Man muss kein weltgewandter Designspezialist sein, um zu wissen, dass die Dänen leichte, unkomplizierte Holzmöbel mit frei fließenden organischen Formen erfunden haben. Das gehört einfach zu diesen anerkannten Wahrheiten, die wir alle auf Cocktailpartys hervorkramen können. Das macht es umso überraschender, dass der scheinbare Gegenbeweis nun im Danish Museum of Art and Design in Kopenhagen, dem Tempel für dänische Designgeschichte schlechthin, zu finden ist.
Obwohl wir dem Museum durchaus Anerkennung dafür zollen, dass es Børge Mogensens Stuhl von 1944 neben das „Original“ eines unbekannten englischen Handwerkers aus dem 18./19. Jahrhundert stellt, so befürchten wir doch, dass das Fehlen jeglicher Erklärungen die Besucher glauben machen lassen könnte, dass unser Verständnis der dänischen Möbelindustrie des 20. Jahrhunderts auf Designern basiert, die nichts weiter getan haben als Formen aus vergangenen Jahrhunderten zu kopieren. Aber seit wann ist die Welt denn so einfach…?
1914 in Aalborg geboren, machte Børge Mogensen zunächst eine Ausbildung zum Möbeltischler, bevor er Möbeldesign an der Danish School of Arts and Crafts und dann Architektur an der Royal Danish Academy of Fine Arts studierte. Nach seinem Studium wurde Børge Mogensen Assistent von Kaare Klint, dem wohl bedeutendsten Altmeister des dänischen Möbeldesigns. Klint war nicht nur für viele spätere dänische Möbeldesignklassiker verwantwortlich – so den Safari Chair, den Propeller Stool und den Church Chair, der später die Grundlage für Egon Eiermanns Stuhl für die Matthäuskirche in Pforzheim bilden sollte -, sondern gründete auch den Fachbereich Möbel an der Danish School of Arts and Crafts. Dort bildete er die erste Generation international erfolgreicher dänischer Möbelarchitekten aus, darunter auch Arne Jacobsen und Finn Juhl.
Ein zentraler Bestandteil von Kaare Klints Designphilosophie war, dass man die Vergangenheit nie komplett außen vor lassen sollte. Wie Arne Karlsen 1968 in seiner Rezension zu Børge Mogensens Möbel schrieb: „Klint lehnte die formale Tradition ab, die auf der Verbindung stilistischer Ausdrucksweisen vergangener Zeiten beruhte, doch er betonte den Wert der funktionalen Tradition bei der Schaffung der Formen von Möbeln. Im Gegensatz zur Bauhaus-Bewegung beispielsweise glaubte er, dass der Designer durch die Entwicklung einer Aversion gegenüber allem Alten seinen Sinn für Perspektive verliert und sich selbst die Möglichkeit vorenthält, auf Erfahrungen aufzubauen, die über Jahrhunderte gemacht wurden.“1
Wir zitieren Professor Karlsen hier in solcher Länge, weil er eloquenter zusammenfassen kann als wir es je könnten, wie Klint dafür kämpfte, die Tradition vor der fortschreitenden Moderne zu schützen, und damit letztlich zum Bild dänischer Möbel als etwas, das sich von jeder anderen Tradition in Europa unterscheidet, beitrug – von diesen „leichten, unkomplizierten Holzmöbeln“ eben… Damit legte er den Grundstein für etwas, bei dem Børge Mogensen zu den tatkräftigsten Akteuren gehören sollte.
1942 wurde Børge Mogensen Leiter der frisch gegründeten Möbeldesignabteilung des dänischen Genossenschaftsbetriebs FDB. Von den Lehren Klints geleitet, entwickelte Børge Mogensen Holzmöbel für den FDB, die größtenteils auf traditionellen englischen, schwedischen und amerikanischen Designs beruhten. Seine Entscheidung für traditionelle Standards basierte jedoch nicht darauf, wie die Stücke aussahen, sondern auf ihrer Bauweise, ihren funktionalen Merkmale und ihrem Material. Außerdem waren es alles Stücke, die durch minimale Optimierungen auch industriell produziert werden konnten. Das ist auch der Hauptunterschied zwischen Mogensens Arbeit und den „Originalen“ sowie einer seiner wichtigsten Beiträge zum dänischen Möbeldesign.
Während die „Originale“, die Børge Mogensen inspiriert haben, in Handarbeit gefertigt wurden, waren seine FDB-Stühle für die industrielle Herstellung gedacht. Diesen Kompromiss ging der Designer gerne ein, da er seine Möbel nicht als hochwertige Waren, sondern als einfache Alltagsmöbel von guter Qualität sah, die für den modernen Dänen erschwinglich sein sollten. Für Børge Mogensen war Technik nämlich weder eine solche Gefahr für die Tradition wie für die Arts-and-Crafts-Bewegung noch der Weg weg von der Tradition als den die Bauhaus-Bewegung sie anstrebte, sondern ein einfaches Werkzeug.
Während man am Bauhaus darüber sprach Design demokratischer zu gestalten oder Charles & Ray Eames ihren Leizsatz „The most of the best to the greatest number of people for the least“ propagierten, nahm Børge Mogensen einfach funktionales Design, das seinen Wert schon bewiesen hatte, und passte es an die technischen Entwicklungen der damaligen Zeit an.
Während das Danish Museum of Art and Design glauben macht, dänisches Möbeldesign basiere größtenteils auf Objekten früherer Generationen, die einfach kopiert wurden, ist es in Wahrheit vielmehr so, dass die Designtradition der Stücke kopiert wurde – nicht aber automatisch auch ihre Form. Das ist ein großer Unterschied!
Børge Mogensen Anpassung dieser Traditionen an die industrielle Fertigung war letztlich der Grund dafür, dass seine Möbel in solchen Mengen produziert werden konnten und dass sie auch außerhalb Dänemarks Bekanntheit erlangten. Das ist auch einer der Gründe dafür, wieso wir alle ähnliche Bilder im Kopf haben, wenn wir heute etwas über „Skandinavisches Design“ lesen. Und natürlich auch dafür, dass riesige blau-gelbe Mitnahmemöbelhäuser in jedem größeren Ballungsgebiet zu finden sind. Aber das ist ein Thema für einen anderen Post…
Trotz seiner Rolle in der Geschichte des dänischen Möbeldesigns hat Børge Mogensen nie die Berühmtheit oder die Anerkennung erlangt wie ein Poul Henningsen, Arne Jacobsen oder Verner Panton. Und das wird er auch nie. Doch das hat ihn auch nie sonderlich interessiert. Was Børge Mogensen interessierte, war Holz, qualitativ hochwertige Möbel zu einem fairen Preis zu schaffen und die Behaglichkeit der Tradition. Oder wie Arne Karlson sagte: „Er suchte nie das Neuartige, das Sensationelle. Schnöde Popularität ging ihm gegen den Strich.“1
Zum Glück.
1. „Furniture designed by Børge Mogensen“ von Arne Karlsen. The Danish Architectural Press, Copenhagen 1968; frei übersetzt
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