Eines der größten Probleme des Modernismus ist der Name.
Er war zweifelsohne modern. Weshalb er auch als „Modernismus“ bekannt wurde.
Allerdings, nachdem er dann Modernismus war, blieb er Modernismus und in der Konsequenz bedeutet „Modernismus“ nun etwas Statisches.
Und nicht etwas, nun ja, Modernes.
Nirgends ist dieses Problem besser sichtbar als in den Diskussionen rund um das Bauhaus.
1919 in Weimar gegründet, wurde das Bauhaus zu etwas, das eine zentrale Rolle in der Formung jener Vorstellungen von Kunst, Architektur und Design spielte, die Europa in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts überschwemmten. Und spielte damit auch eine zentrale Rolle in der Entwicklung des Modernismus.
Aufgrund dessen wird das Bauhaus von vielen als eine historische Institution gesehen. Eine Institution, die damals interessante Sachen veranstaltete, von denen wir jetzt schöne Dinge zum Anschauen haben, aber ansonsten…
Au contraire! schreit nun das Vitra Design Museum, Bauhaus ist ebenso relevant wie eh und je! Eine Behauptung, die derzeit in ihrer neuen Ausstellung Das Bauhaus #allesistdesign präsentiert wird.
„Viele zeitgemäße Themen des Designs waren auch am Bauhaus schon relevant“ argumentiert der Chefkurator des Vitra Design Museums, Mateo Kries, „soziales Design, neue Technologien, wer ist der Autor eines Designs, die Beziehung zwischen Kunst und Design, zwischen Industrie und Handwerkszünften, solche fundamentalen Fragen wurden am Bauhaus gestellt und bestimmen weiterhin den Design-Diskurs in der heutigen Zeit.“
Das Bauhaus #allesistdesign erklärt, wie Bauhaus diese Probleme anging, während gleichzeitig nicht nur herausgearbeitet werden soll, inwiefern Bauhaus immer noch relevant ist, sondern auch wie weit die Ansichten, die in Weimar und Dessau verbreitet wurden, kreative Geister der heutigen Zeit immer noch inspirieren und motivieren.
Die Ausstellung startet jedoch auf sehr klassische Weise, mit einem Blick auf den politischen und sozialen Kontext, in dem das Bauhaus entstand und einer Präsentation von Beispielen der Designarbeiten, die zur Erschaffung der Bauhaus-Legende beitrugen. Wie wir in unserem Post über die Ausstellung bewundert, verspottet, gehasst – Das Bauhaus Dessau im Medienecho der 1920er Jahre festhielten, waren das Bauhaus und seine Lehren zu ihrer Zeit nicht allseits beliebt. Viele verstanden es einfach nicht. Oder mochten es einfach nicht. Die Industrie jedoch schon und viele freuten sich, mit den mutigen jungen Dingern und deren mutigen jungen Ideen zusammenzuarbeiten. Die Bauhaus-Tapetendesigns boten nicht nur den Gebrüdern Rasch eine annehmliche Marktnische, sondern auch Industriekonzerne der Zeit wie der Leuchtenhersteller Kandem oder das Möbelunternehmen Thonet arbeiteten eng mit Bauhaus-Designern zusammen; Kooperationen, die häufig in der Realisation neuer Produktionskonzepte und Methoden, aber auch in neuen Produktlinien fruchteten. Und während es die Produkte und die Architektur waren, die die Basis der berühmten Bauhaus-Legende formten, war es die Herangehensweise an das Design, an Probleme, an die Produktion und die zugrunde liegende Bauhaus-Philosophie, die das Bauhaus von dem trennte, was davor kam. Laut der Kuratorin der Ausstellung, Jolanthe Kugler, ist und war einer der Gründe für den Titel der Ausstellung der Fakt, dass die Bauhaus-Philosophie im Endeffekt alles zu Design machte und alle Künste und Handwerke unter einem einheitlichen Banner vereinte. Am Bauhaus #warallesdesign.
Und doch ist es ironischerweise gerade dieses einheitliche Banner, das dazu beitrug, aus „Design“ den verwirrten, fast wertlosen Ausdruck zu machen, der er heute ist. Oder zumindest hat das allgemeine Verständnis von #allesistdesign dazu beigetragen, die Linie zwischen Design und Styling, gut und schlecht, nützlich und verschwenderisch, notwendig und unnötigem Mist zu verwischen.
Alles ist Design. Die Bauhaus-Legende wird zum Bauhaus-Klischee. Alles ist Bauhaus, selbst wenn es das offensichtlich nicht ist, oder wie Jolanthe Kugler es prägnant beschreibt: „Das Wort Bauhaus hat sich zu einem Stempel entwickelt, der einfach allem aufgedrückt werden kann und dann ist alles perfekt.“
Wir kennen alle den „Stuhl im Bauhaus-Stil“, das „Haus im Bauhaus-Stil“, die „Lampe im Bauhaus-Stil“, den „Hosenbügler im Bauhaus-Stil“, die „Uhr im Bauhaus-Stil“, die „Textilien im Bauhaus-Stil“.
Solche Objekte bilden das gängige Image des Bauhaus, die Eigenschaften, die dem Bauhaus üblicherweise zugeordnet werden. Und doch haben sie ausnahmslos nichts mit dem zu tun, was das Bauhaus erreichen wollte. Oder wie das Bauhaus sich selbst verstand. Und der einzige Weg, mit dem das Bauhaus die Kontrolle über sein gängiges Image vielleicht zurückgewinnen kann und damit auch seine zeitgenössische Relevanz, ist sein wahres Selbst zu zeigen.
Und das ist genau das, worum sich das Vitra Design Museum im dritten und vierten Teil der Ausstellung bemüht.
Und etwas, das sie nach unserem Dafürhalten am erfolgreichsten durch die „Foto“-Serie „Space for Everyone“ von Adrian Sauer erreichen, in der historische Fotos von Bauhaus-Einrichtungen manuell „eingefärbt“ wurden – eine Herangehensweise, die sehr gut funktioniert, weil sie das Bauhaus in seiner bunten Pracht zeigt und nicht in dem schwarz-weiß, das sonst die allgemeine Sicht des Bauhaus prägt. Es klingt trivial, aber durch die zusätzliche Farbe sieht das Bauhaus anders aus. Fast normal. Auf jeden Fall weniger einschüchternd. Es fängt sogar irgendwie an, anders zu riechen. Und das ist genau das, was das Bauhaus braucht, eine Spur von Realität zwischen den Legenden, Klischees und dem geistlosen Marketing.
Studenten schrieben sich am Bauhaus ein, bezahlten ihre Gebühren, flogen raus, hatten Affairen, stritten mit Tutoren, schummelten in Prüfungen, hatten brillante Ideen, hatten weniger brillante Ideen, machten ihren Abschluss, zogen weg, wurden erwachsen, lebten ihr Leben.
Hunderte von Studenten und Lehrkräften gingen durch die Türen in Weimar und Dessau – und wären ohne Zweifel auch durch die Türen Berlins gegangen, wenn die Behörden sie nicht verschlossen hätten – und trotz der Jahre des Erfolgs können die meisten Menschen bestenfalls 6 Bauhäusler benennen. Die, die ein bisschen besser informiert sind, kennen vielleicht bis zu 20. Um mehr als 20 zu kennen, muss man dort gewesen sein.
Die Tatsache, dass #allesistdesign Arbeiten von Ilse Bettenheim-Hoernecke, Roman Clemens, Otto Lindig oder ihresgleichen neben den Wagenfelds, Breuers, oder Bayers dieser Welt präsentiert, ist nicht selbsterklärend, sondern eher eine bewusste Entscheidung der Organisatoren, basierend auf dem Wunsch, das allgemeine Verständnis davon, was Bauhaus war und was es erreicht hat, zu erweitern. Zweifellos werden solche „neuen“ Namen nicht in einer Tiefe präsentiert, die ausreichen würde, um sich eine Meinung über die ganzheitliche Qualität ihres individuellen Kanons bilden zu können, aber ihre Präsenz in Verbindung mit einer großen Zahl unbekannterer und seltener gesehener Arbeiten der etablierten Namen ist wichtig für die Vollendung der Bauhaus-Geschichte. Oder zumindest dabei, es zu versuchen, zu versuchen, eine neue Ansicht auf die Bauhaus-Geschichte zu finden.
Etwas, das sehr wichtig ist, da sich die Institution ihrem hundertsten Geburtstag nähert.
Der letzte Teil von #allesistdesign deckt Themenbereiche wie Typographie, Fotografie oder Kommunikation ab. Letzteres erlaubt es uns, die Frage zu stellen, die uns seit der Ankündigung der Ausstellung beschäftigt. Hätte Walter Gropius der Hashtag gefallen? „Ja, auf jeden Fall“, antwortet Jolanthe Kugler ohne zu zögern, „weil Gropius sehr gut darin war, jedes Mittel der zeitgemäßen Kommunikation zu nutzen, um seine Vorstellungen zu verbreiten. Genauso sehen wir auch diese Ausstellung nicht als endgültige, abgeschlossene Position, sondern sie sollte eher als Anfang einer Diskussion gesehen werden und wo führt man Diskussionen heute? In den sozialen Medien. Und so soll der Hashtag für uns unterstreichen, dass wir bewusst auf eine Diskussion aus sind“.
Als gut präsentierte, unterhaltsame und informative Ausstellung bietet #allesistdesign einen guten Überblick über und eine Vorstellung von Bauhaus, inklusive eines verständlichen Glossars, für all jene, die mit der einen oder anderen Begrifflichkeit oder Verbindung Schwierigkeiten haben und durch die neuen, frischen Einblicke fügt sie den Diskussionen ums Bauhaus eine dringend benötigte Dosis Realität bei. Nicht zuletzt erinnert uns #allesistdesign daran, dass das Bauhaus in und auch abseits seiner Zeit existierte, dass daran echte Menschen beteiligt waren, die die echten Herausforderungen echter Situationen in deren wirklicher Welt ansprachen. Es ging nicht darum, einen Stil zu kreieren.
Aber gelingt es #allesistdesign tatsächlich, neue Eindrücke des Bauhaus zu präsentieren, die erklären, warum es immer noch zeitgemäß und immer noch relevant ist?
Annähernd.
Im Zusammenhang mit zeitgemäßem Design sprachen wir kürzlich mit einem Kurator, der sich beklagte, man habe heutzutage seine „Stardesigner“ und hinter ihnen anscheinend eine Wüste. Bauhaus ist allgemeinhin dafür bekannt, da nicht anders zu sein, #allesistdesign erinnert uns daran, dass es aber doch anders war, dass die 6 Bauhäusler, die man kennt und die 8 Bauhaus-Objekte, die man mal gesehen hat, womöglich nicht repräsentativ für eine Institution sind, die über 14 Jahre an drei verschiedenen Orten existierte – und dass die Situation heute, wenn man es mal hochrechnet, vielleicht auch anders ist, wenn man sich traut, über die Sicherheit der wenigen Namen, die man kennt, hinauszublicken.
Ebenso erinnert uns #allesistdesign daran, dass das Bauhaus genauso eine soziale und ökonomische Antwort auf die Umstände der Zeit war, wie es auch eine kreative Bewegung war, dass die entstandenen Objekte aus bestimmten Gründen entstanden, in einem bestimmten Kontext und auf der Basis einer wohlüberlegten theoretischen Grundlage. Und auch auf die Gefahr hin, dass wir uns wiederholen, es ging beim Bauhaus nicht darum, einen Stil zu kreieren, oder wie uns Michele De Lucchi im Zusammenhang mit dieser anderen regelmäßig missverstandenen Bewegung Memphis sagte: „Ich glaube, Memphis wird heute mehr als ein Stil wahrgenommen, aber zu der Zeit wollten wir keinen Stil entwickeln, sondern Türen einbrechen und unsere Vorstellungen befreien, um neue Möglichkeiten zu finden„. Trotz der postmodernen Ansprüche, die Memphis hatte, waren deren wesentliche Auseinandersetzungen mit der Gesellschaft der 1980er ähnlich zu denen, die Gropius und andere mit den 1920ern hatten.
All das sollte Besucher dazu anregen, sich selbst ein paar Fragen zu stellen in Bezug auf die heutige Gesellschaft, heutigen Handel, heutige Einrichtungen, heutige Möbel und ob, ganz ehrlich, #allesdesignist?
Das funktioniert alles sehr gut; was weniger gut funktioniert, ist die Gegenüberstellung von zeitgenössischen Objekten und Bauhaus-Arbeiten, oder besser gesagt, was stellenweise, aber nicht vollkommen überzeugend funktioniert, ist die Gegenüberstellung von zeitgenössischen Objekten und Bauhaus-Arbeiten. In die Ausstellung eingeflochten wie ein goldener Faden, ohne Zweifel darauf abzielend, den Besucher zu einem Moment der Aufklärung zu führen, hat das Konzept durchaus gute Momente: Die vielen ausgestellten Open Design Projekte erinnern uns an das Interesse des Bauhaus an neuen Materialien, neuen Produktionsmethoden und den Mut zu akzeptieren, dass das zu neuen, unbekannten Formensprachen führen könnte; ebenso erinnert der Vergleich von Arbeiten des MIRO Studios aus Hong Kong mit Herbert Bayers Grafik- und Ausstellungsarbeiten an die sehr wichtige Rolle, die die Bauhaus-Workshops in der Entwicklung moderner Vorstellungen von grafischem Design und Werbung gespielt haben. Andere Ansätze funktionieren weniger gut. Dass Konstantin Grcic einen Stuhl designte, der ein bisschen so aussieht, als könnte er möglicherweise 1926 in Dessau entstanden sein, scheint nicht relevant oder auch besonders überraschend zu sein für jemanden, der mit seinen eher kommerziellen Arbeiten etwas besser vertraut ist, und er unterstreicht außerdem eher das Bauhaus-Klischee, als vielmehr die zeitgemäße Relevanz des Bauhaus. Genauso der Fakt, dass Hugo Boss Textilien mit Mustern im Bauhaus-Stil entworfen hat, nun ja…siehe oben…
Was keine Kritik an den Arbeiten als solche ist, nur an der Entscheidung, sie in die Ausstellung zu integrieren und vor allem an der Art, wie sie oft die Absichten der Ausstellung parodieren und damit die sehr gute Arbeit, die an anderer Stelle getan wird, untergraben.
Brechstangen sind ein essentieller Teil der Waffen eines jeden Kurators, sie sollten jedoch immer schonend eingesetzt werden.
Sehr viel überzeugender ist dagegen die Raumaufteilung. Auf der Eröffnung seiner Ausstellung Panorama äußerte sich Konstantin Grcic über die „herausfordernden“ Räumlichkeiten im Gehry Gebäude. Für #allesistdesign hat das Vitra Design Museum diese Herausforderung etwas reduziert, indem zusätzliche Wände eingefügt wurden, die neue, überschaubarere Räume und damit auch neue Ausstellungsmöglichkeiten kreieren. Wir haben keine Ahnung, was Frank Gehry sagen würde, wir vermuten, er würde es hassen, oder vielmehr hoffen wir das, aber wir finden, dass das Konzept im Kontext von #allesistdesign perfekt funktioniert und die Ausstellung sehr viel unterhaltsamer macht, als es andernfalls der Fall gewesen wäre.
Bauhaus war nicht die einzige Schule oder Design-/Kunst-/Architektur-Bewegung des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts. Es ist allerdings in vielerlei Hinsicht die populäre Verkörperung der Zeit.
Warum? Und vor allem, warum ist das Bauhaus-Vermächtnis über die Jahre so erhalten geblieben? Was ist es, das das Bauhaus so bleibend populär macht?
Von ihren Beiträgen zu der Ausstellung erfahren wir zum Beispiel, dass es für Alberto Meda die Tatsache ist, dass das Bauhaus uns die „Wertschätzung dafür, wie die Dinge funktionieren und nicht nur ihre formalen Qualitäten“ beigebracht hat, für Antonio Citterio lehrte uns das Bauhaus „Abstraktion und eine ganzheitliche Herangehensweise an Kunst“; Norman Foster sieht in dem Potential, ein Haus in 3D zu drucken, eine direkte Erweiterung der Bauhaus-Philosophie; Jay Barber und Edward Osgerby haben die Bauhaus-Philosophie als Learning by Doing aufgegriffen und verstanden; während uns für Maik Meiré das Bauhaus den Wert gelehrt hat, Design in alle Aspekte einer Marke zu integrieren, vom Produkt über Management bis zur Kommunikation.
Was natürlich alles perfekt erklärt, warum das Bauhaus-Vermächtnis über die Jahre so erhalten geblieben ist: Bauhaus kann sein, was immer man möchte, als was auch immer man es verstehen möchte. In Bezug auf Design und Architektur ist das Bauhaus universell.
Eine Tatsache, die furchtbar viel Raum dafür lässt, zu missverstehen, was die Schule war, was sie erreichen wollte, wie sie ihre Ziele verfolgte. Und vor allem, was sie uns heute beibringen kann.
#allesistdesign ist ein guter Ort, das eigene Verständnis vom Bauhaus in Frage zu stellen. Und von zeitgenössischem Design.
Oder, wenn man das vorzieht, #allesistdesign ist ein guter Ort, um das eigene Verständnis von modernem Design in Frage zu stellen.
#allesistdesign läuft im Vitra Design Museum, Charles-Eames-Strasse 2, 79576 Weil am Rhein, bis Sonntag, den 28. Februar.
Alle Informationen, inklusive Details zum begleitenden Nebenprogramm finden Sie unter www.design-museum.de.
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