Das MoMa in New York beheimatet bekanntermaßen einige der berühmtesten Arbeiten aus der Pop Art – neben so ziemlich jeder anderen modernen Kunst- und Designrichtung. Die Pop Art Werke sind jedoch durch ein Stockwerk von den anderen Werken aus der Mitte des 20. Jahrhunderts getrennt. Bedenkt man die Größe und den Aufbau des MoMas ist es undenkbar, dass irgendein normaler Besucher in der Lage wäre, das, was er gerade in dem einen Stockwerk sieht, mit dem in Verbindung zu bringen, was er vor einer gefühlten Ewigkeit auf einem anderen gesehen hat. Man betrachtet die beiden Ausstellungsteile zwangsläufig als zwei separate Einheiten. Zwei getrennte Welten. Hier George Nelson, Charles & Ray Eames, Eero Aarnio. Da Andy Warhol, Claes Oldenburg, Roy Lichtenstein.
Das Vitra Design Museum in Weil am Rhein sieht die Dinge etwas anders und richtet noch bis Februar 2013 die Ausstellung Pop Art Design aus. Das ist nicht nur die erste Ausstellung im Vitra Design Museum, die Kunstwerke in den Fokus rückt, es ist auch der erste Versuch überhaupt zu untersuchen, wie Kunst und Design in der Pop-Art-Ära interagiert und sich gegenseitig beeinflusst haben.
Mit 140 Arbeiten aus Kunst und Design der 1950er, 1960er und 1970er Jahre präsentiert Pop Art Design einen umfassenden Überblick über die Hauptakteure, Themen und Errungenschaften der Periode – und das alles im Rahmen der Betrachtung von Kunst im Kontext von Design und Design im Kontext von Kunst.
Insofern wir das Ausstellungskonzept richtig verstanden haben, gibt es keine Versuche bei Pop Art Design eine direkte Verbindung zwischen den Künstlern und Designern der Zeit herzustellen, d.h. es soll nicht „aufgedeckt“ werden, wie der eine Arbeiten oder Ideen eines anderen übernommen hat. Viel mehr geht es darum deutlich zu machen, wie die beiden Gruppen auf die Zeit, die vorherrschende Politik sowie die sozialen und technologischen Entwicklungen reagiert haben. Vor allem geht es aber um den Dialog, der zwischen Kunst und Design stattfand.
Im Vorwort zum Ausstellungskatalog beschreibt der Vitra Design Museum Chef-Kurator Mateo Kries den Dialog als einen „zentralen Charakter“ der Pop Art.
Wenn wir ehrlich sind, haben wir das Ganze noch nie so betrachtet. Nachdem wir aber die Ausstellung gesehen haben, verstehen wir diesen Dialog um einiges besser. Und dem Ausstellungskonzept nach zu urteilen, glauben wir, dass alle Besucher die Ausstellung mit einem ähnlich erweiterten Horizont verlassen werden.
Die Künstler der Nachkriegszeit spielten mit der weltweit wachsenden Prominentenszene und der aufkeimenden Werbeindustrie, während die Designer moderne Materialien zur Verfügung hatten und einer neuen Generation von Konsumenten gegenüberstanden, die sich in einer wachsenden finanziellen Sicherheit befand. Und so feierten beide Gruppen ihre kreative Freiheit, bedingt durch die vorherrschenden Umstände und der wachsenden globalisierten Gesellschaft, um schließlich zu reflektieren und darauf zu antworten, was um sie herum geschah.
Die Ergebnisse sind erstaunlich ähnlich; nicht nur in Sachen Form und Farben, sondern auch bezogen auf die Langzeitwirkung der Arbeiten.
Eines der besten Beispiele dafür kann man sehen, noch bevor man die Ausstellung überhaupt betreten hat. Vor dem Vitra Design Museum steht eine Installation, bestehend aus dem „Blow Inflatable Armchair“ von Paolo Lomazzi, Donato D’Urbino und Jonathan De Pas aus dem Jahre 1967 zusammen mit einer verkleinerten Version von Andy Warhols „Silver Clouds“ von 1966.
Aufgeblasene, hohle Objekte als Mittel bestehende Konventionen zu hinterfragen und eine Debatte anzustoßen. Eins unmissverständlich Kunst, das andere unmissverständlich Design. Beide unmissverständlich mit dem gleichen Genmaterial ausgestattet. „Aufgeblasene, hohle Objekte“ in zeitgenössischer Kunst und Design? Hat hier jemand was von Jeff Koons gesagt? Oskar Zieta? Philippe Starck? Und wo sollen wir jetzt Asif Khan’s „Clouds“ von der Design Miami Basel 2011 einordnen? In die Architektur?
Pop Art Design demonstriert außerdem auf geschickte Weise, wie sich der Einfluss der Pop Art noch heute indirekt auf verschiedenen Wegen äußert. Steht man z.B. vor Arbeiten von Ettore Sottsass wird einem die Verbindung zwischen Pop Art und Postmodernem Design nur allzu bewusst; spätere Arbeiten transportieren das Entmystifizierende, Entlarvende und Demokratisierende wie es von der Pop Art gepredigt wurde also noch einen Schritt weiter. Sie gehen es mit noch mehr Elan und Zielstrebigkeit an.
Wie es Pop Art Design so schön deutlich macht, wurde diese Entwicklung in weiten Teilen von dem Dialog angetrieben, der während der Pop-Art-Jahre zwischen dem, was als Kunst verstanden wurde, und dem, was als Design verstanden wurde, stattfand; als die Designer also begonnen haben immer mehr künstlerische Techniken anzuwenden und sich Künstler bis dahin dem Design vorbehaltenen Prozessen zuwandten.
Ein Aspekt der Ausstellung, der uns wirklich überrascht hat, war die Anzahl der Arbeiten von Alexander Girard, die dort zu sehen sind. Wir haben unserer Bewunderung für Alexander Girard nicht selten Ausdruck verliehen, aber in den Kontext von Pop Art haben wir sein Werk nie eingeordnet. Und so kam die Gelegenheit, einen Freitag Morgen damit zu verbringen, Alexander Girards Arbeiten mit denen von Andy Warhol zu vergleichen, so unerwartet wie sie schließlich wunderbar und wohltuend war.
Die Intention der Kuratoren war es dabei nicht aufzuzeigen, dass Alexander Girard Pop Art ist, aber es sollte deutlich werden, wie ähnlich die Ursprünge der von Folk Art inspirierten Arbeiten Girards mit bestimmten Motiven in der Pop Art sind. Oder anders ausgedrückt: Das Verhältnis von Girard zur Volkskunst entspricht ungefähr der Vernarrtheit der Pop Art in Marken und Konsum.
Ein zweiter Ansatz, der in der Ausstellung eine prominente Rolle einnahm und hier nicht unerwähnt bleiben soll, ist die Politik. Jasper Johns‘ „Flag“ war zwar nicht unter den Exponaten, eine genauso starke Infragestellung von Amerikas gefürchtetstem Symbol kann jedoch in dem „Leonardo Sofa“ vom Studio 65 gesehen werden. Die Arbeit ist dazu auch noch neben Warhols Portrait von Mao und der Moloch Floor Lamp von Gaetano Pesce platziert. Diese Entscheidung der Kuratoren stellt eine brillante Provokation dar und verspottet die Stars and Stripes wie kaum ein anderes – einzelnes – Kunstwerk es vermag.
Auf der Pressekonferenz zur Eröffnung erklärte Mathias Schwartz-Clauss, dass es ein Ziel des Ausstellungskonzeptes sei, Kunst und Design als gleichberechtigte Partner zu präsentieren, wobei keines das andere überschatten soll. Für uns hat dieses Konzept sein Ziel erreicht. Die Grenzen zwischen den Genres sind einfach nicht vorhanden. Zwischen Kunst und Design kann man sich hier genauso gut bewegen wie am Baseler Flughafen zwischen der Schweiz und Frankreich.
Pop Art Design ist keine Ausstellung für jene, die sich für eins-zwei Stunden in hellen Objekten oder abstrakten Formen verlieren wollen. Dafür sollte man ins MoMa gehen. Es ist viel mehr eine Ausstellung für die, die besser verstehen wollen, was das Wesentliche der Pop-Art-Ära war, was uns Pop Art gegeben hat, wohin uns Pop Art mitgenommen hat und wo die Wurzeln vieler moderner Designs liegen.
Wenn man mit der gleichen Abenteuerlust in die Ausstellung geht wie die Künstler und Designer jener Zeit an ihre Arbeit gegangen sind, wird man sie mit einem deutlich erweiterten Verständnis von einer Zeit, die viel mehr als berühmte Bilder von Suppendosen oder Skulpturen von Hamburgern zu bieten hat, verlassen.
Pop Art Design kann bis zum 3. Februar 2013 im Vitra Design Museum in Weil am Rhein gesehen werden. Neben der Ausstellung selbst bietet das Museum ein Rahmenprogramm aus Gesprächen, Workshops, Filmen und einem Konzert an.
Weitere Informationen gibt es unter www.design-museum.de
Tagged with: Pop Art Design, Vitra Design Museum