Die 1751 von Wilhelm Caspar Wegely gegründete und 1763 von Preußens König Frederick II unter königliche Leitung genommene Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin ist nicht nur Berlins ältestes Handwerksunternehmen, sondern auch ein unbestrittenes Symbol für den preußischen Stolz und den zügellosen Luxus des sagenumwobenen „weißen Goldes“. Als solche ist die Porzellan-Manufaktur also nicht gerade ein Ort, an dem man einen alten Unruhestifter wie den italienischen Designer, Designtheoretiker und Designverächter Enzo Mari vermuten würde. Aber doch: zwischen 1993 und 1995 war er genau dort zu finden!
Maris Hinterlassenschaften aus seiner Zeit bei der KPM werden derzeit auf der KPM-World-Ausstellung „Who is Mari?“ präsentiert.
Der 1932 in Novara geborene Enzo Mari studierte Literatur und Kunst an der Hochschule für Bildende Künste Brera. Nach seinem Abschluss im Jahr 1956 eröffnete er sein eigenes Studio in Mailand und veröffentlichte ein Jahr später seine ersten Produkte beim italienischen Hersteller Danese. Es folgten weitere Verträge mit Herstellern wie Zanotta, Zani e Zani, Artemide und Olivetti.
Da Enzo Mari immer ebenso Philosoph und Theoretiker wie praktizierender Designer war, hat er zahlreiche Bücher über Design und kulturelle Themen veröffentlicht. Am berühmtesten ist wahrscheinlich seine Arbeit „Autoprogettazione“ von 1974, in der er seine Pläne für eine Sammlung von Do-it-yourself-Möbeln präsentiert. Eine Anleitung, die im Grunde als das erste offizielle Open-Design-Projekt bezeichnet werden kann – nicht dass Enzo Mari das so sehen würde…
Die Einladung an Enzo Mari mit der KPM Berlin zusammenzuarbeiten wurde vom künstlerischen Beratungsausschuss des Unternehmens angestoßen und war im Grunde genommen eine Idee, von der man sich eine Wiederbelebung des kreativen Potentials und die Erforschung neuer Produktionsmethoden erhoffte. Wenn man so will, ein frühes Beispiel für jene Art der Kooperation, die auch das Programm der Passionswege auf der Vienna Design Week fördert.
Enzo Maris erster Akt nach seiner Ankunft in Berlin war die Gründung der sogenannten KPM Meisterwerkstatt – eine Art firmeninternes Designstudio, das Enzo Mari und vier KPM-Mitarbeiter umfasste. Das Ziel der Werkstatt war es sicherzustellen, dass alle Veränderungen, die innerhalb der Firma beschlossen würden, auch auf sie zurückzuführen sein sollten und so nach Maris unausweichlichen Abreise nachhaltig weiterentwickelt werden könnten. Ein perfektes Gegenbeispiel zu all den teuren Beratern, die in Firmen gesteckt werden, ein paar Ideen liefern, mit einer Stange Geld wieder abhauen und die Firmen ihrem Schicksal überlassen.
Zu den wichtigsten Neuerungen, die Mari und seine Meisterwerkstatt auf den Weg brachten, gehört ein Verfahren, bei dem Teekannentüllen und Teekannen in einem Vorgang gegossen werden können. Normalerweise werden Teekannen aus drei Stücken gegossen: Kanne, Hänkel und Tülle. Indem das Verfahren auf die Herstellung von zwei Teilen reduziert wurde, spart man Zeit und Ressourcen. Neben betrieblichen und die Produktion betreffenden Fragen erforschte die Meisterwerkstatt außerdem Fragen zur Form. Daraus resultierten neue Produkte und Produktfamilien, wie das Berliner Tischservice, das Berliner Kindertischservice und die sogenannte Mari-Vase.
Mit Modellen, originalen Dokumenten, Prototypen, Schautafeln und einem Videointerview mit Enzo Mari ist „Who is Mari?“ eine gründliche Untersuchung von Maris Zeit in Berlin, d.h. seiner Arbeit für die KPM, und dokumentiert die Ergebnisse dieser Kooperation auf zugängliche und klar strukturierte Weise; beantwortet allerdings nicht die Frage, die die Ausstellung selbst stellt. Und das, obwohl auch der Sedia 1 Stuhl aus dem Autoprogettazione-Projekt von 1974 zu sehen ist. Ein Objekt, das mit der KPM Berlin nichts zu tun hat, allerdings sehr viel über den Theoretiker Mari erzählt.
Doch am Ende hat es keine große Bedeutung, dass die Ausstellung auf ihre Frage keine Antwort findet. Mit dem Einblick in die Arbeiten aus Maris Zeit bei der KPM liefert die Ausstellung nicht nur eine schöne Einführung zu einem Aspekt in Enzo Maris Biografie, sondern macht auch verständlich, was Design erreichen kann und vor allem was passieren kann, wenn Firmen mutig genug sind, Teile ihres Geschäftsmodells Designern zu überlassen. Besonders Designern mit der Kompetenz, dem Intellekt und der Vision Enzo Maris.
„Who is Mari? Enzo Mari und die Meisterwerkstatt der KPM“ ist noch bis 22. November 2014 bei KPM World, Wegelystraße 1, 10623 Berlin zu sehen.
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