Der am 2. April 1914 geborene Hans Jørgensen Wegner ist ohne Frage einer der wichtigsten Designer der sogenannten dänischen Moderne.
Stücke wie der Peacock Chair von 1947, der JH501 von 1949 und sein CH24 Wishbone Chair von 1949 – sein meist verkauftes Design – prägten das dänische Design der 1940er und 50er Jahre und damit die goldenen Jahrzehnte, die noch immer das öffentliche Bild der dänischen Designtradition bestimmen, zweifelsohne mit. Doch Hans Jørgensen Wegner ist genauso zweifelsfrei einer der vernachlässigsten Designer und so das Thema erheblich weniger Publikationen als seine Zeitgenossen.
Und so freut es uns besonders, dass zu Wegners 100. Geburtstag nicht nur das Designmusem Dänemark in Kopenhagen eine der umfassendsten Ausstellungen über den Designer ausrichtet, die es jemals gab, sondern dass es auch noch ein begleitendes Buch über den Designer herausbringt – „Wegner – Just one good chair“.
Geschrieben von Christian Holmsted Olesen, dem Leiter der Ausstellungen und der Sammlung des Designmuseums Dänemark, und überwiegend auf Videointerviews basierend, die vor Wegners Tod mit ihm und noch später mit jenen, die ihn gut kannten, geführt wurden, dokumentiert „Just one good chair“ nicht nur Hans J. Wegners Reise vom jungen Tischlerlehrling zum großen Meister des Möbeldesigns des 20. Jahrhunderts, sondern beinhaltet auch ein umfangreiches, wenn nicht sogar komplettes Register seines Werks.
Das Erste, was wir über „Just one good chair“ sagen müssen, ist, dass es für unseren Geschmack etwas zu süßlich ist. Olesen ist eindeutig ein Fan von Wegner und das Buch ist in so einem unkritischen, positiven Ton geschrieben, dass es teilweise unerträglich ist. Das lenkt vom eigentlichen Thema ab. Wegners Werk braucht nicht so eine Hagiographie. Eine einfache Erklärung würde genügen.
Doch wenn man sich durch die zuckersüße Prosa liest, bietet „Just one good chair“ einen umfassenden und sehr informativen Überblick über Hans J. Wegners Arbeit und seine Verantwortung gegenüber der dänischen Tischlertradition.
In der süddänischen Stadt Tønder als zweiter Sohn des Schuhmachers Peter Mathiesen Wegner und seiner Frau Nicoline geboren, verbrachte Hans J. Wegner einen beachtlichen Teil seiner Kindheit und Jugend in der Werkstatt seines Vaters, an Holzresten schnitzend, bevor er im Alter von 14 Jahren die Schule verließ und eine Lehre bei der örtlichen Schreinerei, H. F. Stahlberg, begann. Laut Olesen kam es 1935 zu einem wichtigen Moment in der Karriere des jungen Wegners, als er seinen Wehrdienst in Kopenhagen beendete und dort die jährliche Ausstellung der Kopenhagener Zimmerleute besuchte. Damals habe er realisiert, dass er, wenn er Tischlermeister werden wolle, ernsthaft seine Fähigkeiten verbessern müsse. Daraufhin schrieb sich Wegner in der Tischlerklasse der Kunsthåndværkerskolen, der Kopenhagener Kunst- und Handwerksschule, ein. Die Institution verließ er zwei Jahre später, um eine Stelle bei Arne Jacobsen und Erik Møller anzunehmen. 1942 machte sich Hans J. Wegner dann als Designer und Architekt selbstständig.
Obwohl Wegner die Kunsthåndværkerskolen nur für zwei Jahre besuchte, wurden laut Christian Holmsted Olesendie dort die Grundlagen für seine spätere Karriere gelegt.
Zuerst basierte die Lehre an der Kunsthåndværkerskolen fast ausschließlich auf den Designprinzipien des Institutsleiters Kaare Klint, einem Architekten und Designer mit fast schon fanatischer Hingabe zu traditionellen Formen und Verarbeitungsverfahren. Obwohl sich Wegner in seiner Adaption z.B. von den organsichen Formen und aufgehängten Sitzen in einigen Aspekten von Klints Denken distanzierte, blieb Wegner in anderer Hinsicht ganz klar ein von Klint beeinflusster Designer – vor allem was sein dogmatisches Festhalten an Handarbeit und die Bezugnahme auf historische Formen betrifft. (Ein wichtiger Aspekt des Konzepts der Kunst- und Handwerksschule war das Vermessen und Zeichnen historischer Möbelmodelle.)
Obwohl Kaare Klint die führende Kraft hinter der Kunsthåndværkerskolen war, war während Wegners Zeit an der Schule Orla Mølgaard-Nielsen, ein ehemaliger Schüler von Klint, Direktor. Er besorgte Wegner nicht nur die Stelle bei Jacobsen und Møller, er stellte Wegner auch dem Tischler Johannes Hansen vor, mit dem Wegner schließlich 26 Jahre zusammenarbeitete und in dessen Werkstatt die wichtigsten von Wegners Projekte realisiert wurden.
An der Kunsthåndværkerskolen traf Wegner auch Børge Mogensen, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft und Geschäftsbeziehung verband – sogar obwohl die beiden, wie es Christian Holmsted Olesen deutlich macht, oft sehr unterschiedliche Ansichten zu Designfragen hatten. Obwohl man auch hinzufügen muss, dass diese Differenzen und dieser regelmäßige, oder besser gesagt, konstante Austausch beide Designer weiterbrachte und dazu beitrug, dass sie ihren eigenen, individuellen Zugang zu Design gefunden haben.
Neben der Bedeutung der Kunst- und Handwerksschule für Wegners Entwicklung betont Christian Holmsted Olesen auch die wichtige Rolle des Kopenhagener Möbelhändlers Eivind Kold Christensen, der Wegners Kontakt mit den damals wichtigen kommerziellen Möbelherstellern Getama, A. P. Stolen und Carl Hansen & Søn herstellte.
Während seiner USA-Reise 1953, erzählt Olesen, wurde Wegner mit einem Angebot konfrontiert, seine Arbeiten in Amerika produzieren zu lassen und damit seine Möbel zu einem erschwinglichen Preis für eine große Masse, die bereits mit organsichen Designs durch die Möbel von Eames, Saarinen usw. vertraut war, zugänglich zu machen. Wegner lehnte ab. Wegners Meinung nach wurden seine Möbel entworfen, um von Handwerkern, von Hand, in Dänemark hergestellt zu werden. Alles andere war unvorstellbar. In den 1970ern führten die veränderten ökonomischen Bedingungen in Europa jedoch dazu, dass Wegner die partielle maschinelle Produktion seiner Möbel akzeptieren musste. Wenn auch immer noch exklusiv in Dänemark. Diese veränderten Bedingungen bedeuteten auch, das Wegners bevorzugtes dunkles tropisches Holz nicht länger in Mode war. Ejnar Pedersen, der CEO des Herstellers PP Møbler, erinnert daran, dass, als sie 1991 die Produktion des Valet Chairs von Johannes Hansen übernahmen, Wegner fragten, aus welchem Holz der Stuhl hergestellt werden solle. „Kiefer und Teak.“, sagte Wegner. „Das können wir nicht verkaufen.“, sagte ich darauf. „Es muss Ahorn sein.“, „Du mit Deinem Ahorn“, sagte Wegner, „mach doch, was du willst.“ Also machten wir 50 aus Ahorn, 50 aus Mahagoni und 50 aus Kiefer und Teak. Nachdem die ersten 50 aus Ahorn verkauft waren, hatten wir nur 20 aus Mahagoni und 20 aus Kiefer und Teak veräußert“.
Was uns natürlich alles sehr an Arne Jacobsens anfängliche und vehemente Ablehnung erinnert, seine als dreibinigen Stuhl konzipierte Ameise, so wie es Fritz Hansen wollte, mit vier Beinen auszustatten. Die daraufhin vierbeinig konzipierten Serie 7 Stühle wurden schließlich zu Jacobsens erfolgreichstem Design…
Ereignisse, die schön zeigen, welche Gefahren lauern, wenn man bestimmte Entscheidungen dem Designer überlässt.
„Wegner – Just one good chair“ beinhaltet neben Christian Holmsted Olesens Text außerdem ungefähr 240 Fotos mit Bildern von Wegner bei der Arbeit, seinen Zeichnungen und anderen Kunstwerken.
Von Anfang an macht Olesen deutlich, dass das Ziel von „Just one good chair“ ist, den Mythos von Hans J. Wegner als einfach genialen Tischler zu dekonstruieren und Wegner dafür als experimentellen Designer, Künstler und als Meister der Materialien und Konstruktionen mit einer besonders starken Affinität für die Form zu präsentieren.
Unserer Meinung nach ist ihm das gelungen. Zumindest teilweise.
Nachdem wir „Just one good chair“ gelesen haben, sehen wir Wegner dennoch nicht als experimentellen Designer im klassischen Sinne. Olesen präsentiert jedoch auf überzeugende Weise, einen Mann, der die Tradition dänischer Tischlerei verstanden hat. Der den Wert von bewährten, etablierten Formen verstanden hat und der einer der ersten Praktiker war, der verstanden hat, wie wichtig es ist, diese Formen nicht nur neu zu interpretieren, sondern der auch die Grundsätze dänischer Tischlerei neu interpretiert hat. Und der dabei half, einen neuen Zugang zum Möbeldesign und eine Ästhetik zu finden, die die starre Formalität der dominanten modernen Architektur dieser Periode perfekt ergänzte.
Wegner brach nicht mit der Tradition, er plante alles Stück für Stück und formte es mit „beinahe provokanten“ Kurven neu.
Der Titel des Buchs ist ein Verweis auf ein Zitat von Wegner von 1952: „Ach, könnte man im Leben nur einen einzigen guten Stuhl entwerfen – aber das geht eben nicht.“ Wegner wusste, dass das unmöglich war. Nicht weil er keinen Stuhl designen konnte, sondern weil er, ungefähr so wie Egon Eiermann, immer dachte, man könne es noch besser machen, man könne perfektionieren, was man entworfen hat oder, wie Olesen ihn zitiert, „…gibt es nun mal nichts, was man nicht verbessern könnte.“ „Just one good chair“ erklärt sehr eloquent, wie Hans J. Wegner diese Perfektion verfolgte.
Wie schon gesagt, so informativ und erhellend der Text von Christian Holmsted Olesen ohne Frage sein mag, für uns ist er ein bisschen zu süßlich. Wenn man ihn jedoch als karamellisierte Marzipan-Baiser-Torte sieht, ist er die perfekte Geburtstagstorte. In diesem Sinne…
Happy Birthday, Hans J. Wegner!
„Wegner – Just one good chair“ von Christian Holmsted Olesen ist im Hatje Cantz Verlag, Ostfildern auf Deutsch und Englisch erschienen. Die dänische Version „Wegner – bare een god stol“ wird über Strandberg Publishing, København verlegt.
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