Wie wir in unserem Post zum 100. Geburtstag der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle schrieben, war eines von Paul Thierschs ersten Vorhaben im Rahmen der Übernahme der Handwerkerschule Halle, der zukünftigen Burg Giebichenstein, Werkstätten einzuführen, um Kunst und Handel zu verbinden und seine Studenten so richtig auf die Nachfrage der aufstrebenden Industriezweige vorzubereiten. Daher ist es nur passend, dass die Feierlichkeiten zum hundertjährige Bestehen der Institution mit einer Ausstellung abgerundet werden sollten, die die Tradition und die Wichtigkeit der Werkstätten an der Burg Giebichenstein zelebriert.
Unter dem Titel „Moderne in der Werkstatt“ findet die Ausstellung im Kunstmuseum Moritzburg statt und wird von diesem auch ausgerichtet. Sie ist als eine Art Geburtstagsgeschenk des Museums an seinen guten Nachbarn und engen Kollegen gedacht.
Mit einer Auswahl von Gemeinschaftsprojekten von Studenten verschiedener Werkstätten der Burg Giebichenstein, beginnt „Moderne in der Werkstatt“ chronologisch mit einem Einblick in das Puppentheater der Burg Giebichenstein und die Bedeutung des Puppenspielens an der Burg. Im Anschluss geht die Ausstellung mühelos über zu Projekten wie dem Beitrag der Burg zur Weißenhofsiedlung Stuttgart, der Entwicklung des MDW Möbelprogramms, der Zusammenarbeit mit der MIFA Farradfabrik in Sangerhausen oder des leider schon lange abgerissenen Restaurants des Flughafens Halle/Leipzig, das zwischen 1929 und 1931 unter der Leitung von Hans Wittwer entstand. Fans von kindischen Bürgerstreitigkeiten und verletztem, kommunalen Stolz werden die Bedeutung der folgenden Namensänderung des Flughafens begrüßen. Die Ausstellung schließt mit einem Innenarchitekturprojekt, das im Jahr 2012 gemeinsam mit dem BMW Werk Leipzig für dieses durchgeführt wurde und mit einem Modell der Bibliothek der Burg Giebichenstein, wo Besucher Bücher von der und über die Burg Giebichenstein lesen und einen Film von Studenten anschauen können, in dessen Fokus die gegenwärtige Erfahrung mit den Werkstätten an der Burg Giebichenstein steht.
Dass „Moderne in der Werkstatt“ mit einem Modell der Burg-Bibliothek endet, ist mehr als eine Kuriosität des Ausstellungsdesigns. Im Gegenteil, da die Kuratoren und die Universität eifrig betonen, dass „Werkstätten“ für sie nicht nur etwas sind, wo gesägt, geschweißt, gemalt und fotografiert wird, sondern etwas, wo generell Ideen umgesetzt werden. Intellektuell wie physisch. In dieser Hinsicht ist die Bibliothek auch eine Werkstatt, so wie es jeder Ort ist, an dem Kreative die Gelegenheit nutzen, um sich Ausdruck zu verschaffen.
Wie es sich für eine Geburtstagsfeier ziemt, gibt es im Rahmen von „Moderne in der Werkstatt“ keinen wirklichen Versuch, die letzten 100 Jahre zu analysieren. Es werden nur einige Höhepunkte und somit die Bedeutung gefeiert, die die Institution, ihr Personal und ihre Studenten geschaffen haben.
Es gibt zum Beispiel keinen Erklärungsversuch, warum die Burg den Nationalsozialismus überlebte, wenn nur fünfzig Kilometer weiter das Bauhaus zerstört wurde. Es wird auch nicht wirklich die Frage gestellt, wie die Institution die Formalismusdebatte in den frühen 1950er Jahren oder die darauffolgende Beziehung zu der Regierung der ehemaligen DDR überstand. Wie immer hätten wir eine etwas kritischere Auseinandersetzung mit den 100 Jahren begrüßt, akzeptieren und verstehen trotzdem vollkommen, dass „Moderne in der Werkstatt“ ein Geburtstagsevent ist, bei dem man eher feiern als analysieren will – und darf.
Wenn wir einen wirklichen Kritikpunkt hätten, dann wären das die in der Ausstellung fehlenden Menschen. Die Institution wird von ihren Studenten und ihrem Lehrpersonal gestaltet und nicht nur von den Backsteinen und dem Mörtel, aus dem sie gebaut wurde. Daher wäre es schön gewesen, sich einigen der Hauptpersonen etwas näher zu widmen. Nicht zuletzt deshalb, weil man einen Geburtstag letzten Endes lieber mit Freunden und denjenigen, die einen durchs Leben begleitet haben, feiert, als allein mit seinen Erinnerungen.
Wenn wir einen zweiten Kritikpunkt hätten, dann wäre es der, dass es keinen wirklichen Versuch gab, das Werk der Burg Giebichenstein in den Kontext ihrer Zeit zu setzen. Zum Beispiel sind der Stuhl und das Sideboard, von Paul Thiersch für die Weißenhofsiedlung in Stuttgart entwickelt, für sich genommen völlig angemessene Arbeiten. Trotzdem sehen sie im Zusammenhang mit dem, was Mies van der Rohe, Mart Stam, Marcel Breuer u.a. in Stuttgart präsentierten, eher auf positive Weise nach 19. Jahrhundert aus.
Einen dritten Kritikpunkt haben wir nicht.
Ohne in Sachen Größe oder Intensität zu übertreiben, hat „Moderne in der Werkstatt“ einen sehr angenehmen Umfang und bietet einen exzellenten Überblick über einige der Projekte, die die Burg Giebichenstein Kunsthochschule zu dem gemacht haben, was sie ist. Die Ausstellung als solche bietet eine sehr gute Einführung in die Institution und ihre Geschichte.
Insbesondere die Mischung aus freier Kunst, klassischer Kunst, Produktdesign und Interieur Design, die schon immer eine Besonderheit der Institution war, wird sehr gut dargestellt. Das ist kein unwichtiger Aspekt, wenn man an die gegenwärtigen Debatten über die verschwommenen Grenzen zwischen Design und Kunst in unserer gegenwärtigen Welt des Autorendesigns, der Designgalerien und Eindhoven denkt.
Wie wir hier oft geschrieben haben, ist Halle für uns Wien, nur unter einer sehr, sehr dicken Staubschicht.* Wie auch immer, wenn man ein bisschen über den Staub und den Verfall hinwegschaut, entdeckt man einen Reichtum an Architektur und stadtplanerischem Erbe, inklusive modernistischer Arbeiten und Interpretationen. Dennoch kann man all dies nur zu leicht übersehen. Ähnlich ist auch die Burg Giebichenstein allzu leicht zu übersehen, aber „Moderne in der Werkstatt“ erklärt, warum man sie nicht übersehen sollte.
„Moderne in der Werkstatt – 100 Jahre Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle“ läuft im Kunstmuseum Moritzburg, Friedemann-Bach-Platz 5, 06108 Halle (Saale) bis Sonntag, den 14. Februar. Alle Details, inklusive Informationen zu dem begleitenden Rahmenprogramm gibt es auf www.stiftung-moritzburg.de.
*Wir begrüßen es, dass es tatsächlich sehr leicht fiel, eine Verbindung zwischen der Wiener Werkstätte und dem Wandel vom Jugendstil zur Moderne und den Werkstätten in Halle herzustellen. Aber das wäre zu einfach. Wir haben Standards. Nicht sehr hohe, aber Standards.