„Es ist einfach zu beweisen, dass trotz aller Versuche der kulturellen Gemeinschaft in Westdeutschland das Gegenteil zu beweisen, auch im Bereich Industriedesign kein echter, definitiv neuer Impuls erwartet werden kann; die Grundlagen dafür fehlen und das Rad der Entwicklung ist zurückgedreht, der Fortschritt ist angehalten und das unabhängig davon, ob Deutschland – und die Zukunft generell – dabei gefährdet ist… Wir, die Künstler der Deutschen Demokratischen Republik, sind der Meinung, dass wir dank unserer vorteilhaften ökonomischen Position besser aufgestellt sind, um die relevanten Fragen für die deutschen Kreativen zu stellen und fühlen uns daher veranlasst, unsere Kollegen und Freunde im Westen zu informieren und anzuweisen. Wir sehen uns selbst verpflichtet, unseren Kollegen im Westen anzubieten, diese Fragen mit uns zu diskutieren, da sie Deutschland als Ganzes betreffen.“1
So erklärt es die begleitende Broschüre zur Ausstellung „Modelle für die industrielle Gestaltung von der Hochschule für Bildende Künste, Dresden“, die vom 4. bis 11. März 1951 im Grassi Museum für Völkerkunde zu Leipzig stattfand.
Die Provokation wurde natürlich sorgsam geplant.
1950 veröffentlichte die Hochschule für Bildende Künste Dresden ein Werbeprospekt, das Arbeiten von Angestellten und Studenten der Designfakultät zeigt. 1951 ist das Prospekt genau das gleiche – ausgenommen der Text auf der Titelseite. Ein Text, der fast sicher als Antwort auf die politische Situation jener Zeit hinzugefügt wurde.
Die Ausstellung in Leipzig fand nicht nur im Kontext der Leipziger Frühjahrsmesse von 1951, einer Veranstaltung, die das DDR-Regime nutzte, um alljährlich seine Überlegenheit gegenüber dem Westen klar zu machen, statt, sondern auch kurz nach der Veröffentlichung des ersten ostdeutschen Fünfjahresplans, was natürlich für eine gewisse Prahlerei auf Seiten der Sozialistischen Einheitspartei (SED) sorgte.
Außerdem fand die Ausstellung im Rahmen der sogenannten Formalismusdebatte statt. Ein Thema, das genug für einen eigenen Post hergibt und nichts ist, woran wir uns jetzt länger aufhalten wollen, aber es kann kurz zusammengefasst werden: Nach einer anfänglichen Akzeptanz der ehemaligen Bauhausstudenten und ihresgleichen denunzierte die ostdeutsche Obrigkeit den Formalismus als „entfremdend und feindlich“ gegen das deutsche Volk und eine „Waffe des Imperialismus“3. Oder anders gesagt: westlich, kapitalistisch, dekadent. Und daher abzulehnen.
Der Beschluss von der SED-Versammlung am 24. Juli 1950 hält fest: „Formale Tendenzen sind in der Architektur besonders stark und ignorieren die Bedürfnisse von Arbeitern.“4 Die Lösung für die SED war, eigene Kunst- und Literaturformen anzustreben. Und zwar jene, die besser mit dem besagten Volk – und so mit ihren vermeintlichen Bedürfnissen – in Verbindung gebracht werden können.
Die Formalismusdebatte wurde schließlich auf der Tagung des Zentralkomitees der SED am 17. März 1951 in Leipzig mit der Verabschiedung eines Antrags auf „Den Kampf gegen den Formalismus in Kunst und Literatur für eine bessere deutsche Kultur“ beendet.
Während der Debatte zu dem Antrag wurde u.a. folgende Ansicht ausgedrückt: „In Sachen Architektur, die eine wichtige Rolle in unserem Fünfjahresplan spielt, wurden wir in unseren Versuchen, eine Architektur zu entwickeln, die die neuen sozialen Bedingungen in der Deutschen Demokratischen Republik ausdrückt, hauptsächlich durch den sogenannten „Bauhausstil“ und die konstruktivistische, funktionalistische Weltsicht vieler Architekten gehindert“, und weiter dass, „die Produktion von Töpferware und Porzellan weder künstlerisch noch praktisch ist und die berechtigten Forderungen, die unser Volk an solche Produkte stellt, nicht erfüllt.5 Neben der allgemeinen Kritik wurde auch Mart Stam – zu der Zeit Rektor an der Kunsthochschule Berlin-Weissensee und ehemaliger Rektor in Dresden, wo er viele der Studenten betreute, als sie ihre Projekte für die Ausstellung in Leipzig vorbereitet haben – persönlich angegriffen. Ernst Hoffmann, der damalige zweite Minister der Berliner SED, behauptete unmissverständlich, „Der Schulleiter, unser Genosse Stam, ist ein Formalist; als solcher kann er nicht der Sprecher für die Organisation einer Realistischen Kunstbewegung in dieser Schule sein“6, während Dr. Kurt Liebknecht, Präsident der Deutschen Bauakademie Berlin hinzufügte, „Besonders interessant ist die Frage in Bezug auf die Kunsthochschule Weißensee… Insbesondere in dieser Schule, in Berlin, die an der Front im Kampf gegen Kosmopolitismus steht, müssen wir, so schnell wie möglich, die ideologische Ordnung wiederherstellen und einen entschlossenen Feldzug unternehmen.“7
Um es nicht zu vergessen: All das fand in der Woche nach „Modelle für die industrielle Gestaltung von der Hochschule für Bildende Künste, Dresden“ statt. Und es zeigt, dass, während man froh war, die Ausstellung als Werkzeug für die DDR-Propaganda nutzen zu können, die Obrigkeit keinerlei Interesse hatte, den Erfolg der Ausstellung selbst zu gewähren. Und so stellte sich für die ausgestellten Designer schließlich auch kein nennenswerter Erfolg ein. Sie waren alles in allem und trotz ihres jungen Alters Überbleibsel einer alten Ideologie.
Wir konnten z.B. keine einzige Erwähnung der Ausstellung in einer Zeitung oder einer Zeitschrift jener Zeit finden und das obwohl die Frühjahrsmesse insgesamt eine große Bedeutung hatte. In offiziellen Archiven hat die Veranstaltung nur als vereinzelte Fußnote oder Nebenbemerkung überlebt. Faktisch ist die Ausstellung verschwunden. So als hätte die erste Klasse der ostdeutschen Industriedesigner nie existiert. Was eine Schande ist, denn die Ausstellung beinhaltete ein paar wirkliche Edelsteine, z.B. eine wunderbare Porzellankollektion von Margarete Jahny, ein Kinderbesteck von Marianne Brandt und Hans Brockhages Schaukelwagen, der, soweit wir wissen, das einzige Objekt der Ausstellung ist, das derzeit produziert wird und somit irgendwie auch das einzige Überbleibsel der ostdeutschen Formalismusdebatte und der Säuberungsaktion der SED gegen das Bauhaus in den frühen 1950er Jahren ist.
1. „Das Beste für den Werktätigen“. abgedruckt in Hans Brockhage & Reinhold Lindner, „Marianne Brandt „Hab ich je an Kunst gedacht“. Chemnitzer Verlag, Chemnitz 2001
2. E-Mail von Eberhard Patzig, Leiter der Bibliothek und Grafischen Sammlung, GRASSI Museum für Angewandte Kunst zu Leipzig, 14.02.2014
3. Anne-Kathrin Weise, „Leben und Werk von Marianne Brandt“. Dissertation, Humboldt Universität zu Berlin, 1996
4. „Tun als ob“. Die Zeit, 03.08.1950, http://www.zeit.de/1950/31/tun-als-ob, zugegriffen am 03.03.2014
5. Hans Lauter, „Der Kampf gegen den Formalismus in Kunst und Literatur, für eine fortschrittliche deutsche Kultur. 5 Tagung des Zentralkomitees der SED vom 15-17 März 1951“. Dietz Verlag, Berlin, 1951
6. ebd.
7. ebd.
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