schnitt? im Museum für Kommunikation Berlin

Divine Golden Ingenious The Golden Ratio as a Theory of Everything? at the Museum for Communication Berlin

Göttlich Golden Genial. Weltformel Goldener Schnitt? im Museum für Kommunikation Berlin

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