Charlotte Perriand war, wenn es um Möbeldesign ging, bekanntlich der Meinung, dass Holz „eine pflanzliche Substanz“ und somit „von Natur aus dazu verdammt sei zu verfallen…“. Die Zukunft gehöre deshalb dem Metall – vor allem dem gebogenen Stahlrohr der europäischen Moderne.1
Im Gegensatz dazu warnte Poul Henningsen, dass die industrielle Herstellung von Stahlrohrmöbeln, für die Perriand, Le Corbusier und die Bauhausclique eintraten, „zu zweitrangigen Stuhltypen führen könnte und Holz für die Möbelherstellung das geeignetere Material bliebe.“2
Solche Argumente bestimmten unsere Gedanken, als wir uns die Ausstellung „Useful Exhibition“ des in Berlin ansässigen südkoreanischen Designers Sanghyeok Lee in der DMY Design Gallery Berlin angeschaut haben. Die ausgestellten Regale, Tische und Stühle sind aus Eichen- und Ahornholz gefertigt, könnten aber ebenso aus Metall hergestellt werden. Vor allem aber gehen sie auf Konstruktionsprinzipien zurück, die traditionellerweise eher Konstruktionen aus Metall betreffen.
Nach anfänglichem Produktdesignstudium in seiner Heimat Seoul wechselte Sanghyeok Lee 2007 an die Design Academy Eindhoven, wo er sein Studium 2011 in der Klasse „Man and Living“ abgeschlossen hat. Danach zog er schnell nach Berlin, nicht zuletzt wegen der besonderen, kreativen Atmosphäre der Stadt und den Möglichkeiten, die er dort vermutete.
Ein internationales Publikum erreichte Sanghyeok Lee erstmals 2012 als Gewinner des zweiten Platzes des D3 Design Talent Wettbewerbs mit seinem Abschlussprojekt „Listen to your hands“. Wenn man bei dem interaktiven Tisch eine Schublade zu schnell schließt, öffnet sich eine andere. So werden die Nutzer nicht nur gezwungen darüber nachzudenken, wie sie Möbel benutzen, sondern auch ihr grundsätzliches Verhältnis zu Möbeln zu reflektieren.
Diese Erforschung von Möbeln, die eher Begleiter der menschlichen Verfassung als einfach nur passive Objekte sind, führte Sanghyeok Lee mit seinem Projekt „Useful Arbeitsloser“ von 2013 fort. Die Möbelkollektion „Useful Arbeitsloser“ reflektiert einerseits die zeitgenössische Sehnsucht nach einer ordentlichen persönlichen Umgebung zu Hause und andererseits Shanghyeok Lees persönliches Gefühl einer aufgezwungenen Inaktivität nach seiner Ankunft in Berlin – wegen Sprach- und Verwaltungsproblemen war er erstmal arbeitslos.
2014 hat Sangheok Lee diese Idee mit dem Useful Living System weiterentwickelt. Im Gegensatz zu Useful Arbeitsloser ist Useful Living weniger reflexiv, sondern versucht wirklich Lösungen anzubieten, Angebote für das Leben in heutigen Metropolen zu machen.
Strukturell erinnert Lees Möbelsystem an unverkleidete USM Haller Einheiten, an den Egon Eiermann Tisch, an Rejons nach ihm benannten Sessel und an viele der frühen Bauhaus und De Stijl Möbeldesigns.
Die beiden Systeme „Useful Arbeitsloser“ und „Useful Living“ sind von Baugerüsten inspiriert und wie bei den Baugerüsten sind auch bei den Möbelsystemen nicht etwa die Stangen und Platten, sondern ist das unscheinbare Verbindungselement das eigentliche Kernstück. Im Fall von Sanghyeoks System ist das eine wunderschön veredelte Messingschraube, die die Holzstangen miteinander verbindet.
Anders als die Gerüste, auch wenn die Ästhetik etwas anderes nahelegt, sind die Systeme leider nicht modular, sondern in ihrer Form festgelegt. „Noch ein modulares System wäre langweilig“, sagt Sangheok Lee und grinst, bevor er schnell hinzufügt, „die Idee ist aber trotzdem neue Möglichkeiten vorzuschlagen, den Nutzer herauszufordern und zu inspirieren.“
Alle, die uns kennen, wissen von unserer Vorliebe für modulare Systeme. Nur wenig macht so viel Sinn wie ein gut durchdachtes modulares Gebäude oder Möbelsystem. Die „Useful“-Systeme sind allerdings keine Möbelsysteme im klassischen Sinn. Sie stehen auch nicht in der funktionalistischen Tradition aus der heraus die meisten modularen Möbelsysteme entstanden sind; vielmehr sind sie Konzepte, die sich mit dem modernen Leben befassen – sie sind Kommentare zum aktuellen urbanen Leben und lassen sich als Möbel benutzen. Der Stuhl ist nicht designt, um komfortabel zu sein, der Schreibtisch passt sich nicht dem Arbeitenden an, die Regalbretter werden nicht zu euren Bücher- und Plattensammlungen passen. Der Benutzer muss sich den Möbeln anpassen, sie verstehen und lernen mit ihnen zu leben. Auch wenn wir also mit Rudolf Horns Aussage, dass der Konsument die Möglichkeit haben müsse zu entscheiden und ihm niemand sagen dürfe, was er brauche und kaufen solle, zu hundert Prozent übereinstimmen, akzeptieren wir auch, dass es zum Beruf des Designers gehört Konventionen in Frage zu stellen, die moderne Gesellschaft zu reflektieren und Fragen aufzuwerfen. Und dazu gehört eben auch manchmal Objekte vor uns zu stellen und uns zu zwingen, sie so zu nutzen wie sie sind. Zudem können wir leicht von dem Mangel an Modularität absehen, weil Sanghyeok Lee in seinen Designs alles Unnötige vermeidet. So hat er eine elegante, unaufdringliche, maßvolle und beruhigend dauerhafte Möbelkollektion entwickelt.
All das wird wunderbar von der Ausstellungskonzeption betont, indem die einzelnen Stücke als Schatten an die Wände der DMY Gallery projiziert werden und man die Objekte so ganz deutlich als die Skelette, die sie sind, erkennt. Skelette, die für uns ein Ausgangspunkt sein sollen, um etwas Nützliches, Persönliches und vor allem Sinnvolles entstehen zu lassen. Und nach langen Überlegungen funktioniert das in diesem Fall am besten aus Holz.
„Useful Exhibition“ von Sanghyeok Lee ist bis Freitag, den 17. Oktober in der DMY Design Gallery, Blücherstrasse 23, 10961 Berlin zu sehen.
1. Charlotte Perriand, Wood or Metal? The Studio Vol 97 No. 433 1929
2. Poul Henningsen, „Tradition or Modernisme“, Kritisk Revy, Vol 3, 1927, Kopenhagen