Am Freitag Nachmittag vor der offiziellen Eröffnung ereilte uns die erste Vorwarnung darauf, was uns auf der IMM 2012 erwarten würde. Diese Vorahnung offenbarte sich in Form einer riesigen Plastikhalbkugel, über die wir stolperten, als wir durch das Kölner Stadtzentrum schlenderten. Die IMM Schneekugel.
Die Schneekugel stand inmitten der Fußgängerzone und sollte mit ein paar „Möbelhighlights“ wohl auch den letzten Kölner zur Messe locken. Und auf Knopfdruck rieselte sogar federleichter Schnee über die Szenerie. Herzerwärmend!
Doch wie uns Julia Landsiedl 2010 mit ihrer Ausstellung Wunderliche Kugelkammer in Wien lehrte, haben Schneekugeln auch ihre dunkle Seite… Im Falle der IMM Schneekugel liegt das Böse im Sessel. Und so findet sich all das, was uns an den meisten Möbeln in den Hallen der Kölner Messe missfiel, in diesem einen Stück wieder.
Schönes und Hässliches waren seit OMDs Song über Hiroshima, der mit einer der schönsten Melodien überhaupt unterlegt war, selten so harmonisch vereint.
Für uns hat die Schneekugel wunderbar veranschaulicht, wie man bei der IMM zwischen zwei völlig entgegengesetzten Realitäten gefangen ist. Außerdem hat sie die Frage aufgeworfen, wie lange die Organisatoren den schönen Schein noch wahren können…
Auf der einen Seite ist da die IMM wie sie von der Presseabteilung der Koelnmesse dargestellt wird. In dieser Welt dominieren Wörter wie „neu“ und „innovativ“. Auf der anderen Seite ist da die IMM wie sie von den Leuten dargestellt wird, die die Standplätze vertreiben. Und die interessieren sich natürlich, anders als nach außen kommuniziert, wenig für innovatives, durchdachtes und interessantes Möbeldesign.
Ein gutes Beispiel für diese Gleichgültigkeit war die Interior Innovation Award Ausstellung 2012. Vom Rat für Formgebung in Zusammenarbeit mit der IMM Cologne organisiert, ist der Interior Innovation Award zwar nichts gegen die Starallüren des Designpreises der Bundesrepublik Deutschland, doch Möbelhersteller scheinen immer sehr froh darüber zu sein, wenn sie ihn bekommen. Außerdem stellt er eines der wenigen externen Werbewerkzeuge der IMM dar.
Im letzten Jahr wurden alle Gewinner auf einem einfachen, aber leicht zugänglichen und zentralen Gang im Messezentrum gezeigt; diesen Gang mussten viele der Besucher und die gesamte Presse durchqueren, außerdem war die Ausstellung durch die Fenster des Presseraumes aus zu sehen. Dieses Jahr wurde die Interior Innovation Award Ausstellung in Halle 4.2 verfrachtet. Das ist eine Halle, die so versteckt ist, dass sie im Hallenplan auf der IMM Cologne Website noch nicht einmal auftaucht. Halle 4.2 beherbergte die Living Interiors Ausstellung, aber der Interior Innovation Award ist Teil der IMM. Deshalb erscheint er auch nicht auf der Website oder dem interaktiven Hallenplan von Living Interiors. Das könnte man auch so auslegen, dass die Ausstellung aus der IMM verbannt wurde.
Der erstklassige Raum des vergangenen Jahres wurde derweil an ein Magazin verkauft, das dort seine „Möbel-Trend-Tipps“ zeigen darf.
„Köln ist eine Verkaufsmesse“, so lautet die Parole der Branche seit spätestens 1962.
„Wenn das wirklich der Fall ist, tut uns bitte den Gefallen und lasst die innovativen Hersteller und jungen Designer außen vor„, war unsere Parole seit spätestens 2011.
In diesem Jahr haben sich die Designschulen verabschiedet – was unserer Ansicht nach die logische Konsequenz nach ihrer schändlichen Behandlung 2011 war – und es ist nur eine Frage der Zeit bis die kompletten D3 Design Talents ihnen in die Stadt folgen. Das stark reduzierte Programm und die nicht aktualisierte Website sind ein guter Hinweis dafür, dass die Entscheidung bereits gefallen ist.
Und die ach so innovativen Hersteller? Die sind in Halle 11 zusammengepfercht wie eine Schafsherde, die sich vor den heulenden Wölfen versteckt.
Wir sprachen mit einem Hersteller, der einen wirklich fürchterlichen Standplatz hatte. Ehrlich gesagt gehört er sogar zu den am unvorteilhaftesten positionierten Ständen, die wir je gesehen haben. Der Hersteller war dennoch recht zufrieden – einfach weil er in Halle 11 war. Wäre es nicht Halle 11 gewesen, wäre er gar nicht erst gekommen. Für Halle 11 war er jedoch bereit, jeden Platz zu akzeptieren. Ganz egal welcher…
Niemand, der in Halle 11 einkauft, kauft in den anderen Hallen ein. Und umgekehrt. Und die Presse besucht ausschließlich Halle 11 – und 3 für die D3 Talents.
IMM Cologne. Zwei Welten. Eine Location.
Offen gesagt hoffen wir, dass die Hersteller, die Qualität, Design und Innovation über die Anzahl verkaufter Exemplare stellen, in den nächsten Jahren ein neues Zuhause finden.
Wenn die Organisatoren der IMM schlau sind, werden sie die Trennung innerhalb des Messeprogramms weiterführen und einem neuen jungen Team die Entwicklung einer neuen, frischen parallel zur IMM in Köln laufenden Messe überlassen. Das würde nicht nur die IMM stärken, sondern auch Passagen, eine Rahmenausstellung der IMM, weiterentwickeln und so dazu beitragen, die Kölner Möbelwoche als wirklich wichtiges Event neu zu etablieren.
Derzeit gibt es für Hersteller, die nicht länger gewillt sind, die Einschränkungen der Halle 11 in Kauf zu nehmen, nur eine Alternative: die Qubique in Berlin. Doch zunächst muss die Qubique noch Durchhaltevermögen zeigen und ihre Position innerhalb der Messelandschaft verteidigen. Und dafür sollte sie ernsthaft darüber nachdenken, sich einen neuen Monat als den Oktober zu suchen. Zu viele Messen finden schon im Oktober statt….
Es gilt also: „Vorteil IMM“! Noch liegt es in Kölner Hand das Spiel so oder so ausgehen zu lassen.
Doch zurzeit gibt es noch keinerlei Anzeichen für solche Ambitionen. Stattdessen scheinen die Veranstalter erpicht darauf zu sein, die Passivität der Medien zu nutzen, um auch weiterhin ein Bild der IMM zu wahren, das zunehmend von dem abweicht, was man tatsächlich in Köln vorfindet.
Wir haben in der Vergangenheit schon mehrfach bemerkt wie unkritisch die Medien gegenüber solchen Events geworden sind.
Im Vorfeld der IMM wurde viel über die große Zahl italienischer Hersteller in Köln berichtet, wobei das ein Großteil der Presse als „positive Entwicklung“ verbuchte. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung1 ging sogar so weit Folgendes zu behaupten: „Und gerade die auf der ganzen Welt tonangebenden Hersteller jenseits der Alpen gelten als Gradmesser, ob eine Messe gut läuft und ob sie gut ankommt.“ Die auf der ganzen Welt tonangebenden italienischen Hersteller als Gradmesser! Haben wir noch 1982? Haben wir etwa die letzten drei Jahrzehnte geträumt?
Italien nimmt in der Möbelgeschichte Europas einen besonderen Platz ein und es gibt definitiv einige wirklich gute und qualitativ hochwertige italienische Hersteller. Doch das liegt nicht daran, dass sie Italiener sind, sondern dass sie sich wirklich dafür interessieren. Qualitativ hochwertige Möbel können auch aus anderen Ländern kommen.
Und so breitet die Presseabteilung der IMM den Deckmantel des „Wir haben jede Menge Italiener, juhuuuh!“ über alles, um die Tatsache zu verschleiern, dass viele Qualitätshersteller aus Deutschland, der Schweiz, Holland, Frankreich, Belgien, Dänemark oder den USA gar nicht anwesend sind.
Es ist unverzeihlich, dass führende Medien ihnen das auch noch abkaufen. Nicht nur deshalb, weil das der gesamten Branche einen schlechten Dienst erweist, sondern weil es gleichzeitig positive Entwicklungen verhindert, die durch eine Umorientierung der IMM und der Kölner Möbelwoche erreicht werden könnten.
Wir haben die IMM Schneekugel 20 Minuten lang betrachtet. Und je länger wir sie ansahen, desto sicherer wurden wir, dass es Veränderungen geben wird. Und wie gesagt hat die IMM noch immer die Möglichkeit zu entscheiden, wie dieser Wandel aussehen soll. Wir hoffen, dass die Messeveranstalter diese Chance ergreifen werden. Denn wenn nicht, werden wir in ein paar Jahren alle OMD zitieren: „Es muss nicht immer auf diese Weise enden“.
1. http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/design/koelner-moebelmesse-wohnen-fuer-alle-11616978.html Accessed 25.01.2012