Wir nahmen uns gerade ein paar Minuten Auszeit von der Burg Giebichenstein Halle Sommerausstellung 2015, setzten uns auf eine kleine Mauer, um einen wohlverdienten Kaffee zu genießen und um das Gesehene zu verdauen und zu verarbeiten, als uns lauter werdend die unverkennbaren Klänge von Morrisseys „Everyday is like Sunday“ auffielen, die uns über den Neuwerk Campus der Universität entgegen wehten.
„Armageddon, come Armageddon! Come, Armageddon! Come!“
In Anbetracht der Tatsache, dass im Verlauf ihrer hundertjährigen Geschichte atomare Auslöschung so ziemlich der einzige Schicksalsschlag ist, der die Burg Giebichenstein nicht getroffen hat, war es vielleicht nicht die beste Idee, den Geist des Barden von Salford anzustacheln. Trotzdem demonstrierte die Qualität der gezeigten Arbeiten auf der Sommerausstellung 2015 gekonnt, dass die Burg Giebichenstein Armageddon wahrscheinlich ebenso gekonnt und lässig überstehen würde, wie sie auch Nazi-Deutschland und die DDR überlebt hat.
Eine ganze Reihe von Projekten bewies außerdem, dass trotz Morrisseys Beteuerungen nicht alles still und grau ist. Im Gegenteil …
Vier Projekte, die besonders glänzten:
Garderobe7 von Juliane Huhn
Im Rahmen des Semesterprojekts „Pro Familia“ entwickelt, ist Garderobe7 von Juliane Huhn ein unbegrenzt erweiterungsfähiges Kleider- und Jacken-Gestellsystem, konzipiert um Aufhängungs-und Aufbewahrungsmöglichkeiten für jedes Mitglied einer Großfamilie zu bieten – egal welcher Körpergröße. Basierend auf einem unterhaltsamen analogen „Plug & Play“-System werden die Holzstreben von den Holzhaken an Ort und Stelle gehalten. Mit Hilfe von Streben unterschiedlicher Länge kann Garderobe7 vertikal und horizontal nach Belieben erweitert werden und damit nicht nur das nötige Aufbewahrungsvolumen bieten, sondern auch Haken auf passender Höhe für alle Familienmitglieder. Außerdem waren wir von der eng anliegenden Anbringung an der Wand sehr angetan. Das System verschenkt also keinen Platz und erweist sich in modernen Eingangsbereichen, in denen Freiraum weniger eine Selbstverständlichkeit als vielmehr ein Luxus ist, als besonders praktisch. Natürlich bietet das Konzept auch die Möglichkeit, eine unbegrenzte Anzahl Zusatzteile und ergänzende Features anzubringen.
One Way von Stephan Hildebrandt
Wie schon bei dem auf der Summaery 2015 der Bauhaus Universität Weimar gezeigten Projekt „Die Programmierbarkeit des Werkstoffes Holz“ von Roy Müller geht auch das Ausstellungsstück One Way von Stephan Hildebrandt der Frage des selektiven, nicht mechanischen Verformens von Holz im speziellen Fall von Furnier nach. Ausgehend von dem Fakt, dass sich feuchtes Furnier senkrecht in Richtung der Holzfasern rollt, hat Stephan Hildebrandt ein Verfahren entwickelt, bei dem man das Furnier mit einem wasserabweisenden Stoff behandelt und dadurch die Art des Rollens beeinflussen und es formbar machen kann. Die Beispielstücke auf der Ausstellung schrien förmlich „Lampe! Lampe! Lampe!“, aber wir sind uns sicher, das ist nur eine von vielen Anwendungsmöglichkeiten, vorausgesetzt, Stephan kann das Verfahren aus der kleinen Werkstattproduktion heraus auf ein mindestens halb-industrielles Level bringen.
Baumkuchenmesser von Friedrich Rosenthal
Friedrich Rosenthals Urgroßvater war eine führende Persönlichkeit der traditionellen Baumkuchen-Industrie in der norddeutschen Stadt Salzwedel. Als Spezialität der Region ist Baumkuchen ein übertrieben aufwendiger und dadurch übertrieben teurer Kuchen, dessen Produktionsprozess und Form nicht im Geringsten effizient oder unkompliziert sind. Beim Versuch etwas zu entwerfen, das seinem Urgroßvater zu einem angemessenen Andenken verhilft, hat Friedrich Rosenthal ein Messer kreiert, dessen Form sich speziell für das Schneiden von Baumkuchen eignet.
Nein, die Welt braucht kein Baumkuchenmesser. Normale Messer reichen völlig. Haben sie immer. Werden sie auch immer.
Aber erstens ist Friedrich Rosenthals elegant zurückhaltendes Design ein angenehmer Kontrast zu der schamlosen Opulenz des Baumkuchens, den es schneiden soll, und zweitens hat das Messer mit seinem handgemachten Mix aus Stahl und Holz das Potenzial, ein Familienerbstück zu werden – mindestens genauso wertvoll wie die Erinnerung an den Urgroßvater, zu dessen Ehren es entworfen wurde.
Gewinde von Li Yin
Eine der grundsätzlichen Funktionen von Designern ist es, bestehende Systeme, Prozesse oder Objekte weiterzuentwickeln. Weiterentwicklung in der Hinsicht, dass sich das Neue gegenüber dem Alten in irgendeiner Form verbessert.
Und das bedeutet nicht immer, dass es bestehende Systeme, Prozesse oder Objekte sein müssen, manchmal kann es sich um so etwas banales wie ein Schraubengewinde handeln.
Normalerweise wird ein solches Schraubengewinde als fester Bestandteil eines Objekts gefertigt, und ist nach der Herstellung mittels Gießverfahren untrennbar damit verbunden, doch Li Yin schlägt eine Alternative vor – Gewinde als selbstklebende Sticker, die an jede bestehende Oberfläche aus Metall, Holz, Plastik, Porzellan oder dergleichen angebracht werden können. So werden sie für neue Verwendungsmöglichkeiten nutzbar gemacht oder einfache Materialien werden in komplexe Bauteile umgewandelt – wie auch immer sie im individuellen Fall auch gerade gebraucht werden. Wenn wir ehrlich sind, haben wir die Idee noch nicht völlig durchschaut und deshalb auch noch nicht zu Ende gedacht, was praktische Beispiele angeht. Aber es ist die Art von Idee, die uns vom ersten Moment an fesselt und uns auch in den kommenden Monaten nicht loslassen wird. Wofür wir dankbar sind. Außerdem ist es eine schöne Denksportaufgabe.