Wie schon berichtet ist die Hoffnung in Großbritannien groß, dass die Olympischen Sommerspiele 2012 der britischen Designindustrie neuen Schwung verleihen könnten. Das wagen wir doch zu bezweifeln… Aber dann dachten wir uns: Was wissen wir denn schon? Ganz im Ernst… Deshalb haben wir in den letzten Wochen die Gelegenheit beim Schopf ergriffen und mit einigen Leuten gesprochen, die die Situation um einiges besser einschätzen können als wir; nicht nur über der Möglichkeiten, die sich durch die Olympischen Spiele ergeben, sondern allgemein auch über den aktuellen Zustand der britischen Designbranche.
Nach unserem Gespräch mit Gareth Williams trafen wir uns mit Edward Barber und Jay Osgerby in Mailand, wo wir abgesehen von unserer Standardfrage zum Sinn des Vorstellens neuer Produkte in Mailand auch über ihre Ansichten zum aktuellen Stand des britischen Designs sprachen… und wieso ihre Olympische Fackel nicht Teil der Ausstellung British Design 1948-2012 im V&A Museum ist. Das brennt uns nämlich schon seit Ende März auf der Zunge…
(smow)blog: Großbritannien hegt ja zurzeit die Hoffnung, dass die Olympischen Spiele eine positive Auswirkung auf die britische Designindustrie haben werden. Erwartet ihr auch, dass die Olympischen Spiele den britischen Designern irgendwas positives bringen werden?
Edward Barber: Ich glaube nicht wirklich, dass es überhaupt Bedarf für eine große Revolution im britischen Design gibt, weil es schon jetzt sehr stark ist. In Großbritannien gibt es eine hervorragende Designindustrie mit britischen Designern, die hinter jedem wichtigen Unternehmen auf der Welt stehen. Man kann dieser Bewegung höchstens noch ein wenig mehr Schwung geben. Ich denke aber nicht, dass wir da erst irgendwas anfangen müssen; es ist schon längst da.
Jay Osgerby: In Großbritannien wird sehr viel erfunden und es steht zum Beispiel in der Formel 1 oder der Luftfahrttechnik mit an vorderster Stelle. Doch, was Produktion angeht, fällt es weit hinter allen anderen zurück. Das ist wirklich eine Schande…
(smow)blog: Das bringt uns direkt zur nächsten Frage: Die Mehrheit der Hersteller, mit denen ihr arbeitet, sitzt ja im Ausland. Ihr könnt also als britische Designer nicht wirklich in Großbritannien nach Herstellern suchen. Würdet ihr euch wünschen, dass es mehr britische Produzenten geben würde oder ist das irrelevant?
Jay Osgerby: Über 90 % der Zeit müssen wir im Ausland nach Partnern suchen, das ist richtig. Klar wäre es schön, wenn sich hierzulande mehr Hersteller zeitgenössischem Design widmen würden, aber es gibt nur sehr wenige, die mit dem Niveau der deutschen, schweizerischen oder italienischen Hersteller mithalten können.
Edward Barber: Großbritannien ist ein postindustrielles Land; es gibt einfach keine Industrie mehr. Wir sind eine Nation von Immobilienmaklern und Bänkern. Es gibt aber auch jede Menge exzellenter Nischenhersteller: einerseits in der Nanotechnologie und der Spezialtechnik und andererseits gibt es Töpfer, Weber und andere Handwerker; aber die Mitte gibt es nicht mehr. Deshalb müssen wir in’s Ausland gehen, was natürlich sehr schade ist.
(smow)blog: Man hat irgendwie den Eindruck, dass Möbeldesign in Großbritannien nicht wirklich ernst genommen wird. Wenn zum Beispiel eine Regierungsinstitution Geld für Designermöbel ausgibt, reagiert die Presse immer völlig entrüstet. Wird Möbeldesign in Großbritannien denn überhaupt ernst genommen? Fühlt ihr euch selbst ernst genommen?
Jay Osgerby: Auf jeden Fall. In Großbritannien sponsern die britische Regierung und verschiedene Institutionen traditionell Kunst und Design, um langfristige Projekte zu schaffen, die letztlich auch für das ganze Land wichtig werden. Das Problem liegt heute eher darin, dass viele Menschen durch diese ganzen Wohnsendungen im Fernsehen glauben, dass man Design auch für ’n Appel und ’n Ei selbst „machen“ kann. Nicht jeder versteht, wo der Unterschied zwischen echtem Design und dem liegt, was sie für Design halten. Von daher ist es wahrscheinlich wenig hilfreich, bei IKEA vorbeizugucken, um ein paar Bänke für irgendeinen Regierungsminister zu besorgen.
(smow)blog: Trotz des Herstellermangels plant ihr nicht etwa London zu verlassen und ein Studio im Ausland zu eröffnen…?
Edward Barber: Definitiv nicht! Ich arbeite lieber in London als irgendwo sonst!
(smow)blog: Um kurz auf Mailand zu kommen, wir haben noch keine Auflistung gesehen, wieviele Arbeiten lanciert ihr hier eigentlich?
Jay Osgerby: Nicht wirklich viele, wir sparen uns die meisten unserer neuen Projekte fürs London Design Festival auf…
(smow)blog: Was uns direkt zur weit wichtigeren Frage bringt: Lohnt es sich überhaupt noch, in Mailand neue Projekte vorzustellen oder ist es mittlerweile einfach zu groß?
Edward Barber: Das kommt ganz auf den Hersteller an, aber generell schon. Allerdings ist Mailand so riesig geworden und es ist so laut, dass man entweder eine unglaublich kräftige Stimme oder ein besonders medienwirksames Produkt braucht, um überhaupt gehört zu werden. Als Folge fangen viele Designer an, ihre Produkte lieber in Köln, London oder Paris vorzustellen, wo man viel mehr Interesse erzeugen kann.
(smow)blog: Das heißt ihr habt euch bewusst für London entschieden oder waren die Produkte einfach noch nicht präsentationsreif?
Jay Osgerby: Wir haben uns gedacht, dass es in Anbetracht der Olympischen Spiele eine gute Gelegenheit ist, dieses Jahr Produkte in London zu lancieren…
Edward Barber: …außerdem wird London immer bedeutender im Design. Das Design Festival im September ist schon etabliert und 100% Design plant Veränderungen für 2012. Von daher glaube ich, dass London für Ausstellungen wesentlich interessanter wird.
(smow)blog: Noch kurz zum Schluss: Die V&A-Ausstellung endet ja mit den Olympischen Spielen 2012, aber eure Fackel ist nicht dabei…
Edward Barber: Ich weiß, sie wollten sie irgendwie nicht haben…
Jay Osgerby: …sie haben gesagt, es wäre zu naheliegend…
Jetzt wissen wir Bescheid. Und ja, es ist wirklich sehr naheliegend. Es wäre aber trotzdem schön gewesen…
Vielleicht spart sich das V&A die Fackel und die anderen Arbeiten von Barber & Osgerby aus ihrer Dauerausstellung, die nicht in dieser Ausstellung gezeigt werden, für eine spezielle Retrospektive auf… Wer weiß.