In seinem Film „Moderne Zeiten“ von 1936 gerät Charlie Chaplin bekanntermaßen in die Mühlen des Fortschritts. Der Film ist eine kurze, aber scharfe Kritik an den Problemen und Herausforderungen, die technologischer und sozialer Wandel für den „kleinen Mann“ mit sich bringen.
Über ein Jahrzehnt später hatte auch der ungarische Künstler und Autor László Moholy-Nagy damit begonnen, die Probleme und Herausforderungen der Moderne zu studieren. Er setzte sich mit dem rasanten technischen Fortschritt und der damit verbundenen Flut an neuen sensorischen Erfahrungen auseinander. Jetzt präsentiert das Bauhaus Archiv Berlin in seiner Winterausstellung 2014/15 nicht nur eine tiefgründige Untersuchung László Moholy-Nagys und seiner Arbeit, sondern befasst sich auch mit der Relevanz dieser Arbeiten für unsere „Moderne“.
Anfänglich wollte der 1895 im ungarischen Bácsborsód geborene László Moholy-Nagy eine juristische Laufbahn einschlagen. Seine Pläne änderten sich jedoch, als er die Kunst der Avantgarde und die Literatur für sich entdeckte – zuerst durch die Budapester Aktivistenbewegung und danach durch den Dadaismus und russischen Konstruktivismus. Im Jahr 1920 zog Moholy-Nagy nach Berlin. Dort machte er sich mit den Ideen der Reformpädagogik vertraut, veröffentlichte seine ersten programmatischen Texte und nahm erstmals an Ausstellungen teil, bevor ihn Walter Gropius 1923 auswählte, Johannes Itten als Tutor des berühmten Vorkurses am Bauhaus Weimar zu ersetzten.
Moholy-Nagy zog zwar noch mit der Institution nach Dessau um, verließ das Bauhaus allerdings bereits 1928, um sein eigenes Studio in Berlin zu eröffnen. Mit dem Erstarken der NSDAP sah sich Moholy-Nagy, wie so viele andere seiner Zeitgenossen, zur Emigration gezwungen und ging über Amsterdam, London und Brünn schließlich nach Chicago.
1937 versuchte László Moholy-Nagy den Geist des Bauhauses mit dem sogenannten „New Bauhaus“ College in Chicago wiederzubeleben – ein unglückliches Unterfangen, das wegen fehlender Mittel schon ein Jahr später wieder aufgegeben wurde. Daraufhin gründete Moholy-Nagy die Chicago School of Design, die sich schließlich in das heutige Illinois Institute of Technology, Institute of Design entwickeln sollte. László Moholy-Nagy starb am 24. November 1946 in Chicago.
Die von Professor Oliver Botar von der University of Manitoba, School of Art initiierte Ausstellung „Sensing Future“ soll untersuchen, wie László Moholy-Nagy in seiner Kunst und Lehrtätigkeit einerseits versuchte, die exponentiellen technologischen Veränderungen der 1920er Jahre zu verstehen und wie er andererseits insgesamt dabei mitwirkte, die Bevölkerung auf die Zukunft vorzubereiten – vor allem dabei auf die Zukunft der Medien.
„László Moholy-Nagy fühlte, dass die Kunst das beste Mittel sei, um den Menschen beim Umgang mit dem Ansturm von Sinneseindrücken zu helfen“, erklärt Oliver Botar, „er wollte uns beibringen, wie wir unsere Sinne vollständig nutzen könnten. Aber auch die Kunst selbst sollte dabei helfen. Er meinte, wenn Kunst eine sinnliche Herausforderung wäre, könnte diese Herausforderung in einer kontrollierten Situation den Menschen helfen sich besser den Veränderungen ihrer Zeit anzupassen.“
Und so wie Fritz Haller eine Weltraumkolonie designte, um klarer über irdische Architektur und Stadtentwicklung nachdenken zu können, so dachte sich Moholy-Nagy, dass eine künstlerisch anspruchsvolle Umgebung uns helfen würde die technologische Realität anzunehmen und zu verstehen.
Ein Beispiel dafür, wie Moholy-Nagy die Rolle und Funktion der Kunst begriff, ist sein Poly Cinema, ein Raum, in dem mehrere Filme gleichzeitig auf eine gewölbte Oberfläche projiziert werden, und ein Konzept, das den Betrachter zunächst zwar überfordert, ihn schließlich aber dazu zwingt, einen Weg zu finden, die Informationsflut zu kontrollieren und Ordnung in das Chaos zu bringen. „Sensing the Future“ zeigt eine Rekonstruktion eines solchen Poly Cinemas, das alle Besucher selbst ausprobieren können. Auf diese Weise erkennt man, dass László Moholy-Nagy und seine Zeitgenossen vor Problemen standen, die heute so relevant wie damals sind: zunehmende und schnellere Reproduzierbarkeit durch neue Medien, neue Produktionsprozesse, Werbung, Globalisierung … László Moholy-Nagy mag sich nicht über neue Apps, 3D-Drucker und virtuelle Viren den Kopf zerbrochen haben, dafür waren es damals eben die Fotografie, der Film und das Automobil.
Moholy-Nagy half nicht nur der Gesellschaft, die Zukunft besser zu verstehen, er dachte auch darüber nach, wie man neue Technologien für die Anpassung der Menschen nutzen könnte. Ein Beispiel dafür ist seine sogenannte Konstruktionsorgel, von der auch eine Nachbildung in der Ausstellung zu sehen ist. Bei einer Präsentation der Konstruktionsorgel im Jahr 1938 argumentierte László Moholy-Nagy, visuelle Bilder hätten derart an Bedeutung gewonnen, dass die Kommunikation durch visuelle Bilder ein alltäglicher Vorgang würde. Da jedoch die Kosten der Fotografie ungeheuer hoch seien, würden sich diejenigen, denen der Zugang zur Fotografie und damit die Erfahrung Bilder zu komponieren und zu entwickeln, verwehrt bliebe, zu den Analphabeten der Zukunft entwickeln. Folglich waren technische Hilfsmittel nötig, um die Bildkomposition für alle zugänglich zu machen. Die Konstruktionsorgel ist eines dieser Hilfsmittel. Gewissermaßen ist sie so etwas wie Photoshop anno 1938. Nur mit auf Lochkarten gesicherten Bildern.
Hier besteht auch eine Analogie zu unserer heutigen Situation der Smartphones und mobilen Computer: Diejenigen, denen der Zugang verwehrt bleibt, riskieren zurück zu bleiben bzw. nicht in der Lage zu sein, Hotels und Konzerttickets zu buchen oder herauszufinden, wann der nächste Zug fährt.
Heutzutage denkt man wahrscheinlich eher an Designer, wenn es um die Lösung sozialer und kultureller Probleme geht, eine der andauerndsten Hinterlassenschaften des Bauhauses ist jedoch auch die Entwicklung des Designs aus der Kunst mittels angewandter Kunst. Aber spielt die Kunst wirklich noch eine Rolle, wenn es darum geht, unsere Umwelt besser zu verstehen? Oder haben wir uns schon darüber hinaus entwickelt?
„Ich denke, Kunst ist in dieser Hinsicht immer noch sehr wichtig“, antwortet Oliver Botar unmissverständlich. Der Impetus, die Welt und ihre Veränderungen verstehen zu wollen, muss allerdings beim Künstler liegen. „László Moholy-Nagy meinte, Künstler müssten sich mit jeder neuen Technologie beschäftigen, ganz egal welcher“, fährt Oliver Botar fort. „Künstler sollten vor der Technik keine Angst haben und mit Wissenschaftlern zusammenarbeiten. Wenn Künstler dazu in der Lage sind, gibt uns das allen Mut, uns auf neue Technologien einzulassen.“
Daher zeigt „Sensing the Future“ neben Gemälden, Skulpturen, Plänen, Installationen, Fotografien und Filmen von László Moholy-Nagy auch aktuelle Arbeiten von zeitgenössischen Künstlern, die die Philosophie László Moholy-Nagys fortführen.
Die sehr offen und klar strukturierte Ausstellung „Sensing the Future“ liefert nicht nur eine exzellente Einführung zu László Moholy-Nagy, sondern hilft uns auch zu verstehen, dass egal, als wie schnell wir die Entwicklung unserer Gesellschaft einschätzen, sie vor 100 Jahren auch nicht langsamer war. Folglich können wir auch vieles von früheren Generationen lernen, wenn es darum geht, sich neuen Technologien anzupassen und sich auf die Zukunft einzulassen.
„László Moholy-Nagy meinte, es wäre sehr wichtig, dass der Mensch die Kontrolle über die Technologie behalte, bevor wir von der Technologie kontrolliert würden,“ fügt Olivar Botar hinzu. „Das war einer seiner Grundsätze und ich denke, das ist auch heute ein wichtiger Grundsatz. Schließlich fühlen wir uns alle zeitweise überfordert.“ Und wir alle geraten zeitweise zwischen die Räder wie damals Charlie Chaplin.
„Sensing the Future: László Moholy-Nagy, die Medien und die Künste“ ist bis Montag, den 15. Januar 2015 im Bauhaus Archiv, Klingelhöferstraße 14, 10785 Berlin zu sehen.
Alle Details einschließlich der Informationen zum Rahmenprogramm sind unter www.bauhaus.de zu finden.
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