Bis zum 10. Juni zeigt das Bauhaus Archiv Berlin „Neue Baukunst! Architektur der Moderne in Bild und Buch“. Die Ausstellung widmet sich der Architekturfotografie und Veröffentlichungen zur Architektur aus den 1920er und 1930er Jahren, und zeigt vor allem auch, wie wenig sich die Genres in den letzten Jahrzehnten entwickelt haben.
Der Fokus bei „Neue Baukunst!“ liegt vor allem auf dem Leben, der Arbeit und dem Archiv des Architekturkritikers und Kunstgeschichtlers Walter Müller-Wulckow. Neben seinem journalistischen und kuratorischen Nachlass ist Walter Müller-Wulckow als Herausgeber von vier Editionen der sogenannten Blauen Bücher Serie in Erinnerung geblieben. Die Bände „Bauten der Arbeit und des Verkehrs“ (1925), „Wohnbauten und Siedlungen“ (1928), „Bauten der Gemeinschaft“ (1928) und „Die Deutsche Wohnung“ (1930) widmen sich der neuen modernen Architektur dieser Periode. Die Idee zu den Büchern entstand 1916, woraufhin Müller-Wulckow sofort begann, Architekten zu kontaktieren, deren Arbeiten in den Publikationen erscheinen sollten. Mit Konzentration auf den deutschsprachigen Raum und auf deutschsprachige Architekten hat Müller-Wulckow innerhalb der beiden folgenden zwei Jahrzehnte eine Sammlung von über 1000 Fotografien aufgebaut, von denen um die 450 in den vier Bänden veröffentlicht wurden.
„Neue Baukunst! Architektur der Moderne in Bild und Buch“ zeigt ungefähr 100 Fotografien aus der Sammlung von Walter Müller-Wulckow, darunter Gebäude von prominenten Protagonisten der Zeit, wie Walter Gropius, Peter Behrens, Ferdinand Kramer, Bruno Taut und Otto Wagner. In Anbetracht des Ausstellungsortes versteht sich von selbst, dass ein zentraler Punkt bei „Neue Baukunst!“ das Bauhaus ist und so ist eine ganze Wand innerhalb der Ausstellung Lucia Moholys Fotografien von Dessau gewidmet. Die Fotografien werden durch Auszüge aus Architekturbüchern und Magazinen der Bauhaus-Zeit ergänzt und erklären ihren zeitlichen und lokalen Kontext.
Abgesehen von den Arbeiten selbst, ihrer historischen Bedeutung und der Art und Weise, wie die europäische Moderne damals präsentiert, verstanden und natürlich auch verkauft wurde, ist für uns ein zentraler Punkt der Ausstellung, dass sie fast schon unfreiwillig klar macht, wie wenig sich verändert hat.
An erster Stelle ist da die Präsentation der Gebäude – ob als monumentales, fast schon unerreichbares Werk, oder alternativ als künstlerische Komposition, die vermutlich einen Einblick in die Seele der Konstruktion bieten soll, ohne dabei aber zu viel von dem physischen Objekt zu offenbaren. Und mit sehr wenigen Ausnahmen sind alle Fotos menschenleer, nüchtern, clean und kontrolliert. Genau das trifft natürlich auch, sieht man von narrativeren Arbeiten wie beispielsweise von Iwan Baan ab, heute noch auf die Präsentation von Gebäuden in Architekturpublikationen zu. Der Gang durch die Ausstellung ist also dem Surfen durch einen zeitgenössischen Architekturblog gar nicht mal so unähnlich.
Was wir allerdings vermisst haben, waren Aufnahmen bei Sonnenauf- bzw. Sonnenuntergang, auf denen also das gelbe Licht so warm und einladend durch die Fenster scheint. Das und Farbfotos, denn wie wir in der Ausstellung „bewundert, verspottet, gehasst“ in Dessau gelernt haben, haben die Magazine damals schon damit begonnen.
Dazu kommt die Tatsache, dass Fotografien offensichtlich ein wichtiges Mittel waren, um Architektur zu verbreiten. Die Blaue Bücher Serie war als günstige und zugängliche Reihe von Fotobüchern konzipiert. Möglichst viele Menschen sollten die Arbeiten sehen und so ein Bewusstsein für die Architekten und ihre neuen Ansätze entwickeln. Und das ohne irgendeine Vorbildung in Architektur oder eine Ahnung bezüglich der Probleme hinter der Konstruktion. Die Leser sollten die Architektur allein über die Abbildungen schätzen lernen, und so gaben die Bücher beispielsweise auch keine Auskunft über technischen Details, die von der Kunst der Fotografen hätte ablenken können.
Heute ist all das eigentlich nicht anders. Die nicht aufzuhaltende Flut von Architekturfotos, die täglich online veröffentlicht wird, steht zwar eher für ein Lifestyleideal als dass sie eine Architekturbewegung erklären würde, aber die Arbeiten sind zugänglich für alle und man muss kein Architekt sein, um zu entscheiden, ob man mag, was man da sieht. Und so wie damals die Müller-Wulckow Bücher für die meisten die einzige Möglichkeit waren, etwas über aktuelle Architekturentwicklungen zu erfahren, so werden auch heute die meisten von uns neue Architektur nur durch Fotografien auf Onlineplattformen kennenlernen.
Die Fotos im Netz sind natürlich durch Nachbearbeitung verbessert und idealisiert. Aber auch das ist nichts Neues! Während der 1920er Jahre wurde nämlich auch schon retuschiert – eine Tatsache, die „Neue Baukunst!“ prägnant erklärt und untersucht.
Schließlich stammten die abgebildeten Fotografien in der Sammlung Walter Müller-Wulckows von den Architekten selbst und – wie man in der ausgestellten Korrespondenz erfährt – waren sich die Architekten sehr wohl über die Bedeutung der optimalen Darstellung ihrer Arbeiten bewusst. Auch damals war der unabhängige und ungeschminkte Eindruck eines Gebäudes also genauso eine Seltenheit wie heute.
Aber spielt es überhaupt eine Rolle, ob Architektur heute mehr oder weniger auf die gleiche Art und Weise präsentiert wird wie zwischen den beiden Weltkriegen? Oder ist ein Gebäude einfach ein Gebäude und das fotografierte Bild davon eher zweitrangig? Um darauf eine Antwort zu geben, würden wir die Relevanz von Fotografie in der zeitgenössischen Architektur generell in Frage stellen. Wir würden sagen, der Besuch von „Neue Baukunst!“ hat uns sehr deutlich gezeigt, dass viele der präsentierten Arbeiten ohne ihr Foto nie ihre heutige Bedeutung erlangt hätten.
Fotos waren wichtig, um die Architektur zu erklären. So gaben auch die Organisatoren der New Yorker Ausstellung „Modern Architecture: International Exhibition“ von 1931 in ihren Presseerklärungen und dem Werbematerial stetig fast schon religiös anmutende Hinweise auf die Zahl und Größe der ausgestellten Fotografien.
Heute verstehen wir die Welt jedoch etwas besser und wissen, dass es wichtig ist, dass sich ein Gebäude in seine Umgebung einfügt und wenigstens ein Mindestmaß an ästhetischem Anstand wahrt. Noch wichtiger ist heute allerdings, dass ein Gebäude in sozialer und ökologischer Hinsicht verantwortungsvoll entworfen wird. Es sollte seine Funktion erfüllen und diejenigen, die es nutzen werden, unterstützen. Und das ohne an anderer Stelle unnötigen Schaden anzurichten oder Probleme zu verursachen. Das Gebäude ist wichtiger als sein Bild
Anders gesagt sollte zeitgenössische Architektur nicht als visuelle Kunst verstanden werden und dem Architekturfoto, wenngleich es ohne Frage sehr nützlich ist, sollte weniger Bedeutung zukommen.
Für uns bedeutet der fehlende Wandel zwischen damals und heute in der Folge auch eine Kritik an den heutigen Herausgebern von Veröffentlichungen zur Architektur – ob online oder in den Printmedien.
Aber was wissen wir schon…