Maria Keil 1914-2012

Vor gefühlt tausend Jahren befragten wir unseren portugiesischen Lieblingsdesigner Rui Alves alias My Own Super Studio zur Verwendung von Farben in seinen Arbeiten und er antwortete: „Ich versuche, keine Angst vor Farbe zu haben. In der portugiesischen Kunst und im portugiesischen Design hat Farbe traditionell einen hohen Stellenwert, deshalb ist es ganz natürlich für mich viel Farbe zu benutzen.“

Jeder, der verstehen möchte, was Rui damit meint, muss einfach mal einen Tag lang durch den Lissaboner Untergrund reisen. Obwohl es natürlich viele Städte gibt, in denen ein Ausflug in den Untergrund mehr bringt als ein Besuch der lokalen Kunstgalerien, sind die U-Bahn-Stationen in Lissabon ganz besonders lohnenswert. Und das liegt nicht zuletzt daran, dass sie mit sogenannten azulejos, also sehr dekorativen Fliesen, verziert sind. Diese Kunstform ist so portugiesisch wie Sardinen, neue Kontinente zu entdecken oder Fabo.

Verantwortlich für die Mehrheit der Lissaboner azulejos war Maria Keil, eine Frau, die ebenso faszinierend ist wie ihre Arbeit. Die Künstlerin verstarb leider am 10. Juni 2012 im Alter von 97 Jahren.

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Maria Keil 1914-2012. Hier vor einem neuen azulejo, das sie 2009 für die Modernsisierung der Estação São Sebastião entwarf (Foto: http://www.metrolisboa.pt/)

1914 in Silves geboren, studierte Maria Keil Malerei an der Escola Superior de Belas Artes in Lissabon und war im Laufe ihrer Karriere als Malerin, Grafikerin, Graveurin und Textildesignerin tätig. Wäre sie fünfzig Jahre später geboren, hätte man sie wahrscheinlich einfach in die Kategorie Grafikdesign eingeordnet.

1933 heiratete sie den Architekten Francisco Keil do Amaral. Zusammen bildeten sie eines der bedeutendsten portugiesischen Designteams der Moderne – Franscisco entwarf die Gebäude, Maria das Interieur. Zu ihren wichtigsten Projekten gehörten der ursprüngliche Portela Airport in Lissabon und der portugiesische Pavillon auf der Expo 1939 in Paris, der mit der Goldmedaille ausgezeichnet wurde. Und so war es kaum überraschend, dass Francisco, als er Ende der 1950er Jahre mit dem Bau der Stationen für das neue Lissaboner Untergrundsystem beauftragt wurde, seine Frau bat, ihnen Farbe und damit Leben einzuhauchen. Außerdem war es keine Überraschung, dass Maria Keil azulejos als Mittel dafür wählte.

Die dekorativen Wandkacheln wurden im 15. Jahrhundert in Portugal eingeführt und etablierten sich schnell im ganzen Land, nicht nur wegen ihrer Farben und Verzierungen, sondern auch aufgrund der Tatsache, dass sie sowohl dazubeitrugen, Räume durch Lichtreflexion zu erhellen als auch die unansehnlichen Wände der Gebäude zu verdecken. Auch wenn ihr Beliebtheitsgrad im Laufe der Jahrhunderte natürlich je nach dem Zustand des Landes oder der politischen Situation schwankte, so verschwanden die azulejos nie völlig aus dem Stadtbild und sind deshalb auch heute noch überall zu entdecken. Ein Bummel durch jede x-beliebige Straße in Lissabon ist daher in gewisser Weise wie ein Bummel durch eine Freiluftgalerie. Die Reflexionen auf den farbenfrohen Kacheln sind auch ein Grund dafür, wieso Portugal immer etwas heller zu leuchten scheint als andere Länder.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlebten die azulejos einen ihrer Tiefpunkte und wurden im Allgemeinen gerade einmal als historisches Artefakt betrachtet. Und obwohl ihre Verwendung in Art déco und Jugendstil bedeutete, dass die Kacheln nach wie vor als aktuell galten, spielten sie in der Architektur keine wirkliche Rolle.

Das änderte sich erst beim International Union of Architects Congress (UIA) „Architecture at the Crossroads“ in Lissabon 1953 in Lissabon. Dort wurden portugiesischen Architekten nicht nur aktuelle Theorien zur Verwendung traditioneller, lokaler Produkte und Verfahrensweisen beim Bau von Gebäuden nahegebracht, sondern es wurden auch zahlreiche Beispiele für die Verwendung von azulejos bei den damaligen modernen Umbaumaßnahmen in Brasilien vorgestellt. Und so integrierte moderne portugiesische Architekten eine Neuinterpretation der azulejos aus der ehemaligen Kolonie in ihre Arbeit – ein Beispiel wie aus dem Lehrbuch für postkoloniale Theorien.

Francisco Keil do Amaral nahm 1953 am UIA teil und sowohl er selbst als auch seine Frau begrüßten diese neuen Impulse. Während Maria Keils Repertoire vor 1953 gar keine azulejos umfasste, entwarf sie nach 1953 azulejo-Designs für viele Projekte ihres Mannes, darunter auch der Luanda Flughafen, eine Wohnsiedlung an der Av. Infante Santo in Lissabon und der Speisesaal der UEP-Ferienanlage in Palmela. Sie tat dies mit einer solchen Natürlichkeit, dass man fast glauben könnte, sie hätte nie etwas anderes gemacht.

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Schäfer von Maria Keil im Speisesaal der UEP-Ferienanlage, Palmela. (Photo C.Bargel)

Ein wichtiger Faktor bei allen azulejos von Maria Keil ist die gekonnte Verwendung von Farben; mal mehr, mal weniger, aber immer so eingesetzt, dass die Komposition oder die Grafik perfekt untermalt wird. Bei der gekonnten Verwendung von Farben geht es nicht nur darum, ganz viele oder grelle Farben zu verwenden, sondern darum, die richtige Menge der richtigen Farbe am richtigen Ort zu benutzen.

Obwohl die Bandbreite von Maria Keils Arbeit recht groß ist, ist sie vor allem für ihre Designs der Lissaboner U-Bahnstationen bekannt geworden; Arbeiten, die auch nach ihrem Dahinscheiden an ihr künstlerisches Feingefühl und ihr Verständnis für die portugiesische Geschichte und Tradition erinnern.

Die ersten 11 Stationen wurden direkt während der Bauarbeiten 1957-1959 designt. In den nächsten Jahrzehnten folgten 11 weitere; die letzte war die renovierte Estação São Sebastião im Jahr 2009.

Maria Keils Installationen erinnern ein wenig an Straßenkunst und basieren vor allem auf sich wiederholenden geometrischen Formen und einen Farbeinsatz, der von monoton, wie beispielsweise in der Estação Restauradores oder Estação Intendente, über wohldurchdachten Farb- und Schattierungsstufen bis hin zu sehr auffälligen Arbeiten wie in der Estação Rossio geht.

Maria Keils azulejos sind künstlerisch gesehen nicht nur tolle Beispiele für die visuellen Kompositionen des mittleren 20. Jahrhunderts und können sich durchaus mit den damaligen Arbeiten von Designern wie Ray Eames oder Alexander Girard messen, sondern sind mit ihren Farben und Formen, die auf fünf Jahrhunderte dekorative Kachelgestaltung in Iberien zurückgehen, auch gebührende und respektvolle moderne Interpretationen einer Kunstform, die tief mit der portugiesischen Handwerkstradition verbunden ist.

Deshalb ist ein Ticket für die Lissaboner U-Bahn auch eine der besten kulturellen Investitionen überhaupt.

Danke, Maria Keil!

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Estação Praca de Espanha Lissabon (Maria Keil, 1959. Photo C.Bargel)

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Estação Parque Lissabon (Maria Keil, 1959. Photo C.Bargel)

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Estação Rossio Lissabon (Maria Keil, 1963. Photo C.Bargel)

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