Industriedesign ist wie jeder Dummkopf weiß ein wunderbares Beispiel für die kulturelle Überlegenheit des Nordens. Genährt durch Wissenschaft und ermutigt durch eine reiche Tradition, entwickelte sich das Handwerk immer weiter in Richtung industrielle Produktion, um den immer komplexer werdenden Wünschen der Gesellschaft nachzukommen, bis die Herstellung von Waren durch Massenproduktion zu einer eigenen Industrie wurde.
Dass das absoluter Quatsch ist, wurde in dem „India Report“ von Charles & Ray Eames von 1958, wo sie eine wachsende industrielle Produktion in Indien beschreiben, vollkommen klar.
Und tatsächlich entdeckte Charlotte Perriand 25 Jahre früher eine reiche, wenn auch primitive, Masse industriellen Designs im Zwischenkriesjapan.
Amero-europäisches Industriedesign, die von den Eames in Indien entdeckte Situation und die Beobachtungen von Perriand in Japan waren und sind größtenteils das Ergebnis einer organischen Entwicklung vom Handwerk zum industriellen Produkt durch sozialen und kulturellen Wandel. Eine organische Entwicklung unterstützt und befördert durch die Regierung und zentrale Institutionen.
Bis 8. Dezember präsentiert das Triennale Design Museum Mailand eine Ausstellung, die einen anderen Weg vom Handwerk zur kontrollierten Massenproduktion zeigt: Notwendigkeit.
Organisiert von der Mailänder NGO Liveinslums, präsentiert „Made in Slums – Mathare Nairobi“ eine Sammlung von Objekten, die in Mathare, Nairobis zweitgrößtem Slum, hergestellt und verkauft werden.
Angefangen bei Alltagsobjekten wie Kochtöpfen oder Bürsten und Pfannen über praktische Objekte wie eine Mausefalle und Hühnerfütterer bis hin zu „marktspezifischen“ Objekten wie einem Kleidungspräsentationsständer und einem Markteinkaufswagen ist „Made in Slums – Mathare Nairobi“ mehr eine Dokumentation der Menschen von Mathare und ihrer Situation als eine Sammlung von Objeketen.
Etwas, was es umso interessanter macht.
Während des DMY Berlins 2013 organisierte der belgische Kurator und Journalist Max Borka die Ausstellung „Refugium“, die Berliner Design erkundet. Eine von Max Borkas zentralen Theorien ist, dass Berlins Kreativ- und Designtradition aus der Tatsache resultiert, dass sich die Stadt permanent in der Krise befindet. Aus dieser Krise entsteht die Notwendigkeit einer Handlung, die die Art charakterisiert, wie Designer und Architekten denken und schließlich zu ihrer Arbeit kommen.
Ähnliche Aspekte können auch in vielen Objekten von „Made in Slums – Mathare Nairobi“ wiedergefunden werden. Ohne realistische Möglichkeiten Markenprodukte zu kaufen, haben die Handwerker und Handwerkerinnen ihre eigenen „Marken“ für ihre Produkte aus Industrieabfall kreiert. Und so haben sie zugleich auf poetische Weise bewiesen, dass wir all die im Fernsehen beworbenen Produkte mit den großen Namen gar nicht brauchen. Genauso wenig wie unser nördliches Industriedesign, auf das wir alle so stolz sind.
In dem Kontext ist „Made in Slums – Mathare Nairobi“ auch ein weiterer Weckruf an alle Designstudenten, die denken, sie seien so schlau, weil sie neue Verwendungsmöglichkeiten für Müll finden. Sind sie nicht. Man sollte lieber Wege finden, die Entstehung von Müll einzuschränken.
Neben den Objekten selbst zeigt „Made in Slums – Mathare Nairobi“ auch eine Reihe von Fotos und einen Dokumentarfilm über Slum-Workshops, was alles zusammen genommen dem Besucher hilft den Kontext der Objekte zu verstehen.
Und bevor irgendjemand auf irgendwelche Ideen kommt, da ist nichts gönnerhaftes an der Ausstellung. Liveinslums macht, was der Name vermuten lässt und arbeitet in verschiedenen Projekten mit den Einwohnern von Mathare. Die Ausstellung entstand aus Beobachtungen, die während alltäglicher Arbeiten gemacht wurden und wurde durch die positive Resonanz des Triennale Design Museums ermöglicht. Das ist also keine viktorianische Ausstellung über die „ursprünglichen Handwerkskünste“…
Obwohl wir ständig über die Zahl der Ausstellungen während der Mailänder Möbelmesse jammern, ist es eine kleine Schande, dass „Made in Slums – Mathare Nairobi“ nicht im April gezeigt wird. Die Ausstellung könnte einen Blick darauf zeigen, was Design ist, sein kann und sein sollte, was schließlich im Gegensatz zu dem steht, was während der Messe die heilige Halle der Triennale einnimmt.
Wäre interessant zu sehen, ob unsere Kollegen das erkennen würden…
Jedem, der diesen Herbst zufällig in Mailand ist, können wir einen Besuch der Ausstellung wärmstens empfehlen.
„Made in Slums – Mathare Nairobi“ wird bis Sonntag, den 8. Dezember 2013 im Triennale Design Museum Mailand gezeigt. Alle Informationen zu den Ausstellungsobjekten sind auf Italienisch und Englisch vorhanden.
Mehr unter http://triennale.it
Und mehr zu Liveinslums, ihrer Arbeit und den Projekten unter www.liveinslums.org
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