Zu den eher arroganten Charakteristikum von uns Stadtbewohnern gehört die (eingebildete) kulturelle und kreative Überlegenheit gegenüber der Landbevölkerung.
Ein Zustand, der wohl größtenteils mit der inselartigen, selbstbezogenen Art des Stadtlebens und dem daraus folgenden Glauben zusammenhängt, dass nur ein urbanes Umfeld mit seiner speziellen Mischung aus Einflüssen und Ritualen die kulturelle Evolution voranbringen könne.
Und diesem Zustand wird durch die aktuellen technologischen, demografischen, ökonomischen und politischen Veränderungen nur wenig Abhilfe geschaffen. Deren weitreichende Konsequenzen betreffen nicht nur das tägliche Leben in ländlichen Gemeinschaften und die besonderen Herausforderungen für deren Bewohner, sondern beeinflussen auch, wie wir Stadtbewohner die Probleme des Landes verstehen und wahrnehmen.
Dass ländliche Gemeinschaften allerdings ebenso kreative Orte mit großem Potential wie unsere Städte sind, lässt sich jetzt in der Ausstellung bzw. dem Projekt „International Village Show – Alle Dörfer an einem Ort“ von und mit der Künstlergruppe Myvillages in der Galerie für Zeitgenössische Kunst, Leipzig entdecken. Zudem erfährt man, dass künstlerische Interventionen nicht nur ländliche Gemeinschaften stärken können, sondern dass solche Projekte auch beim überheblichsten Stadtbewohner dazu führen, ein besseres Verständnis für die Wichtigkeit, die Essenz und die Vitalität ländlicher Regionen zu entwickeln.
Die 2003 von den deutschen Künstlerinnen Kathrin Böhm und Antje Schiffers mit ihrer dänischen Kollegin Wapke Feenstra gegründete Künstlergruppe Myvillages entstand aus einer grundlegenden Beobachtung: „Eines Tages“, erklärt Kathrin Böhm, „realisierten wir, dass, obwohl wir alle drei in ländlichen Regionen aufgewachsen sind, wir alle in Städten leben und fast schon exklusiv nur in und mit der Stadt arbeiten. Daraufhin haben wir begonnen darüber nachzudenken, welche Gründe das hat – warum wir automatisch immer den urbanen dem ländlichen Raum vorgezogen haben.“
Im ersten Teil dieser Reflexion untersuchten alle drei ihre eigenen Heimatdörfer und Gemeinden in einem künstlerischen Kontext, bevor sie dann 2005 die sogenannte „Village Convention“ organisierten – ein zweitägiges Event in Ditchling an Englands Südküste, bei dem Künstler aus Großbritannien, den Niederlanden, Dänemark, Österreich, Deutschland und Spanien über „kontextuelle Kunst in ländlichen Regionen“ diskutierten. Für Kathrin Böhm war der Anstoß für „Village Convention“ so offensichtlich wie notwendig: „Es gibt viele Menschen in ländlichen Gebieten, die sehr interessante Kunst herstellen, nur leider schlecht vernetzt und deshalb kaum sichtbar sind.“ Das Projekt Myvillages war ein erster Versuch beides zu verbessern,
Während des letzten Jahrzehnts ist Myvillages einerseits weiter der Aufgabe nachgegangen, ländliche Gemeinschaften miteinander zu verbinden, und hat außerdem dabei geholfen die Beziehungen zwischen Stadt und Land zu pflegen. Zu diesem Zweck wurden verschiedene Ausstellungen, Workshops und längerfristigere Projekte veranstaltet, wie beispielsweise die sogenannte „Bibliobox“, ein fahrendes Archiv mit kontextueller Kunst. Hinzu kommen Projekte mit stärkerem sozialen, ländlichen Fokus, wie „I like being a farmer and I like to stay one“, ein Videoprojekt, in dem Landwirte aus ganz Europa ihren Alltag vorstellen, oder „Former Farmland“, das die Geschichten hinter Ländereien dokumentiert, die einst landwirtschaftlich genutzt wurden und jetzt kommerziell bzw. als Wohnfläche genutzt werden, bis hin zu Projekten eher angewandter Natur, darunter „International Village Shop“ – wie der Name bereits vermuten lässt, werden hier Produkte verkauft, die von internationalen Dorfgemeinschaften in Kooperation mit Myvillages entwickelt wurden, und die kurz- oder längerfristig an verschiedenen Orten weltweit auftauchen. Die jüngste Manifestation des „International Village Shops“ war auch zu einer zentralen Komponente der Ausstellung „International Village Show – Alle Dörfer an einem Ort“ in der Galerie für Zeitgenössische Kunst, Leipzig geworden.
Ein Projekt so ambitioniert wie interessant: Während der kommenden zwei Jahre wird „The International Village Show“ 16 Dorfgemeinschaften, d.h. jeweils zwei gleichzeitig über drei Monate, im GfZK Gartenhaus präsentieren. Mit kulturell und geografisch so unterschiedlichen Dörfern wie beispielsweise Ballykinler, Nordirland, Deer Trail, Colorado oder Yang Deng, China versucht „The International Village Show“ einerseits eine Auswahl globaler Projekte vorzustellen, bei denen Myvillages involviert ist, und andererseits ländliche Gemeinschaften auf einer Plattform mit einander zu verbinden und so eine Debatte, einen Austausch und neue Ideen anzustoßen.
Die ersten beiden präsentierten Dörfer sind Höfen, Bayern und Ekumfi-Ekrawfo, Ghana. Neben der Vorstellung der Dörfer und ihrer Bewohner durch eine Serie von Workshops, Veranstaltungen und Filmen werden bei der Ausstellung auch zwei neue Produkte vorgestellt, die von den Gemeinschaften realisiert wurden: ein Tischtuchdesign aus Spitze, hergestellt von den „Höfer Frauen“, und eine Fufu-Schale aus Ekumfi-Ekrawfo.
Abgesehen von der Präsentation der 16 Dörfer aus aller Welt gehören auch zahlreiche Projekte mit einem lokalen Schwerpunkt zur „International Village Show“, darunter ein Forschungsprojekt, das die regionale Geologie visualisieren möchte, und ein Projekt mit Schülern der evangelischen Schule in Großbardau, bei dem die Kinder Möbel für öffentliche Räume entworfen haben, die im kommenden Sommer im GfZK Garten präsentiert und genutzt werden sollen.
Trotz Myvillages Interesse an ländlichen Regionen sollten die Projekte Kathrin Böhm zufolge nicht zwangsläufig als pro-ländlich verstanden werden. „Wir möchten weder zwischen ländlichen und urbanen Regionen polarisieren noch das ländliche Idyll romantisieren“, erklärt sie, „es geht uns mehr um eine Beobachtung und Beschreibung der sich konstant verändernden Situation. Es gibt einen regelmäßigen und breiten Diskurs über das Urbane, auf ländliche Gebiete trifft das hingegen nur kaum zu. Beginnt man allerdings einmal über Gemeinschaften auf dem Land zu sprechen, haben interessanter Weise plötzlich eine Menge Leute viel zu sagen. Allerdings gibt es nur sehr wenige öffentliche Foren, in denen ein Diskurs über den ländlichen Raum geführt werden kann.“
Alle, die also Teil eines neuen Diskurses über die Landgesellschaft sein möchten oder sich einfach für zeitgenössische Beiträge zur Realität eines Lebens auf dem Land interessieren, seien während der kommenden 24 Monate herzlich in die Galerie für Zeitgenössische Kunst, Karl-Tauchnitz-Straße 9-11, 04107 Leipzig eingeladen.
Die einzelnen Projekte und sämtliche Details sind im Internet zu finden:
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