Bei der Summaery-Ausstellung im Juli 2011 fragten wir Professor Bernd Rudolf, Dekan der Fakultät Architektur an der Bauhaus Uni Weimar, nach der Motivation heutiger Architekturstudenten. „Es ist immer noch so“, antwortete er scherzhaft, „dass sie alle dazu beitragen wollen, die Welt ein bisschen besser zu machen. Das bleibt nach wie vor der Hauptgrund für ein Architekturstudium…“ Und Designer? Können Designer die Welt zu einem besseren Ort machen? Wollen sie das überhaupt? Oder was ist ihre Motivation?
„Warum gestalten?“ war die Frage beim Design-Symposium an der HFBK Hamburg. Der Versuch darauf eine oder gerne auch mehrere Antworten zu finden, war in diesem Fall die Motivation. Dafür luden sechs Professoren des Instituts für Design an der HFBK je einen Design-Experten ein, der seine Ansichten zum Thema Design vorstellen sollte. Das hochkarätige Line-up umfasste Andrej Kupetz, Axel Kufus, Jaime Hayon, Nienke Klunder, Christoph Schäfer, Andreas Brandolini und Peter Kubelka.
(Kleine Anmerkung der Redaktion: Da die Veranstaltung etwas – oder besser: ganz schön – überzogen wurde und wir Mühe hatte unseren Zug nach Berlin noch zu erwischen, haben wir Peter Kubelka verpasst. Seine Erkenntnisse zum Thema sind hier also leider nicht enthalten.)
Los ging es mit dem Hauptgeschäftsführer des Rates für Formgebung, Andrej Kupetz. In unseren Augen ein guter Auftakt, da er als „nicht praktizierender Designer“ nicht über seine eigene Motivation sprach, sondern über Design in einem weiteren Sinne – z.B. darüber, wo Design zu Veränderungen führen kann.
„Warum gestalten?“ legte Kupetz also eher im Sinne von „Was bringt Design?“ als „Aus den und den Gründen mache ich was mit Design.“ aus.
Ein großer Teil seines Vortrags drehte sich dann um Materialien in verschiedenen Zusammenhängen und insbesondere darum, was er als den (alten) Traum des Designers bezeichnete: eine „Weightless World“. Das meint eine Dematerialisierung, eine Produktherstellung, die weniger Rohstoffe erfordert. Die „Weightless World“ ist für Designer das Synonym für eine bessere, nachhaltigere Welt und meint auch das Bild eines Designers, der dabei hilft globale Probleme zu lösen. Das ist definitiv eine mögliche Antwort auf die Frage nach dem „Warum?“.
Dieser Traum wird laut Andrej Kupetz jedoch unerfüllt bleiben; und das liegt im Wesentlichen an der Industrie. Die Industrie nämlich, so erklärt es Kupetz, macht das meiste Geld durch Produktdifferenzierung, sei es hinsichtlich der Oberflächen, Farben oder Materialien. Das behindere Innovation und originelles Design, die nicht zu den erwünschten Gewinne führen würden.
Diese Sicht passt sehr gut zu dem, was uns ein Bereichsleiter eines führenden Herstellers von Designermöbeln erzählt hat: Er war bei der IMM Cologne 2012 entsetzt darüber, wie wenig wirklich neue Produkte es gab und wie viele Hersteller ihre bekannten Produkte nur hinsichtlich des Stoffes oder der Farben weiterentwickelt hatten. Was wiederum die Frage aufwirft, wer eigentlich entscheidet, was hergestellt wird und was nicht. Wer entscheidet, welche Designs umgesetzt werden? Dieses Thema domininierte fast alle Vorträge.
Für Andrej Kupetz wird Design vom Marketing gesteuert. Die Rolle des Designers besteht nur darin, dem Kunden dabei zu helfen, die Kluft zwischen Gruppenzugehörigkeit und Individualität zu überbrücken. In diesem Sinne brachte Christoph Schärer das Konzept der „Royal Participation“ zur Sprache, wonach Individuen weisgemacht wird, sie wirkten auf den Prozess ein. In Wahrheit aber sind sie nichts als Schachfiguren auf einem lebensgroßen Spielfeld und halten – unschuldig wie sie sind – gerade einmal als Werkzeug zur Gewinnsteigerung her.
Jaime Hayon sprach leidenschaftlich über seine Verachtung gegenüber der Marktforschung im Produktdesign. Das Festlegen der „Wünsche der Konsumenten“ trübe den Blick der Hersteller, ersticke neue Ideen schon im Keim und schaffe vor allem Unsicherheit.
Das würde bedeuten, dass die meisten Designer kaum mehr tun, als das zu entwerfen, was ihnen die Marketingabteilungen vorschreiben. Das könnte einen dazu bringen die Designer zu fragen: Warum gestalten? Könnte… Denn waren die versammelten Designer nicht einstimmig der Meinung, dass die Hauptbeschäftigung oder, wenn man so will, die Aufgabe eines Designers das Experimentieren sei? Kommerzielle Produkte sind ein durchaus wünschenswertes Ergebnis von Experimenten, aber keineswegs die Daseinsberechtigung des Experimentierens schlechthin.
Axel Kufus sprach beispielsweise vom Workshop als Labor und von Produkten als Ergebnis von Prozessen. Sein ehemaliger Kumpane Andreas Brandolini erinnerte daran, wie im Bellefast-Workshop Produkte für den Verkauf produziert wurden, allein um an Geld fürs Experimentieren zu kommen. Die Produkte selbst hatten für die Designer kaum oder gar keine Bedeutung.
Andrej Kupetz illustrierte das Prinzip der „Weightless World“ anhand des Pressed Chairs von Harry Thaler für Moormann – einem kommerziellen Produkt, das das Resultat der Experimente von Fanatikern ist, deren einzige Motivation es war, zu sehen, ob es möglich ist. Das schafft wiederum eine Verbindung zu Axel Kufus‘ Ansicht, dass Designer viel mehr Prozesse als Produkte schaffen.
Alles in Allem kamen wir uns ein wenig so vor als wären wir in einer Art Penrose-Dreieck gefangen: Die Industrie braucht Design, um Gewinne zu erzielen. Designer können die Lösungen bringen, was sie auch tun, um ihre Experimente finanzieren zu können. Die Gesellschaft braucht Design, um Probleme bewältigen zu können. Designer können die Lösungen bringen, da sie experimentieren; eine Arbeit, für die sie zwar oft nicht direkt bezahlt werden, die sie aber als ihre Hauptaufgabe betrachten. Im Gegensatz zur Gesellschaft, die Designer als Erzeuger kommerzieller Produkte sieht; Produkte, die wiederum der Industrie Gewinne bringen.
Natürlich kam es uns während dieses Nachmittags einige Male in den Sinn, dass, wenn weniger Geld in die Herstellung übermäßig vieler neuer Stühle, Tische und Leuchten investiert werden würde, nur um einen schon jetzt übersättigten Markt zu überschwemmen, mehr Designer fürs Experimentieren bezahlt werden könnten. Das könnte nicht nur der Gesellschaft helfen, sondern auch wirklich innovative neue Stühle, Tische und Leuchten hervorbringen, die mehr bewirken könnten, als nur zusätzlichen Müll zu produzieren.
Doch dann haben wir realisiert, wie dumm das wäre. Worüber würden denn dann die ganzen Designblogs und Hochglanzmagazine schreiben? Und Designer. Warum brauchen Designer Design? Design mag für sie Experimentieren sein. Doch was ist ihre Motivation, ihr Antrieb?
Damit wären wir wieder bei Professor Rudolf und der Frage: Werden Designer ebenso wie Architekten von dem Wunsch angetrieben, die Welt zu verändern, zu verbessern? Jesko Fezer sah seinem Gast Andreas Brandolini geradewegs in die Augen und fragte: „Warum gestalten?“. „Weil es Spaß macht!“, antwortete Brandolini. „Ich bin nicht glücklich, wenn ich nichts zu tun habe!“ Lauter Applaus von den versammelten Designstudenten und professionellen Designern…
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