Im letzten Sommer verbrachten wir unseren jährlichen Wochenendausflug in einem kleinen Museum im Norden Englands und diskutierten das Leben eines Mannes, der sich 30 Jahre zuvor erhängt hat. Da soll nochmal jemand sagen, wir könnten uns nicht entspannen.
Die Stadt hieß Macclesfield und Thema war der Joy Division Sänger Ian Curtis. Ohne Frage ist Curtis eine der großen Ikonen der neueren Musikgeschichte und der Kult um ihn liegt in einer Kombination aus seinem frühen Tod und den Fotos seiner Band begründet.
Einer der Redner auf der Konferenz in Macclesfield war Kevin Cummins, der Mann hinter fast allen veröffentlichten Joy Division Bildern und zahlreichen Shootings der Band für das Musikmagazin NME. Im Laufe der Diskussion hat Cummins „zugegeben“, dass die Tatsache, dass ausschließlich schwarz-weiß Fotos der Band existieren, auf eine „Vermarktungsstrategie“ der Plattenfirma zurückgehe. Eine Entscheidung, die zudem von NME vollkommen unterstützt wurde. Genauso wurde entschieden, dass Curtis auf allen Fotos ernst und deprimiert aussehen solle. Es gibt druchaus auch Fotos in Cummins‘ Archiv, die Curtis lachend und rumalbernd zeigen. Aber sie wurden nie verwendet. Sie hätten nicht dem Image entsprochen. Und so wird Ian Curtis durch die Maschinerie von Plattenfirma und Medien für immer als diese depressive und monotone Figur bestehen.
„Zoom. Italian Design and the Photography of Aldo and Marirosa Ballo“ geht einem ganz ähnlichen Thema nach.
Aldo und Marirosa Ballo sind vielleicht die wichtigsten und einflussreichsten Möbelfotografen aller Zeiten und spielten eine nicht unwesentliche Rolle bei der Entwicklung der modernen Legende vom italienischen Design. Doch während Kevin Cummins aktiv daran beteiligt war, die Legende um Ian Curtis zu konstruieren; verlief der Weg von Aldo und Marirosa Ballo größtenteils unbewusst. Für Aldo und Marirosa Ballo stand stets das Objekt selbst im Zentrum ihrer Arbeit, wobei das Ziel immer darin bestand ein möglichst natürliches und ausdrucksstarkes Bild der Produkte zu entwerfen. Zu diesem Zwecke entwickelten sie einige technische Mittel, die mittlerweile zum Standardreportoire eines jeden Industrie- und Produktfotografen zählen.
Doch trotz des innovativen Aspekts in Ballos Arbeit, steht für die meisten die unverwechsel- und unkopierbare Fotoreihe im Vordergrung, die dazu beitrug Italien als eine der wichtigsten Nachkriegs-Möbeldesign-Nationen zu etablieren. Aldo und Marirosa Ballos Fotos zierten die Titel von Hochglanz Design Magazinen, ihre Portraits von italienischen Designern wurden von einem weltweiten Publikum gesehen und sie sprachen eine neue europäische Generation an, die sich wegbewegte vom Stil und dem Mobiliar der Eltern. Dank der Arbeit von Aldo und Marirosa Ballo wurde Italien zum Synonym für gute Qualität. Und etwas sehr erstrebenswertes. Und wir denken, das war nicht einmal ihr Ziel. So hat es sich einafch entwickelt.
Mit einem Rückblick bis in die 1950er nimmt „Zoom. Italian Design and the Photography of Aldo and Marirosa Ballo“ seine Besucher nicht einfach nur mit auf eine Reise durch vier Dekaden italienischen Designs, sondern beschreibt ebenso die Entwicklung von professionellem Designer Möbel Marketing sowie die Etablierung von „Star Designern“. Die Ausstellung ist so angelegt, dass Objekt, Fotos und Zeitschriftenauszüge bzw. Werbeanzeigen in unmittelbarer Nähe zueinander dargestellt sind, sodass der Betrachter einen umfangreichen Eindruck vom Objekt und dem Kontext seiner Vermarktung erhält. Auf diese Weise wird deutlich, dass trotz der Mysthifizierung der Objekte durch die Fotos, die Objekte selbst den tatsächlichen Wert und somit Grund für die Legende bilden. Außerdem ist eine wunderbare Ausstellung von über 300 Fotos entstanden, die den Designs mehr als gerecht werden.
Und wessen Leben sich um Möbel, Möbelmessen und Produkteinführungen dreht, weiß wie wichtig gute Fotos in der Designer Möbel Welt sind… Den Text liest doch keiner. Aber jeder schaut sich die Fotos an. Deshalb investiert auch die Möbelindustrie jedes Jahr aufs Neue immense Summen, um sicherzugehen, dass die Pressefotos für neue Produkte nichts weniger als perfekt sind. Nur so fängt man das Publikum. Die Techniken und die Philosophie, die dabei dahinter steht, ist ebendie von Aldo und Marirosa Ballo entwickelte. Und das macht ihre Arbeit heute wie damals derart relevant. Und die Ausstellung einen Besuch wert.
„Zoom. Italian Design and the Photography of Aldo and Marirosa Ballo“ läuft noch bis 3. Oktober im Vitra Design Museum, Weil am Rhein.
Mehr Informationen gibt es unter: www.design-museum.de
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