Hier noch eine weitere Ergänzung zu unserem Post „5 neue Designausstellungen im Februar 2014„: bis zum 8. Juni 2014 zeigt die Villa Esche in Chemnitz eine Ausstellung, die ganz der Künstlerin und Produktdesignerin Marianne Brandt gewidmet ist.
Die 1903 von Henry van de Velde für den Chemnitzer Textilmagnaten Herbert Eugen Esche gebaute Villa Esche ist nicht nur ein wunderbares Beispiel für Henry van de Veldes Architekturansatz und sein Verständnis des Gesamtkunstwerks in der Architektur, sondern deutet als eines seiner früheren Projekte auch auf sehr schöne Weise den Übergang vom Jugendstil zur Moderne an, den van der Velde damals mit anstieß. Den Übergang also vom Dekorativen zum Funktionalen.
Und so ist die Villa ein sehr passender Ort für eine Präsentation der Arbeiten von Marianne Brandt.
Die 1893 in Chemnitz geborene Marianne Liebe studierte Zeichnung an der Hochschule für Bildende Kunst Weimar, bevor sie 1919 den norwegischen Maler Erik Brandt heiratete und nach Oslo zog. 1924 schloss sie sich dem Bauhaus Weimar an, zog ein Jahr später mit der Institution nach Dessau, wo sie 1926 eine Stellung in der Metallwerkstatt übernahm und mit Künstlern wie Wilhelm Wagenfeld und Christian Dell zusammenarbeitete. Nach ihrem Abschluss im Jahr 1929 arbeitete Marianne Brandt als Designerin für verschiedene Firmen und Designstudios, u.a. zusammen mit Walter Gropius und der Ruppelwerke GmbH Gotha. Nach dem Zweiten Weltkrieg unterrichtete sie kurz an der Hochschule für Werkkunst Dresden und der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, bevor sie 1954 nach Chemnitz zurückkehrte und dort als freischaffende Designerin arbeitete. Marianne Brandt starb am 18. Juni 1983 im sächsischen Kirchberg.
Zwar hinterlässt Marianne Brandt ein berauschendes Werk von Kunstwerken und Designarbeiten und ist zudem eine der wenigen wirklich erfolgreichen Frauen der Moderne, trotz allem aber gehört sie zu den eher unbekannten Bauhausschülerinnen und ihre Werke sind bis auf die merkwürdige Teekanne und den Aschenbecher in der Alessi Kollektion kaum vertreten.
Besonders traurig ist, dass man sie auch in Chemnitz kaum kennt.
Der alle drei Jahre stattfindende Marianne Brandt Wettbewerb tut zwar alles, um ihr Erbe und die Erinnerung an sie am Leben zu halten, aber abgesehen vom Wettbewerb selbst trägt dazu nicht viel bei.
Chemnitz ist ziemlich versessen darauf, sich als „Stadt der Moderne“ zu präsentieren. Überfliegt man allerdings kurz die offizielle Website, zeigt sich, dass die Stadt neben einigen Häusern auf dem Kaßberg, der Villa Esche und Erich Mendelsohns Kaufhaus Schocken Mühe hat, noch etwas zu finden, was den Anspruch auf das Erbe der Moderne bekräftigt.
Und Marianne Brandt wird peinlicher Weise nicht mal erwähnt!
Allerdings scheint sich alles zum Guten zu wenden. Im Frühjahr 2015 wird im Industriemuseum der Stadt eine neue Dauerausstellung eröffnet werden, wo Marianne Brandt wahrscheinlich und hoffentlich ausreichend Raum gegeben wird. Die Ausstellung in der Villa Esche ist in vielerlei Hinsicht ein Vorgeschmack darauf.
Marianne Brandt in der Villa Esche ist keine riesige Ausstellung, aber immer noch eine der umfassendsten Präsentationen des Lebens und der Arbeit Marianne Brandts, die wir seit langem gesehen haben. Neben originalen Exemplaren ihrer Produktdesigns sind Fotografien von und mit Marianne Brandt zu sehen. Es werden Briefe und die derzeitige Marianne Brandt Alessi Kollektion gezeigt.
Zu den interessantesten Ausstellungsobjekten gehören ein handschriftlicher Lebenslauf, eine Metallkugel, die Marianne Brandt für fotografische Experimente benutzte, und ein Brief, der ihren Termin mit der Bauhausbelegschaft bestätigt. 150 Reichsmark pro Monat waren offenbar die übliche Bezahlung.
Zudem ist ein Brief von László Moholy-Nagy aus dem Jahr 1935 zu sehen, in dem er von einem Treffen mit Walter Gropius in London berichtet und davon erzählt, wie beide bedauert haben, Marianne nicht ausreichend Möglichkeiten eröffnet zu haben. Nagy ermutigt sie in dem Brief, Englisch zu lernen, sodass er versuchen könnte, ihr eine Stellung in Großbritannien zu organisieren.
Alle ausgestellten Produkte, außer einem Zigarettenetui aus dem Jahr 1923, stammen aus der Periode zwischen 1928 und 1932, also Brandts Zeit mit den Ruppelwerken in Gotha. Die Ausstellungsstücke zeigen, wie facettenreich Marianne Brandts Talent war und mit welchem außergewöhnlichen Vermögen es ihr gelang, Funktionalität durch formale Eleganz wiederzugeben. Wir werden auch daran erinnert, dass die Moderne durchaus farbig war. Das vergisst man schnell, da normalerweise sämtliche zur Verfügung stehenden Aufzeichnungen Schwarzweißfotografien sind.
Mit ungefähr 50 ausgestellten Objekten ist Marianne Brandt in der Villa Esche vielleicht zu klein, um extra wegen der Ausstellung nach Chemnitz zu fahren. Sollte man allerdings in Chemnitz sein, lohnt es sich die Zeit zu nehmen. Und allen Chemnitzern sollte der Besuch vorgeschrieben werden!
Ausführliche Details sind unter www.villaesche.de zu finden.
Und einige Eindrücke vorab gibt es schon mal hier:
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