Trotz unserer persönlichen und sehr tiefen Abneigung gegen alles, was mit Chemnitz zu tun hat – was wir wirklich langsam überwinden sollten – ist der Marianne Brandt Wettbewerb einer unserer liebsten internationalen Designwettbewerbe. Wir kennen keinen anderen Designwettbewerb, bei dem ein Origami-Kolibri mit einer Büroklammer als Schnabel gewinnen könnte… Und kein neues Produktkonzept der letzten Zeit hat uns auf Anhieb so begeistert wie Mechthild. Oder Damensattel von Caspar Huckfeldt, der 2010 einen Sonderpreis gewann und natürlich Stephan Schulz‘ Comfy Cargo Chair von 2010.
Noch bis zum 26. Mai können Arbeiten für den Marianne Brandt Wettbewerb 2013 eingereicht werden. Der Wettbewerb 2013 bedeutet nicht nur eine neue Gewinnchance, sondern auch ein neues Organisationskomitee. Unter den ersten Änderungen, die das neue Team machte, ist die Einführung der neuen Kategorie „Cradle to Cradle“, die wir in unserem letzten Post vollkommen missverstanden haben. Um herauszufinden, was genau sich hinter der Kategorie „Cradle to Cradle“ verbirgt und welche anderen Änderungen wir vom Marianne Brandt Wettbewerb 2013 erwarten können, haben wir Linda Pense und Stefan Hannig aus dem neuen Organisationskomitee getroffen und sie zuallererst nach den anstehenden Veränderungen gefragt.
Linda Pense: Es begann alles mit einem Filmprojekt über Industriedesign und im Speziellen Industriedesign im Zusammenhang mit dem Marianne Brandt Wettbewerb, an dem Fran, Stefan und Alexander arbeiteten. Die Recherchen für den Film brachten uns dem Wettbewerb ziemlich nah und schließlich fragte Ilona Rosenkranz, die den Wettbewerb ins Leben gerufen und ihn seit 2000 geleitet hat, ob wir nicht Interesse hätten, die Organisation des Wettbewerbes zu übernehmen und ihn weiterzuführen.
Stefan Hannig: Wir haben ziemlich lange überlegt und die Entscheidung Ja zu sagen, war schließlich eine sehr intuitive, fast eine Bauchentscheidung: für uns gibt es keine kommerzielle Logik bei der Entscheidung, es war viel mehr so, dass wir die Mühe, die über die Jahre in das Projekt gesteckt wurde, sehr schätzen und wir das Ganze für einen ausgezeichneten Wettbewerb halten, der es verdient hat, gepflegt zu werden.
(smow)blog: ….was uns zur nächsten Frage führt: Erwartet uns ein frischer Wind in der ganzen Sache oder soll alles so bleiben wie es war?
Linda Pense: Ich war sehr vertraut mit dem Wettbewerb und fand ihn immer wunderbar, weil er so eine offene Atmosphäre hatte, irgendwie sehr persönlich war und auch das Motto „Die Poesie des Funktionalen“ ist eine exzellente Basis für so einen Wettbewerb. Und wir wollten all das beibehalten… aber dann haben wir nach und nach gemerkt, dass wir ihn doch mehr verändert haben, als wir eigentlich wollten. Das heißt die zentralen Elemente und das Motto „Die Poesie des Funktionalen“ sind die gleichen geblieben. Was wir geändert haben, betrifft vor allem Dinge wie die Kommunikation – wir nutzen nun viel mehr digitale Plattformen -, aber auch der Auswahlprozess ist neu – die Longlist wird mithilfe von eingesendeten PDFs und nicht mehr den „echten“ Objekten erstellt. Und wir haben den Wettbewerb von einem europäischen in einen wirklich internationalen verwandelt.
Stefan Hannig: Daneben haben wir uns gegen eine formelle Preisverleihung und für mehr informelle Veranstaltungen entschieden, angelehnt an die berühmten Bauhaus Feste mit Musik, Kunst, gutem Essen und noch besseren Gesprächen. Wir wollten ein bisschen weg von dem klassischen Designpreis und hin zu einem Austausch und Diskurs über Design.
(smow)blog: Die Kategorien Fotografie und Design sind geblieben, in diesem Jahr neu ist die Kategorie „Cradle to Cradle“ Eine Kategorie, die wir völlig missverstanden haben. Um es richtigzustellen, was ist der Hintergrund der Kategorie?
Linda Pense: „Cradle to Cradle“ als Konzept wurde von Michael Braungart, einem unserer neuen Juroren, entwickelt und es geht letztlich darum Projekte zu entwickeln, deren Fokus auf Ökoeffektivität, und nicht Ökoeffizienz, liegt. Das heißt, z.B. nicht nur etwas zu produzieren, das recycelt werden kann, sondern etwas zu produzieren, das recycelt werden kann ohne jemals Müll zu produzieren – weder beim Produktionsprozess noch am Ende eines Nutzungszeitraumes
Als wir an dem Filmprojekt arbeiteten, hatten wir einige fundamentale Fragen zu klären, wie darüber, was Design ist, was Design kann, was Design machen sollte und gleichzeitig, was das Bauhaus erreichen wollte und was es erreichen wollen würde, wenn es heute immer noch existieren würde. Fragen, die auf die eine oder andere Weise viel mit Materialien und Produktionsprozessen zu tun haben.
Ganz ähnlich beschäftigt sich „Cradle to Cradle“ mit Materialien und Prozessen und vor allem dem Produkt als integrierten Teil eines Produktkreislaufs statt etwas Parallelem dazu.
Und für unseren Teil mögen wir wirklich den positiven, initiativen Aspekt der „Cradle to Cradle“-Philosophie. Es ist ein Ansatz, der versucht Wandel zu erreichen, indem er sagt „Tu das“ oder „Tu das“; ganz im Gegensatz zu den Beschränkungen und Don’ts, die normalerweise mit Diskussionen über „Nachhaltigkeit“ assoziiert werden also.
Stefan Hannig: Und wenn man damit beginnt, über solche Sachen nachzudenken, kommt man automatisch zu der Frage danach, wer dafür verantwortlich ist, Änderungen in Gang zu bringen. Ist es der Konsument, die Politiker, die Hersteller? Die Antwort ist, dass es am Ende der Designer ist. Und da kommen wir wieder zum Bauhaus. Das Bauhaus regte viele der zeitgenössischen Fragen an, besonders nach der Entwicklung vom Handwerk zur Massenproduktion. Und es waren die Designer, die solche Fragen aufwarfen, nicht Industrielle, nicht die Politiker. Und im Wesentlichen ist das die Funktion des Designers: Probleme lösen und Konventionen hinterfragen. Es geht nicht darum einen Löffel noch attraktiver zu machen oder designter wirken zu lassen, auch keine Vase. Die grundsätzliche Funktion des Designers liegt darin, innovative Lösungen für gesellschaftliche Probleme zu finden. Und daher hoffen wir in der „Cradle to Cradle“-Kategorie einige aufregende neue Konzepte und Projekte in diese Richtung zu finden.
(smow)blog: Das ist euer erster Wettbewerb als Veranstalter und ihr habt uns nun erzählt, was wir erwarten können. Gibt es auch Dinge, dir ihr erwartet oder Ziele, die ihr euch gesteckt habt?
Stefan Hannig: Eigentlich haben wir keine Ahnung, was uns erwartet. Auf der einen Seite, weil wir es zu einem internationalen Wettbewerb gemacht haben und auf der anderen Seite, weil wir das Event anders als Ilona Rosenkranz öffentlich gemacht haben. Es kann sein, dass nur 100 Designer ihre Arbeiten einreichen, was auf jeden Fall enttäuschend wäre, aber wir haben uns auch keine wirklichen Ziele gesetzt. Für uns ist vielleicht das Feedback am Ende des Wettbewerbs und die Reaktionen auf die Preisverleihung und die Ausstellungen wichtiger. Aber jetzt sind wir an dem Punkt, wo die Arbeit wirklich beginnt und wir freuen uns alle darauf zu sehen, wie sich die nächsten Wochen entwickeln werden.
Und, wie immer, um der Transparenz willen: (smow)chemnitz tritt als sponsor bei der Internationaler Marianne Brandt Wettbewerb 2013 auf.
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