„Die Fotografie ist das Medium par excellence unserer Zeit. Als visuelles Kommunikationsmittel ist es einzigartig.“1 Dies schrieb die amerikanische Fotografin Berenice Abbott 1941.
Den Beweis dafür liefert die Ausstellung „Berenice Abbott – Fotografien“ im Martin-Gropius-Bau Berlin.
Berenice Abbott wurde 1898 in Springfield, Ohio geboren und studierte ursprünglich und nur sehr kurz Journalistik an der Ohio State University, bevor sie 1918 ins bohemehafte New York und dann 1921 ins avantgardistische Europa zog. Nach einem Aufenthalt in Berlin arbeitete sie in Paris als Assistentin für Man Ray. Die beiden kannten sich aus New York und Gaëlle Morel zufolge wurde Abbott eingestellt, „weil sie keine vorherige Erfahrung im Bereich Fotografie hatte und Man Ray ihr beibringen konnte, die Abzüge gemäß seiner Vorgehensweise anzufertigen.“2 Berenice Abbott lernte offenbar schnell, gründete 1926 ihr eigenes Studio in Paris und konzentrierte sich größtenteils auf Porträtfotografie. Neben dem weitgehend austauschbaren modischen Pariser Partyvolk umfasste ihre Arbeit auch wichtige Persönlichkeiten aus dem kulturellen Bereich der damaligen Zeit wie James Joyce oder Jean Cocteau.
1929 ging Berenice Abbott nach New York zurück und machte sich auf die Suche nach einem Verleger für ihr Buch über den französischen Dokumentarfotografen Eugène Atget. Sie war so überwältigt, wie die Stadt in den acht Jahren gewachsen war und sich entwickelt hatte, dass sie sich dazu entschied, Paris den Rücken zu kehren und nach New York zurückzugehen. Sie wollte vor allem die sich entwickelnde Stadt in der Blütezeit vor der Großen Depression fotografieren – so wie Eugène Atget einst das sich verändernde Paris nach Haussmann dokumentierte.
Nach einigen erfolglosen Versuchen, einen Geldgeber zu finden, erklärte sich 1935 das Federal Art Project, ein Programm der während der Großen Depression tätigen Works Progress Administration (WPA), die Künstler unterstützte, dazu bereit, ihr Projekt, New York zu fotografieren und so den Wandel der urbanen Umgebung zu dokumentieren, finanziell zu unterstützen. Das Ergebnis des Projekts waren etwa 300 Negative, die Ausstellung „Changing New York“ 1937 im Museum of the City of New York und die Veröffentlichung des Buches „Changing New York“ im Jahre 1939. Aber vor allem brachte das Projekt eine Sammlung von Fotos hervor, die eine der definierenden Dokumentationen der Architektur in New York im Jahre 1930 darstellt und ein Archiv verkörpert, das nicht nur in Bezug auf Aufnahmen wie Abbotts Porträt des Flatiron Buildings in Manhattan interessant ist, sondern aufgrund der Tatsache, dass sie die ganze Stadt gleich stark berücksichtigt. Es repräsentiert die reichen und armen Außenbezirke mit derselben Intensität, demselben Interesse und derselben kritischen Distanz, wie es das auch bei den neuen Wolkenkratzern in Downtown tut.
Obwohl Berenice Abbott wohl am meisten für „Changing New York“ und ihre anderen dokumentarischen Arbeiten der 1930er Jahre bekannt war, ist und war sie weit mehr als nur New York und die 1930er. „Berenice Abbott – Fotografien“ beinhaltet auch Beispiele ihrer Porträtfotografie, Arbeiten, die 1954 während eines Road Trips entlang der sogenannten U.S. Route 1, eines 3800 km langen Highways, der von der kanadischen Grenze entlang der amerikanischen Ostküste bis nach Key West führt. Außerdem werden als einer der Höhepunkte der Ausstellung Beispiele ihrer wissenschaftlichen Fotografien gezeigt. 1939 begann Berenice Abbott mit wissenschaftlicher Fotografie und nutzte sie zunächst als Mittel, um einer möglichst breiten Masse die Gesetze der Technik und der Natur zu erklären. Sie beschäftigte sich bis Anfang der 1960 Jahre mit wissenschaftlicher Fotografie, die dafür sorgte, dass sie neues Fotografie-Equipment erfand, vom Science Illustrated Magazin kurz zum Head of Photography ernannt wurde und uns die wunderbarsten, schönsten und absolut faszinierendsten Bilder von Kugellagern, Wellen, Körperteilen und Seifenblasen bescherte. Mit ihrer Naivität und Zweidimensionalität schreien sie alle „analog“, aber wir würden kein einziges gegen einen modernen Digitaldruck eintauschen.
Letzten Endes wurde furchtbar viel Unsinn über Berenice Abbotts Fotografie und besonders über ihre Architekturfotografie geschrieben. Ihre Bilder verfügen über eine gute Komposition, sind durchdacht und technisch korrekt, aber sie sind im Allgemeinen nichts „Spektakuläres“. Dennoch fühlten wir uns von ihnen lange merkwürdig angezogen. Einen möglichen Grund dafür haben wir erst nachträglich erfahren: Als Verfechter der „geradlinigen“ Fotografie war Berenice Abbott strikt gegen jegliche künstlerische Manipulation von Fotos. Was man sah, war das, was die Fotografin sah und einfangen konnte. Das ist nicht unbedingt immer der Fall. In unserem Post zur Ausstellung „Bauhaus Archiv Berlin: Neue Baukunst! Architektur der Moderne in Bild und Buch.“ haben wir bemerkt, dass Architekturfotografen lange dazu tendierten, ihre Bilder zu retuschieren und zu bearbeiten – Photoshop usw. vereinfachten dies. Für Berenice Abbott kam so etwas nicht infrage. „[Mathew] Bradys Bürgerkriegsfotos hätten keine so große emotionale Wirkung, wenn wir gewusst hätten, dass sie wie Hearsts „Gräuel“-Kriegsbilder verfälscht wurden… Aufgrund des Wertes und Nutzens [der Fotografie] wären wir sehr bigott und sogar verantwortungslos, danach zu streben, einen engen Perfektionismus für das Medium gesetzlich festzulegen… Ist die Fotografie selbst nicht gut genug, als man sie nach etwas anderem, vermeintlich Besseren, aussehen lassen muss?…Kunst entsteht durch denjenigen, der fühlt, denkt, arbeitet, schwitzt, träumt und hofft. Das gilt für Fotografie genau wie für jedes andere Medium.“3
Mit dieser Einstellung schuf Berenice Abbott Arbeiten, die von und durch ihre Interpretation einer Szene leben und besonders den Moment der Wahrnehmung, eher als als Abhandlung eines idealisierten Ortes, der mit der Zeit erbaut wurde. Außerdem geht es auf Berenice Abbotts New York Fotos größtenteils um die Gebäude und die urbane Umgebung, sie sind keine „Straßenfotografie“. Es sind zwar Menschen zu sehen, allerdings im Allgemeinen im Kontext mit dem Setting und nicht als Hauptfokus. Ihre Arbeiten sind auch keine soziale und kulturelle Dokumentation à la Jacob A. Riis’ „How the Other Half Lives“. Der Fokus liegt auf den Gebäuden, wo sie stehen, wie sie konstruiert wurden, wie sie genutzt werden. In unserer sich stets entwickelnden Welt der temporalen Architektur und dem oft wichtigen, oft überflüssigen Abriss von Gebäuden ist ehrliche Dokumentation wichtig, wenn zukünftige Generationen aus unseren Fehlern und den mutigen Entscheidungen, die damals vielleicht als Barbarei verurteilt wurden, lernen sollen.
Mit etwa 80 Fotos von Berenice Abbott und unterstützt von Briefen, Magazinen, Artikeln, Büchern und einem Video, ist „Berenice Abbott – Fotografien“ eine knappe, wenngleich eine sehr zufriedenstellende, sehr gut konzipierte Aufbereitung ihrer Arbeiten. So ermöglicht es die Ausstellung nicht nur denjenigen, die ihre Arbeiten bisher nicht kannten, sich diesen anzunähern, sondern ist auch für all diejenigen, die ihre Arbeiten kennen und sich mit einigen Schlüsselaspekten wieder vertraut machen möchten, eine schöne, entspannte Aktivität in den Sommerferien oder an einem Regentag in Berlin.
„Berenice Abbott – Fotografien“ läuft bis Montag, den 3. Oktober im Martin-Gropius-Bau Berlin, Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin.
Alle Details gibt es auf www.berlinerfestspiele.de.
1. Berenice Abbott, A Guide to Better Photography, Crown, New York 1944
2. Gaëlle Morel, Berenice Abbott (1988 – 1991): Photographs, exhibition catalogue, Jeu de Paume, Paris & Ryerson Image Centre at the Art Gallery of Ontario, Paris 2012
3. Berenice Abbott, A Guide to Better Photography, Crown, New York 1944
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