Am 4. März 2012 hat das GRASSI Museum für Angewandte Kunst zu Leipzig den letzten Teil seiner Dauerausstellung eröffnet; eine Ausstellung, die uns ganz besonders am Herzen liegt. Mittlerweile kennt ihr uns ja ein wenig und wisst, dass wir nichts gegen Barock oder antike japanische Möbel haben. Aber unsere Herzen schlagen einfach ein bisschen höher, wenn wir uns dem Ende des 19. Jahrhunderts nähern: Mies van der Rohe biegt Metall. Alvar Aalto biegt Holz. Verner Panton biegt Plastik. Axel Buether biegt Licht. Das alles gibt es in Jugendstil bis Gegenwart. …Und ein monumentales Schlafzimmerensemble von Ron Arad aus Baugerüststangen.
Die Ausstellung beginnt im ausgehenden 19. Jahrhundert, zeigt Jugenstilobjekte und den maßlosen Pomp des frühen 20. Jahrhunderts, bevor sie dokumentiert wie Funktionalismus, Bauhaus und Modernismus alles wieder auf’s Wesentliche reduzieren. Der Zweite Weltkrieg wird dann metaphorisch über das wunderschöne Treppenhaus übersprungen.
Neben der Sammlung von Porzellan-Kaffeetassen, ist das erste, was die Aufmerksamkeit des Besuchers im Erdgeschoss auf sich zieht, der RAR von Charles and Ray Eames. Es folgt ein Stuhl-Tisch-Ensemble von Eero Saarinen, das perfekt von einer AJ Royal Hängelampe von AJ – Arne Jacobsen – angestrahlt wird.
Die Ausstellung führt weiter in die knallbunten Pop-Art-Welten und in die Postmoderne, bevor sie mit Sinneslandschaften, einer multimedialen Rauminstallation von Axel Buether und einer Gruppe seiner Studenten der Burg Giebichenstein Halle, endet.
Ein wahrer Star unter den zweifelsohne zahlreichen Highlights in Jugendstil bis Gegenwart ist die Rekonstruktion von Lilly Reichs Präsentationsmöbeln für Wilhelm Wagenfelds Glaswaren-Kollektion der Vereinigten Lausitzer Glaswerke (VLG) wie auf der Grassimesse 1936.
So faszinierend die Arbeiten selbst zweifellos sind, finden wir vor allem interessant wie die Präsentation sehr schön veranschaulicht, dass die Hauptaufgabe eines Museums das Dokumentieren ist. In diesem Kontext sind die durch die Ausstellung verstreuten Raumkonzepte ein weiteres Highlight. Wenn auch nicht besonders groß, so ermöglichen sie doch, die Möbel in ihrem entstehungsgeschichtlichen Kontext zu betrachten und die Beziehung der einzelnen Stücke zueinander zu verstehen.
Jugendstil bis Gegenwart vermischt außerdem auf eine sehr schöne Weise Design aus Ost und West: So findet man z.B. einen Staubsauger vom VEB Elektrowärme Altenburg aus dem Jahre 1962 neben einem Braun SK 5 von Dieter Rams und Hans Gugelot. Oder den besagten Eames RAR neben Erich Menzels „Model 50642“ für den VEB Sachsenholz Hellerau. Eine Mischung, die deshalb funktioniert, weil sie einfach die politische Situation, in der die Arbeiten entstanden sind, außen vor lässt und sich stattdessen auf die Arbeiten selbst und deren Relevanz konzentriert.
Die Schwachstelle der Ausstellung ist für uns der wenig gelungene Versuch der Kuratoren mit der Tiefe des Themas umzugehen. Das GRASSI Museum hat ganz offensichtlich eine wunderbare Sammlung, aber leider keinen Platz, sie so auszustellen, dass ein tiefgehender Diskurs entstehen könnte.
Und so hat man sich bei Jugendstil bis Gegenwart für ein eher altmodisches Ausstellungskonzept entschieden, bei dem die Mehrheit der Objekte einfach im Raum aufgestellt und mit einer Infotafel versehen wird. Das ist ein Konzept, bei dem man unglaublich viel auf sehr kleinem Raum unterbringen kann – und das den Besucher vollkommen überfordert. Selbst wir sahen unser Interesse von Zeit zu Zeit aufgrund der monotonen und interaktionsarmen Anordnung schwinden.
Wie wir schon bei „Von Aalto bis Zumthor. Architektenmöbel“ bemerkten, kann man bei einer Dauerausstellung mit so einem Konzept auskommen. Die Frage ist jedoch, ob „auskommen“ genügt. Es wird auf jeden Fall interessant, wie in zukünftigen Sonderausstellungen mit der Situation umgegangen werden wird.
Nichtsdestotrotz ist Jugendstil bis Gegenwart eine durchaus empfehlenswerte Ausstellung. Denn neben den schönen Stücken selbst rundet sie die Dauerausstellung des GRASSI Museums auch ab, indem sie dem Betrachter ermöglicht, die Entwicklung des Designs nachzuvollziehen und somit zu verstehen, wo modernes Design überhaupt her kommt, und wie „modernes Design“ im Kontext von „historischem Design“ zu verstehen ist.
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