smow Blog Interview: Tom Newhouse – Ästhetik, Nachhaltigkeit, Ergonomie und Wirtschaft müssen im Gleichgewicht sein

Tom Newhouse wurde in Grand Rapids, Michigan, geboren, in einer Stadt, die seit etwa 150 Jahren als ein – wenn nicht sogar das – Zentrum der amerikanischen Möbelproduktion gilt. So ist es vielleicht nicht überraschend, dass er eine Karriere im Bereich Möbeldesign anstrebte. Nach seinem Abschluss an der School of Art and Design an der Universität Michigan in Ann Arbor nahm Tom Newhouse eine Stelle als Designer bei Herman Miller an. Newhouse sah dies als „wunderbaren Anfang“, bevor er 1978 sein eigenes Studio in Grand Rapids gründete. Seinen ersten Job als Freelancer bekam er allerdings von seinem früheren Arbeitgeber, der ihn beauftragte, Herman Millers Showrooms in Europa neu zu designen. Dieser Auftrag veranlasste ihn dazu, West Michigan zu verlassen und drei Jahre in Europa zu verbringen und bot ihm die Möglichkeit, einen direkten Einblick in den Büromöbelmarkt und die Kultur Europas zu bekommen.

Neben seinen zahlreichen Kooperationen mit Herman Miller entwickelte Tom Newhouse auch Möbel und Beleuchtungsprojekte für und mit Herstellern wie u.a. Worden, Philips und JRB Studios und besitzt zurzeit etwa 90 Patente.

Er war lange ein Verfechter des nachhaltigen Designs, entwickelte mit dem Limerick Chair 1996 Herman Millers ersten 99+% recycelbaren Stuhl – eigentlich 100%, wenn man von der geringen Menge Pulverbeschichtung absieht, die beim Einschmelzen des Stahls verbrennt – und hielt auf der ganzen Welt Vorträge zu dem Thema.

Wir trafen Tom Newhouse auf der NeoCon 2016 in Chicago, um über nachhaltiges Design, seine Zeit als Chauffeur von George Nelson und seine Rolle in der Entwicklung des berüchtigten Zellenbürosystems zu sprechen. Wie immer begannen wir aber mit der Frage: Warum Design?

Tom Newhouse: Ich habe schon als Kind immer Autos, Flugzeuge, Boote usw. gezeichnet. Mir wurde erzählt, dass ich schon als 2- oder 3-Jähriger perspektivisch zeichnete. Mein Lehrer in der 6. Klassenstufe hatte einen Bruder, der Industriedesigner war. Er erzählte meinen Eltern von diesem Beruf und ich war schon mit 11 Jahren begeistert davon. Ich liebe einfach den Kreativprozess, Ästhetisches, Nachhaltigkeit, Ergonomie und Bezahlbarkeit zu wirklich nützlichen Dingen zu kombinieren.

smow Blog: Über deinen ersten Job für Herman Miller sagst du, es sei ein „wunderbarer Anfang“ gewesen. Wie kam es zu diesem Anfang, war es eine ausgeschriebene Stelle oder lief es über das College?

Tom Newhouse: Nein, ich sah eine Werbung für Eames Möbel und sagte mir: „Wer immer das herstellt, ich möchte dort arbeiten!“ Es stellte sich heraus, dass das Unternehmen nur 20 Meilen von meinem Geburtsort entfernt lag. Zu jener Zeit gab es keine offene Stelle, aber Bob Blaich, der Leiter der Designabteilung, schuf eine für mich und ich hatte das Glück, mit Charles und Ray Eames und George Nelson zu arbeiten, als sie emeritiert waren, was eine wunderbare Erfahrung war.

smow Blog: Wenn wir richtig informiert sind, warst du auch George Nelsons Chauffeur?

Tom Newhouse: Ja, damals ging es ihm gesundheitlich nicht so gut, aber er spielte nicht nur seit langer Zeit eine sehr zentrale Rolle für Herman Miller, sondern war auch immer noch sehr wichtig für das Unternehmen. Daher kam er regelmäßig nach Zeeland, um die neuen Projekte anzuschauen und zu kritisieren.

smow Blog: War er ein scharfer Kritiker?

Tom Newhouse: Hart, aber fair, obwohl er wahrscheinlich nicht so hart war wie Charles Eames, dessen Kritik noch ein wenig schärfer war.

smow Blog: Wir vermuten, dass man als junger Designer nur lernen kann, wenn man Zeit mit jemandem wie Nelson verbringt.

Tom Newhouse: Absolut, unglaublich viel. Ich hatte unter anderem das Glück, ihn zu der Designkonferenz in Aspen zu begleiten und habe dort wahnsinnig viel mit ihm diskutiert. Er war sehr klug, ein scharfer Kritiker und sehr großherzig. Man darf nicht vergessen, dass George Nelson für Herman Miller designen sollte, aber D. J. DePree (Unternehmensgründer und CEO) von diesen brillanten Designern Charles und Ray Eames erzählte, die sich in Los Angeles befänden. Er müsse sie unbedingt kennenlernen, weil sie wirklich gute Arbeit leisteten. D. J. war einverstanden, sagte aber auch zu Nelson, dass er so Arbeit abgeben würde, worauf dieser antwortete, dass das stimme, aber dass die beiden etwas können, was er nicht könne!

smow Blog: Hast du neben deiner Tätigkeit, George Nelson durch Michigan zu chauffieren, auch selbst designt oder welche Rolle hattest du im Unternehmen?

Tom Newhouse: Herman Miller arbeitete in der Regel schon immer mit externen Designern. George Nelson lebte zum Beispiel in New York, Charles und Ray Eames in L.A. und Bill Stumpf in Minnesota. Sie hatten aber auch interne Designer, die vor Ort arbeiteten, und das war mein Job. Ich arbeitete also drei Jahre im Einrichtungs- und Ausstellungsteam und drei Jahre im Team Action Office, das in-house für Bob Propst tätig war, der sich in Ann Arbor befand.

smow Blog: Das heißt, du trägst eine Mitschuld an den Großraumbüros…

Tom Newhouse: …ja, ich bin mitschuldig! Wir begannen mit Bob Propsts wunderbarem 64-Teile-System, das wir dann zu tausenden Teilen weiterentwickelten und aus dem das berühmte „Dilbert“-System wurde. Propst wollte all diese Teile nie, er wollte eine begrenzte Anzahl und vor allem wollte er nie eine starre Box. Jede Verbindung in seinem System war klappbar und er konnte beliebige, klappbare Formen gestalten, um spezielle Anforderungen zu erfüllen.

smow Blog: Warum waren es dann am Ende starre, quadratische Kabinen und Dilbert?

Tom Newhouse: Meiner Ansicht nach machten Gebäudemanager, die immer mehr Menschen in Boxen pferchten, alles quadratisch. Die Anforderungen der wirtschaftlichen Raumnutzung. Gebäudemanager erkannten, dass sie mithilfe von quadratischen Kabinen mehr Menschen in einem Raum unterbringen konnten, die Kabinen mit der Zeit verkleinern und dann noch mehr Menschen hineinpferchen konnten. Wir haben neue Komponenten entwickelt, weil die Menschen danach gefragt haben. Das Endergebnis war aber weit weg von Propsts ursprünglicher Absicht, flexible Arbeitsplätze zu entwickeln.

smow Blog: Arbeitete Nelson damals auch im Action Office, oder war er in das Projekt nicht involviert?

Tom Newhouse: George Nelson gestaltete das Action Office 1, denn Propst war Erfinder, kein Industriedesigner und hat kein richtiges ästhetisches Geschick. Also übernahm das Nelson Office die ganze Gestaltung, die ihnen meiner Ansicht nach nicht besonders gut gelang. Für mich war das Action Office 1 kein besonders gutes Produkt. Es war hübsch, aber furchtbar teuer und strukturschwach und so gab es keine gute Beziehung zwischen Nelson und Propst. Daraufhin erfolgte die Zusammenarbeit für das Action Office 2 viel mehr zwischen Propst und Jack Kelly, der viele Jahre lang für Propst gearbeitet hatte, bevor er der Leiter des Designabteilung bei Herman Miller wurde. Das Action Office 2 war viel eher ein Herman Miller Projekt.

smow Blog: Nachdem du Herman Miller verlassen hattest, hast du dein eigenes Studio in Grand Rapids gegründet, der berühmten „Furniture City USA“. Ist das heutige Grand Rapids ein guter Standort für Designer?

Tom Newhouse: Es ist ein großartiger Ort, besonders wenn man nicht so viel reisen möchte, denn in der Nähe gibt es viele potenzielle Kunden. Etwa die Hälfte der Büromöbelindustrie Amerikas ist innerhalb eines Radius von 20 Meilen ansässig, der Rest ist im ganzen Land verstreut. Für mich ist allerdings wichtiger, dass die Gegend in Sachen Material und Verarbeitung gut aufgestellt ist, egal ob man Kunststoffspritzguss, gestanzten Stahl, Druckguss oder was auch immer möchte. Es ist alles auf sehr hohem Niveau vorhanden. Folglich befindet sich hochmoderne, auf die kommerzielle Möbelproduktion anwendbare Expertise direkt vor deiner Haustür und das ist nicht überall in Amerika der Fall. Wahrscheinlich ist nicht alles positiv, es besteht das Risiko des Inzests, wenn jeder mit jedem innerhalb eines Radius von 20 Meilen spricht und zusammenarbeitet. Andererseits ist es fantastisch, weil man wunderbare Möglichkeiten hat, viel entwickeln kann und vor Ort auch viele Experten aus dem Bereich Ingenieurwesen hat.

smow Blog: Das ist natürlich nicht unwichtig, wenn es um Büromöbel geht…

Tom Newhouse: Auf jeden Fall. Ich bevorzuge immer den Ansatz, mit einem sehr guten Partner aus dem Ingenieursbereich zu arbeiten. Ich bin Industriedesigner, ich definiere die Ästhetik, aber ich profitiere von jemandem mit einem besseren Technik- und Materialverständnis und wenn der Kunde schon ausgewählt ist, kann man viel gewinnen…

smow Blog: Ein anderer bevorzugter Ansatz von dir bei der Arbeit ist Nachhaltigkeit…

Tom Newhouse: …ja, ich war schon sehr früh ein grüner Freak, der Wert auf  Nachhaltigkeit legte. Folglich liegt nachhaltiges, ökologisches Design immer im Fokus dessen, was ich tue und mein Ansatz bei meiner Arbeit war es immer, dass Ästhetik, Nachhaltigkeit, Ergonomie und Wirtschaft im Gleichgewicht sein müssen, ansonsten ist das Design nicht fertig.

smow Blog: Hat sich das während deines Studiums entwickelt?

Tom Newhouse: In Michigan hatte ich einen Professor namens Aare Lahti, ein Amerikaner finnischer Abstammung, der großes Interesse an dem Zusammenhang von Materialien, Prozessen und der Erde hatte. So lernte ich schon früh etwas über einen effizienten Gebrauch von Materialien. In den späten 1960er Jahren quollen die Campusse über vor radikalem Gedankengut, die grüne Bewegung wurde ins Leben gerufen und ich war dabei, traf dort meine spätere Ehefrau und alles ergab für mich Sinn. Ich baute unser Haus und Studio zum Beispiel 1978, es hat einen geringen Energieverbrauch und hatte schon immer ein grünes Dach.

smow Blog: Sieht du „Nachhaltigkeit“ in der gegenwärtigen amerikanischen Möbelindustrie?

Tom Newhouse: In dem Bereich, der hier auf der NeoCon präsentiert wird, ist es normal geworden, bei gegenwärtigen Büromöbeln ist Nachhaltigkeit eine absolute Voraussetzung. Im Wesentlichen hat viel von der Denkweise hinter der LEED Zertifizierung, grünen Gebäuden, nachhaltiger Planung usw. auf die Denkweise, was sich in den Gebäuden befindet, abgefärbt. Somit ist den Käufern von Büromöbeln Nachhaltigkeit sehr viel bewusster und wird auch mehr gefordert.

smow Blog: Und wie ist es mit der Ausstattung von Wohnraum?

Tom Newhouse: Bei der Ausstattung von Wohnraum ist es anders, da ist man noch etwas hinterher. Viele Amerikaner kaufen sehr temporär, sie kaufen etwas für ihren Wohnraum und entsorgen es nicht nur, wenn es kaputt geht, sondern erwarten, dass es kaputt geht.  Design wird kaum geschätzt, für viele Amerikaner ist es einfach nicht besonders interessant. Folglich habe ich selten etwas für den häuslichen Gebrauch designt. Büromöbel sind ganz anders, befinden sich auf einem höheren Level und erfordern ein höheres Maß an Qualität und Nachhaltigkeit.

smow Blog: Wir vermuten, für dich hat sich viel verändert?

Tom Newhouse: Auf jeden Fall. Ich musste meine Ideen ins Design hineinschmuggeln und habe der betreffenden Firma nichts gesagt. Vor ca. 15 Jahre begannen sie dann, es zu tolerieren – allerdings nur, wenn es nicht mehr kostete! Nun ist es wie gesagt eine Voraussetzung und das ist toll!

Weitere Informationen zu Tom Newhouse und seinen Arbeiten gibt es auf www.thomasjnewhouse-design.com.

Limerick Chair by Tom Newhouse for Herman Miller (Photo © and courtesy Herman Miller)

Limerick Chair von Tom Newhouse für Herman Miller (Foto © und mit freundlicher Genehmigung von Herman Miller)

Jill Side Chair by Tom Newhouse for Worden (Photo © and courtesy Worden)

Jill Side Chair von Tom Newhouse für Worden (Foto © und mit freundlicher Genehmigung von Worden)

Animate+ by Tom Newhouse for JRB Studio (Photo © and courtesy JRB Studio)

Animate+ von Tom Newhouse für JRB Studio (Foto © und mit freundlicher Genehmigung von JRB Studio)

Preview lamp by Tom Newhouse for OFS (Photo © and courtesy OFS)

Preview Lamp von Tom Newhouse für OFS (Foto © und mit freundlicher Genehmigung von OFS)

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