Man stelle sich einmal vor, man hat seine ganze Karriere dafür genutzt ein modulares Bausystem zu entwickeln. Man stelle sich vor, man hat der Welt damit zu radikal neuen Ansätzen im Konstruktionsdesign verholfen und daran mitgewirkt Computertechnologie in der Architektur anzuwenden. Und dann stelle man sich mal vor, dass einen die meisten Menschen nur in Verbindung mit einem Büromöbelsystem kennen. Dieses Büromöbelsystem hat man irgendwann einmal im Rahmen eines Vertrages für eine Firma, die ihren Sitz in einem kleinen Schweizer Ort hat, entwickelt.
Das System wurde trotz seines bescheidenen Ursprungs zu einem weltweiten Erfolg und einem wortwörtlich universalen, weil einfachen und funktionalen Aufbewahrungsmöbel.
Man stelle sich vor, diese Bekanntheit überschattet alle Bemühungen als Architekt.
Das ist das Schicksal des Schweizer Architekten Fritz Haller.
Wir haben hier schon in aller Ausführlichkeit über das USM Haller Möbelbausystem berichtet. Aber wer in unseren Ausführungen kaum vorkam, ist Fritz Haller mit seiner Architektur. Das liegt vor allem daran, dass es kaum seriöse Quellen zu ihm gibt. Eine vertrauenswürdige Quelle gibt es aber, Dr. Georg Vrachliotis, Vertretungsprofessor für Architekturtheorie am Karlsruher Institut für Technologie (KIT).
Nach seinem Abschluss in Architektur an der UdK Berlin, studierte Georg Vrachliotis Philosophie an der TU Berlin. Schließlich fand er seine Bestimmung in der Architekturtheorie und hatte verschiedene Positionen an den Universitäten Freiburg, Bremen und Berkeley inne und war Gastdozent für Architekturtheorie an der TU Wien, bevor er an der ETH Zürich seine Promotion über das Thema „Geregelte Verhältnisse. Architektur und Technisches Denken in der Epoche der Kybernetik“ (Springer Wien/BewYork, 2011) abschloss. Zurzeit arbeitet er an dem Forschungsprojekt „Fritz Haller als Forscher. Eine Architekturgeschichte der Abstraktion“.
Im März 2012 organisierte Georg Vrachliotis das Symposium „Fritz Haller. Architekt und Forscher“ in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Architekturtheorie an der ETH Zürich. Kurz danach trafen wir Georg Vrachliotis, um mit ihm über Fritz Haller, seine Architektur, sein Erbe sowie über die Tatsache, dass Haller vor allem für das USM Haller System Bekanntheit erlangte, zu diskutieren. Anfangen wollen wir aber mit der Frage, wie Georg selbst Fritz Haller „entdeckt“ hat….
Georg Vrachliotis: Mein erster Berührungspunkt mit Fritz Haller war, wie für so viele Leute, dieses eine bestimmte Möbelstück, das in der Schweiz geradezu omnipräsent ist. Was mich damals interessiert hat, waren der Mensch und der Architekt hinter dem Möbel. Fritz Haller war und ist in erster Linie ein Architekt, kein Möbeldesigner, und es war mir sehr schnell klar, dass er so etwas wie ein Rohdiamant der Architekturgeschichte ist. Fritz Haller hatte Kontakt mit Konrad Wachsmann und Charles Eames, er entwickelte verschiedene exzellente Bausysteme und seine eigene Software, die ihm half seine Projekte zu planen. Dennoch verschwand er mehr oder weniger aus der Architekturgeschichte und ich begann mich für ihn zu interessieren.
(smow)blog: Wie hast du dann begonnen diesen rohen Diamanten zu polieren?
Georg Vrachliotis: Anfangs arbeitete ich ziemlich unsystematisch. In den ersten paar Jahren reiste ich alle paar Monate zu ihm nach Hause, woraus eine Serie transkribierter Interviews entstanden ist, aus denen schließlich ein noch relativ unsystematischer, biografischer Text hervorging. Dann übergab Fritz Haller sein Archiv an die ETH Zürich. Dieser Prozess begann vor ungefähr zwei Jahren und ich war von Anfang an darin involviert. Das stellte den Ausgangspunkt für meine systematische Forschung dar.
(smow)blog: „Fritz Hallers Archiv“, das klingt nach einer Herausforderung….
Georg Vrachliotis: …. besonders wenn man bedenkt, dass wir darin Dokumente von 50, 60 Jahren Arbeit haben. Zum Glück ist alles sehr gut organisiert. Fritz Haller war der Designer eines Systems und so entwickelte er natürlich auch ein System für sein Archiv….
(smow)blog: Designer eines Systems ist ein gutes Stichwort. Warum System?
Georg Vrachliotis: Fritz Hallers Systeme sind Antworten auf Fragen, die er sich selbst gestellt hat. Haller hatte immer ein unglaubliches Erkenntnisinteresse an der Architektur. Zentral für ihn ist die Frage, was ein Haus ist; er möchte ein Haus verstehen. Man entwirft etwas, um etwas zu verstehen. Es ging ihm nie um das Objekt als Fetisch. Ihm ging es mehr darum, zu reflektieren, zu reevaluieren und zu erforschen, wie man baut. Er fragte, welche Art von System können wir entwickeln? Dann entstand das Gebäude, dann entwickelte er das System weiter und dann kam das nächste Gebäude und so weiter und so fort. Fritz Hallers Intention war es, wie er sagt, Systeme zu entwickeln, die komplett flexibel sind.
(smow)blog: Eines der flexibelsten seiner Systeme war und ist sein Mini/MidiMaxi Bausystem. Ist das System heute noch relevant oder nur ein nettes historisches architektonisches Artefakt?
Georg Vrachliotis: Obwohl wir in Sachen industrieller Architektur, Energieeffizienz usw. viel, viel weiter sind als damals, ist die Eleganz mit der man das Mini/MidiMaxi System kombinieren kann immer noch relevant, denke ich.
(smow)blog: Wenn wir das richtig sehen, hat Fritz Haller immer nur in der Schweiz gebaut, wir konnten jedenfalls kein Projekt außerhalb der Schweiz finden. Ist das tatsächlich so und wenn ja, weiß man warum? War er nicht daran interessiert in anderen Ländern zu arbeiten oder hat ihn niemand gefragt?
Georg Vrachliotis: Es stimmt, dass all seine Bauten in der Schweiz stehen; warum das so ist, ist allerdings zurzeit noch eine Frage ohne Antwort. Er hat auch an sehr vielen Architekturwettbewerben für Deutschland teilgenommen, jedoch ohne Erfolg. Mir ist nicht ganz klar, warum das so ist, aber ich vermute, dass es etwas mit den Architektur- und Ingenieurkammern zu tun hat. Man müsste dort genau nachforschen, warum Haller in Europa nichts gebaut hat.
(smow)blog: …aber auch in den USA. Fritz Haller verbrachte sechs, sieben Jahre an Konrad Wachsmanns Institut für Bauforschung in Kalifornien, aber hat scheinbar nie etwas gebaut?
Georg Vrachliotis: Während seiner Zeit in Kalifornien hat er sich ausschließlich auf fundamentale Forschungsfragen konzentriert, eine Arbeit, die nur sehr wenig mit Architektur als „Bauen“ zu tun hat. Es war reine Geometrie-Forschung, Montageüberlegungen, also wie die einzelnen Elemente zusammengebracht werden könnten. Eine sehr grundlegende Forschung.
(smow)blog: In den späten 1960ern führte Fritz Hallers Forschung ihn dazu eine „Weltraumkolonie“, eine „Weltraumstadt“ zu entwickeln. War das nur eine Spielerei oder kann man das als interessante und nützliche Forschung betrachten?
Georg Vrachliotis: Fritz Haller war immer sehr an der Zukunft intressiert, wie unsere Welt in 20, 50 Jahren aussehen wird und wie wir uns darauf vorbereiten können. Er forschte an Themen, wie Überbevölkerung, Ökologie, Infrastruktur oder Kommunikationsnetzwerke. Bezogen auf die Arbeit, die er am MIT für die „Weltraumkolonie“ gemacht hat, würde ich sagen, dass es eine systematische und strategische Überlegung war. Fritz Haller war der Meinung, dass man, wenn man an einen Ort wie den Weltraum geht, an dem nichts ist wie auf der Erde und man dort Architektur entwickeln will, mit den gleichen Problemen konfrontiert wird, auf die man auch auf der Erde stößt, nur in extremerer Form. Folglich muss man den Details viel mehr Aufmerksamkeit schenken und man muss z.B. genauer überlegen, was heißt Funktion, was heißt Energie, was heißt Kontext usw. So ist Fritz Haller im Prinzip in den Weltraum gegangen, um besser über die Erde nachdenken zu können.
(smow)blog: Kurz zum Schluss, warum kennen wir Fritz Haller besser für seine Möbel als für seine Gebäude?
Georg Vrachliotis: Fritz Haller verstand einen Architekten nie als Autor, war nie interessiert an den Ideen eines „Autoren-Architekten“. Fritz Haller entwickelte Systeme und nicht Gebäude und letztlich war Fritz Haller anonym, die Antithese des modernen Stararchitekten also. Durch seine Arbeit verschwand der Architekt Fritz Haller und was blieb, war nur die Struktur.
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